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„Von der Wehr?“ Zara runzelte die Stirn. „Was ist los?“ „Wanja!“, rief Falk. „Ihr Vater will sie der Bestie opfern, weil er glaubt, so den Zorn seines Gottes besänftigen zu können! Er glaubt, das ist der einzige Weg, wenigstens eine seiner Töchter zu retten – so wie Salieri gesagt hat!“

„Dieser Verrückte!“ Zara war fassungslos, auch wenn sie nach all den Hetzreden des Geistlichen insgeheim damit gerechnet hatte, dass so etwas passieren würde. In ihrer momentanen aufgeheizten und panischen Stimmung waren die Einwohner von Moorbruch zu allem fähig. „Von der Wehr will eine seiner Tochter retten, indem er die andere der Bestie zum Fraß vorwirft?“ Jetzt gab sie sich ebenfalls keine Mühe mehr, leise zu sein.

Falk nickte. „Wir müssen sie retten! Bevor es zu spät ist!“ Zara zwang sich, ruhig zu bleiben. „Wo bringt er sie hin?“ „Zum Teufelsfelsen!“, rief Ela aufgebracht; ihre Stimme überschlug sich fast. „Im Wald. Die Bestie hat sich an dieser Stelle schon mehrere Opfer geholt! Jahn ist sofort losgelaufen, um Wanja zu retten, nachdem er uns davon erzählte!“

Das gefiel Zara gar nicht; nicht auszudenken, was Jahn mit dem mörderischen Vater seiner Geliebten anstellen würde, wenn er ihn in die Finger bekam – oder umgekehrt! „Wie lange ist das schon her?“

„Vielleicht zehn Minuten, vielleicht länger.“

Zara nickte. Sie hatte genug gehört. „Eine Minute!“, rief sie, wandte sich vom Fenster ab und schaute sich eilig im Zimmer nach ihren Sachen um; sie hatten keine Zeit zu verlieren, nicht nur, weil der Bürgermeister bereits einigen Vorsprung hatte, sondern auch, weil die Gefahr bestand, dass von der Wehr durch sein wahnwitziges Vorhaben alles noch schlimmer machte. Er wollte sein eigen Fleisch und Blut opfern, um sein eigen Fleisch und Blut zu schützen. Das war einfach verrückt!

Hinter ihr erklang ein Rascheln, als Gregor sich unter der Decke hervorwühlte, geweckt von dem frühmorgendlichen Tumult. Er blinzelte irritiert, als er sah, wie Zara am Fuß des Bettes hastig ihre Kleidung zusammensuchte, und setzte sich auf. „Was ist los?“, fragte er verwirrt, die Stimme trunken von Schlaf. „Ist irgendwas passiert?“

„Der Bürgermeister“, sagte Zara knapp, während sie in ihr Kleid schlüpfte und mit hastigen Bewegungen begann, ihr Mieder zuzuschnüren. „Er will Wanja der Bestie opfern.“

Sofort war Gregor hellwach. „Wanja? Seine älteste Tochter?“

Zara nickte und schlüpfte in ihre Lederstiefel. „Er glaubt, wenn er seine Tochter aus freien Stücken als Opfer darbringt, würde er damit den Zorn seines Gottes besänftigen, und die Bestie würde auf ewig verschwinden.“

Gregor fluchte. „Dieser Verrückte!“

„Kann man wohl sagen“, knurrte Zara, mehr zu sich als zu Gregor; dabei ging ihr beiläufig durch den Kopf, dass sie wohl kaum in der Position war, andere als verrückt zu bezeichnen, immerhin war es ebenfalls nicht normal, ein Dutzend Männer kaltblütig zu massakrieren und sich an ihrem Blut zu laben wie an einem guten Wein. Doch das stand in diesem Moment nicht zur Debatte, deshalb schloss sie hastig die letzten Schnallen ihrer Lederstiefel und sah sich nach ihrem Umhang um, doch dann fiel ihr ein, dass der Diener ihn gestern Abend an sich genommen hatte. Mit großen Schritten eilte Zara durch den Raum zur Tür – zur Zimmertür, nicht zu der, die zum Geheimgang führte.

„Was hast du jetzt vor?“, wollte Gregor wissen.

Zara warf ihm einen kühlen Blick über die Schulter zu. „Was schon? Ihn aufhalten.“

Ohne Gregor noch eines Blickes zu würdigen oder sich noch länger aufzuhalten, schnappte sie sich ihre beiden Schwerter von dem Sessel neben dem Kamin und schnallte sie sich mit geübten Griffen über den Rücken, während sie zur Zimmertür eilte und die beiden Türflügel gleichzeitig wuchtig nach außen aufstieß. Hinter ihr sprang Gregor aus dem Bett, doch Zara hatte nicht vor, auf ihn zu warten. Ohne sich noch einmal umzuschauen, lief sie den Korridor entlang und sprang dann, immer mehrere Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter; die Absätze ihrer Stiefel klapperten hohl auf den Marmorsrufen.

Unten in der Halle kam ihr der Diener entgegen. Seine Augenbrauen glitten fragend in die Höhe, als Zara mit wehendem Kleid die letzten Treppenstufen hinter sich brachte und im Eilschritt durch die Eingangshalle lief.

„Madam?“, fragte er. „Kann ich etwas für Euch ...“

Zara rauschte an ihm vorbei, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Sie schnappte sich ihren Kapuzenmantel von der Garderobe, warf ihn über und stieß den linken Torflügel des großen Portals auf. Draußen vor dem Haus warteten bereits Falk und Ela. Ohne innezuhalten, schwang sich Zara mit einer einzigen fließenden Bewegung in den Sattel ihres Pferdes, das Falk am Zügel gehalten hatte, und sah die beiden jungen Leute an. „Zeigt mir den Weg!“

Ela nickte entschlossen, stieß ihrem Pferd die Hacken in die Flanken und preschte über den Vorplatz davon; Schnee und Erde spritzten unter den Hufen des Tieres hoch. Falk folgte ihr dichtauf. Zara hatte noch nicht mit der Zunge geschnalzt, als auch Kjell mit einem abenteuerlustigen Wiehern vorpreschte und hinter den beiden herjagte, auf den nahen Waldrand zu.

Eine halbe Minute später eilte Gregor D’Arc aus dem Hauseingang. Er hatte sich hastig einen Hausmantel übergeworfen und stapfte in seinen Seidenpantoffeln auf dem Vorplatz hinaus, wo der Schnee die Hufspuren der Pferde bereits wieder zudeckte. Das Haar zu allen Seiten vom Kopf abstehend, sah er, wie die im gestreckten Galopp davonpreschenden Reiter zwischen den Bäumen des nahen Waldrands verschwanden. Er blieb noch einen Moment, wo er war. Dann trieb eine eisige Bö weiteren Schnee über den Vorplatz, und Gregor schlang fröstelnd die Arme um sich, machte kehrt und ging ins Haus zurück ...

XXI.

Obwohl die letzten Schleier des Schlafs längst wie fortgeweht waren, bekam Zara von dem wilden Ritt zum Teufelsfelsen kaum etwas mit. Zu aufgewühlt waren ihre Emotionen. Allmählich begann diese Angelegenheit ihr an die Nieren zu gehen. Sich die zerrissenen Leichen junger Frauen ansehen zu müssen, die sie nicht kannte, war eine Sache – doch sie kannte Wanja. Sie war ein liebes, herzensgutes junges Ding, das niemandem etwas zuleide getan hatte; alles, was sie wollte, war, eines Tages ein friedvolles Leben mit ihrem geliebten Jahn zu fuhren, vielleicht ein paar Kinder zu haben, denen sie beim Aufwachsen zuschauen und sich daran erfreuen konnte. Das war wahrlich nicht zu viel verlangt. Doch offenbar sah ihr Vater das anders ...

Als Zara an Bürgermeister von der Wehr dachte, krallten sich ihre Hände so fest um die Zügel, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Dieser wahnsinnige, rückgratlose Kerl! Glaubte er tatsächlich, dass dieser Albtraum ein Ende fand, indem er noch mehr Unglück heraufbeschwor?

Nein, korrigierte sich Zara, nicht er glaubt das, sondern dieser Pfaffe, dieser Salieri, der den Einwohnern von Moorbruch auf Teufel komm raus einreden will, die Bestie sei eine Strafe seines Gottes ...

Doch das änderte nichts daran, dass von der Wehr derjenige war, der sich dazu entschlossen hatte, seine älteste Tochter zu opfern. Unter anderen Umständen hätte dies Zara vielleicht sogar Respekt abgenötigt, denn er tat dies in dem Glauben, zum Wohle der Gemeinschaft zu handeln, doch nicht in diesem Fall, wusste sie doch, dass von der Wehr nicht aus innerer Größe und Überzeugung heraus so handelte, sondern aus Schwäche.

In Zaras Ohren hallten die Worte wider, die Wanja gestern Morgen vor Beginn der Treibjagd über ihren Vater gesagt hatte: „Er ist ein guter Mensch. Und er tut, was er kann ... Aber manchmal ist das eben nicht genug.“