Zara versuchte mühsam, ihr angestrengtes Keuchen zu unterdrücken, während sie den starrenden Blick der Kreatur mit erhobenen Schwertern erwiderte, der Blick so hart wie der geschmiedete Stahl, den sie in den Händen hielt. Sie achtete auf jede Regung, jedes noch so kleine Muskelzucken der Bestie, aber das Untier kauerte einfach nur da, der Körper wie zum Sprung gespannt, und belauerte sie. Dünne Atemwölkchen drangen aus den Nüstern, und ein tiefes, unheilvolles Grollen entrang sich der Kehle der Kreatur, die Zara keine Sekunde aus den Augen ließ.
„Na, komm schon“, murmelte Zara düster, das Gesicht verdreckt von Blut und Schmutz, in den kalter Schweiß weiße Bahnen gewachsen hatte. „Greif mich an. Bringen wir es zu Ende ...“
Doch die Bestie rührte sich nicht.
Langsam wurde Zara unruhig.
Dann sah sie in der blutigen Klinge eines ihrer Schwerter plötzlich eine verschwommene Bewegung hinter sich, und sie wirbelte herum, schwang beide Schwerter gleichzeitig über Kreuz, und so, wie die beiden Schenkel einer Schere ein Stück Büttenpapier zerschnitten, so zerschnitten die beiden Klingen von links und rechts den stämmigen Hals der heranstürmenden Kreatur. Das schwere Haupt der Bestie rutschte vom Hals und plumpste in den Schnee, wo er mit träge schnappenden Kiefern liegen blieb.
Zara starrte nur kurz auf den abgetrennten Schädel, dann vernahm sie hinter sich ein gedämpftes, gutturales Knurren und wirbelte mit schlagbereiten Schwertern herum – doch Jael nahm ihr die Arbeit bereits ab und stieß der Kreatur kraftvoll die Klinge durch das linke Auge direkt ins Gehirn.
Die Bestie stieß ein schrilles, durchdringendes Heulen aus, bäumte ihren muskulösen Vorderkörper auf wie ein scheuendes Pferd – und krachte mit der Schnauze voran so schwer zu Boden, dass Zara spürte, wie die gefrorene Erde unter ihr erzitterte.
Und dann – war es vorüber ...
Stille senkte sich über das Plateau.
Todesstille ...
Zara richtete sich keuchend auf, ließ ihren Blick über den Teufelsfelsen schweifen und sah die letzte der Blutbestien durch den Vorhang aus fallendem Schnee den Pfad in den Wald hinabhumpeln, ein Bein nachziehend, aus einem halben Dutzend Wunden blutend. Zara unternahm keinen Versuch, ihr zu folgen, und auch Jael sah nur mit unbewegter Miene zu, wie sich die Bestie mühsam zum Rand des Dickichts schleppte, kaum imstande, sich auf den Beinen zu halten.
„Beeilt euch!“, rief Falk hinter ihnen. „Die Bestie flieht!“
„Dann lass sie fliehen“, erwiderte Zara gelassen. „Sie ist schwer verletzt. In diesem Zustand wird sie nicht weit kommen.“
Sie wandte sich zu den anderen um, und ihr Blick blieb an Jael haften, die reglos ein paar Meter weiter stand, ihr feines Kostüm so rein wie vor der Schlacht, während das Blut Zara von Kopf bis Fuß bedeckte.
„Was, zum Teufel, machst du hier?“, rief Zara.
„Das Gleiche wie du, würde ich mal sagen“, erwiderte Jael ruhig, „dem Morden ein Ende bereiten.“ Sie ließ den Blick über die Kadaver der Bestien gleiten. „Und wie’s aussieht, hat das auch ganz gut geklappt.“
Zara starrte sie einen Moment lang schweigend an. Dann grollte sie: „Hör zu, Freundin. Ich bin dir dankbar, dass du mir geholfen hast, diese Bestien zur Strecke zu bringen, und vielleicht schließe ich dich heute sogar in mein Nachtgebet ein. Aber das bedeutet nicht, dass ich dir irgendetwas schuldig bin, verstanden? Und wenn du darauf abzielst, dich zu rächen“, sie ließ ihre Schwerter demonstrativ in ihren Handtellern kreisen, „sollten wir es jetzt gleich hinter uns bringen.“
Jael verzog keine Miene. „Warum so aggressiv? Wir sind keine Feinde.“
„Aber Freunde auch nicht“, entgegnete Zara eisig. „Hör zu, es ist mir gleich, was dich hier hergeführt hat oder was du von mir willst. Und egal, wie viele Jahre wir uns jetzt nicht gesehen haben – es waren nicht genug.“ Selbst in ihren eigenen Ohren klangen ihre Worte schroffer als angebracht – immerhin hatte Jael ihnen das Leben gerettet, daran gab es keinen Zweifel. Doch ihre Schroffheit war nur eine Tarnung, um ihre wahren Gefühle nicht preisgeben zu müssen – Gefühle, die sich all die Jahre tief in ihr verborgen hatten. Die Wahrheit war: Jael nach all dieser Zeit wieder zu sehen, war ein Schock für sie, der sie ohne jede Vorwarnung traf, und obwohl Jaels Miene unergründlich war, war sich Zara sicher, dass sie ähnlich empfand. Auch sie hatte wohl damit gerechnet, dass sie sich nach jenem Tag auf dem Friedhof von Mascarell nie wieder sehen würden, dass Zara vielleicht gar nicht mehr am Leben wäre. Doch hier waren sie, alle beide, äußerlich keinen Tag älter als damals, innerlich aber war Zara eine vollkommen andere als an jenem Tage, an dem ihr untotes Leben endete und gleichzeitig neu begann.
Jael zeigte sich von Zaras schroffer Ablehnung nicht im Mindesten beeindruckt. „Wir sind keine Feinde“, sagte sie noch einmal, mit ruhiger Stimme. „Diese Zeiten sind lange vergangen. Was mich angeht, so habe ich mit dem, was einst war, abgeschlossen. Ich gebe zu, dich hier zu sehen, trifft mich gänzlich unvorbereitet, doch wie mir scheint, stehen wir auf derselben Seite.“ Ihr Blick glitt zu Falk und Ela, die sich noch immer ängstlich aneinander klammerten, und wieder glaubte Zara, einen flüchtigen Moment lang dieses zufriedene, triumphierende kleine Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen. „Viele Menschen verdanken dir ihr Leben.“
„Mag sein“, sagte Zara kühl. Sie schaute hinüber zu der Stelle, wo die Bestie in den Büschen verschwunden war. „Eins dieser Biester ist noch übrig, und mit dem werde ich auch allein fertig. Also tu uns beiden einen Gefallen – geh dahin zurück, wo du hergekommen bist. Ich bin durchaus in der Lage, diese Sache allein zu Ende zu bringen.“
„Keine Frage“, stimmte Jael zu und nickte. „Gegen eine Bestie wirst du dich sicher behaupten können. Vielleicht auch gegen zwei. Aber was, wenn du es erneut mit einem ganzen Rudel dieser Kreaturen zu tun kriegst? Wenn es in diesen Wäldern noch viel mehr dieser Biester gibt und das hier bloß die Vorhut war?“ Da war kein Spott in Jaels Stimme, kein arroganter Hohn, und doch funkelte Zara sie an, als hätte die blonde Frau ihr heftig ins Gesicht geschlagen. Es war nicht so sehr der Umstand, dass Jael die Wahrheit sagte, der Zara so verbitterte – allein war sie nicht stark genug, mehreren Bestien die Stirn zu bieten, das hatten die letzten Minuten deutlich gezeigt –, sondern dass sie – Zara – keine Sekunden lang daran gedacht hatte, dass die entkommene Bestie womöglich nicht die letzte dieser monströsen Kreaturen war; dass es dort, wo auch immer sich das Nest dieser Bestien befand, noch mehr von diesen Kreaturen gab, unter Umständen sogar Dutzende.