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Zara starrte ihre Begleiterin düster an. Sie wollte Jael gerade fragen, was das für ein verdammter Zauber sei, für den ein Dutzend junger Frauen hatten sterben müssen, als sie unvermittelt einen kühlen Hauch im Nacken spürte, wie von einer plötzlichen Bewegung. Zara wirbelte herum – gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie durch einen fleckigen Vorhang an der hinteren Wand eine stämmige Gestalt in die Kammer stürmte, die mit sich überschlagender Stimme einen Zauberspruch rief: „Increduli futurum caeci!“

Bevor Zara erkennen konnte, wer der Zauberer war, explodierte die ganze Kammer in gleißendem Licht, heller als der Schein der Sonne. Zara riss instinktiv die Hände vors Gesicht, um ihre Augen zu schützen, doch die plötzliche Helligkeit traf bereits ihre Netzhäute, und auf einmal verwandelte sich alles um sie herum in grelles Weiß.

„Verdammt!“, schrie Jael hinter ihr. „Ich kann nichts mehr sehen!“

Auch Zara stieß einen Fluch aus und drehte sich geblendet im Kreis, die Hände leicht von sich gestreckt. Sie versuchte, in dem Weiß ringsum die Silhouette des Zauberers auszumachen, der so unerwartet in der Kammer aufgetaucht war. Wie eine Blinde wankend, tastete sie sich vorwärts, alle Sinne bis zum Äußersten gespannt. Der Zauberer war ganz in der Nähe, sie konnte seine dunkle Anwesenheit spüren. Er belauerte sie, und sie meinte zu hören, wie er in gebührendem Abstand leise um sie herumschlich.

„Wer seid Ihr?“, keuchte Jael. „Was hat das alles zu bedeuten?“

Keine Antwort.

„Warum mussten all diese Menschen sterben?“, drängte sie.

Erneut: nur Schweigen.

„Vielleicht weiß er es selbst nicht“, meinte Zara. „Vielleicht ist all das nur das sinnlose Werk eines Wahnsinnigen. – Seid Ihr wahnsinnig?“, wandte sie sich provozierend an den Unsichtbaren, doch wenn sie gehofft hatte, ihn damit aus der Reserve zu locken, irrte sie sich.

Zara drehte sich vorsichtig um sich selbst, umgeben von grellem Weiß, und versuchte, Zeit zu gewinnen, denn solange sie ihren Gegner nicht sehen konnte, war es ihr so gut wie unmöglich, sich gegen ihn zu verteidigen. „Die Bestien“, sagte sie, auf jedes noch so leise Geräusch in ihrer Nähe lauschend, „das waren Eure Geschöpfe, nicht wahr? Ihr habt sie gezüchtet, damit sie für Euch die Drecksarbeit erledigen, weil Ihr selbst dazu nicht genug Mumm habt. Ist es nicht so?“

Irgendwo in dem allumfassenden Weiß um sie herum erklang ein meckerndes, spöttisches Kichern. Sofort wirbelte Zara in die Richtung, aus der es kam, und schlug nach der Stelle, doch der Mann, der das Kichern ausgestoßen hatte, war längst woanders. Sie konnte seine Blicke auf sich spüren, als er sie langsam umkreiste, und für einen Moment stieg ihr der Bittermandelgeruch von Branntwein in die Nase.

„Eine lange Nacht gehabt?“, fragte Zara spöttisch. „Oder trinkt man bei der Morgenmesse neuerdings Branntwein?“

Diesmal kam eine Reaktion: Zara spürte unvermittelt eine rasche Bewegung hinter sich, und dann raunte ihr eine Männerstimme spöttisch ins Ohr: „Was versteht eine Mätresse der Hölle wie Ihr schon von der Heiligen Messe?“

Zara erstarrte, nicht so sehr, weil der Zauberer aus unerfindlichen Gründen ihr dunkles Geheimnis kannte – was erschreckend genug war –, sondern weil sie diese Stimme schon mehrmals vernommen hatte, seit sie hier in Moorbruch war ...

„Salieri“, knurrte Zara düster. „Ihr seid es!“

Salieri gab sich keine Mühe, sich zu verstellen. Zara spürte, wie er sich hinter ihr bewegte, und wirbelte herum, doch der Priester lachte bloß und war mit zwei schnellen Schritten außerhalb ihrer Reichweite. „Eigentlich müsste ich zutiefst erzürnt darüber sein, was du und deine Freundin mit der Ewigen Flamme gemacht habt – ganz zu schweigen davon, dass ihr all meine geliebten Tierchen abgeschlachtet habt“, sagte Salieri bedächtig, als wüsste er genau, dass ihm von den beiden Frauen in ihrem gegenwärtigen Zustand keine Gefahr drohte. „Doch wie deine kleine Freundin hier eben so treffend bemerkte: Das Ritual wurde bereits vollzogen. Alles ist so, wie es sein soll, und es gibt nichts, was ihr tun könntet, um es noch zu ändern.“

„Man kann immer etwas ändern“, erwiderte Jael. „Nicht einmal der Tod ist unumkehrbar.“

„Wie wahr, wie wahr“, spöttelte Salieri. „Zumindest nicht für unsereins, richtig?“ Er lachte leise, und Zara hörte ein Stück rechts von sich das verhaltene Rascheln von Stoff, gefolgt von einem leisen Schaben, als würde Metall über grobes Gewebe streifen. „Das Dumme am Wiederauferstehen ist nur, dass man dazu erst einmal sterben muss, doch dabei bin ich euch nur zu gern behilflich ...“ Wieder dieses leise meckernde Kichern, und dann stellte Zara fest, dass der Zauber allmählich nachließ. Ihr Blick klärte sich wieder. Das Weiß war zwar noch immer da, doch an den Rändern ihres Blickfelds bildeten sich allmählich Schatten und Konturen, und bald konnte sie die vagen Umrisse von Möbelstücken erahnen. Mit weit aufgerissenen Augen drehte sich Zara um ihre eigene Achse, auf der Suche nach Salieri; da gewahrte sie aus den Augenwinkeln unvermittelt das tödliche Funkeln von geschliffenem Metall, das begleitet wurde von einem singenden Pfeifen, als eine Klinge die Luft zerteilte, und ihr Instinkt übernahm die Kontrolle.

Sie tauchte unter dem Hieb hinweg. Die Klinge verfehlte sie so haarscharf, dass sie den Luftzug auf ihrem Gesicht spürte. Dann drehte sich die Vampirin mit einer grazilen Bewegung, wie eine Tänzerin, einmal um sich selbst und zog während der Drehung eines ihrer Schwerter aus der Scheide auf ihrem Rücken, um ihrerseits zuzuschlagen. Mehr ahnend als wirklich wissend, wo sich Salieri befand, riss sie das Schwert hoch und fing den nächsten Hieb ihres Gegners geschickt ab. Funken stoben, als Metall auf Metall traf. Im gleißenden Nebel vor Zara bewegte sich etwas, ein grauer Schatten, der sich kaum merklich von seiner Umgebung abhob. Der Umriss einer gewaltigen Axt mit einer breiten halbmondförmigen Schneide ruckte vor ihr in die Höhe, um ein drittes Mal zuzuschlagen.

Zara zögerte keine Sekunde, kam Salieri zuvor und schlug mit voller Wucht nach der Axt. Die rasiermesserscharfe, zehnfach gefaltete Klinge traf den Stiel – und ging glatt durch das Holz hindurch. Zara hörte, wie der Priester ein überraschtes Keuchen ausstieß; dann krachte die mächtige Schneide der Axt mit einem metallischen Scheppern auf den Steinboden. Salieri fluchte und wich hastig ein paar Schritte zurück, in Richtung des Vorhangs, durch den er vorhin gekommen war, doch nun, da Zara seine Silhouette mit jeder Sekunde deutlicher sah, hatte sie keine Mühe, ihm zu folgen. Das Schwert in einer Hand, eilte sie ihm nach, packte Salieri hinten am Kragen seines Gewands und schleuderte ihn quer durch die Kammer. „Hier geblieben, Freundchen!“

Salieri schrie auf und krachte hart gegen einen der Tische längs der Wand. Er verzog vor Schmerz das Gesicht, als sich die Kante in seinen Rücken bohrte. Dann war Zara wieder bei ihm, rammte die Schwertklinge in den Tisch, dass sie dort stecken blieb, und riss den abtrünnigen Priester hoch.

„Das ist für Wanja!“, schrie sie, als sie Salieri ihre Faust in die Magengrube rammte. Salieri krümmte sich keuchend und drohte zusammenzuklappen, doch Zara hatte ihn mit der linken Hand am Kragen gepackt und hielt ihn aufrecht, während sie mit der Rechten wieder zuschlug und den Priester anschrie: „Wofür das alles? Wofür all die Toten?“

Zara schlug erneut zu, und Salieri hob die Hände, um sein Gesicht vor ihren Schlägen zu schützen.

„Genug“, sagte Jael.

Doch Zara schlug noch mal zu.

„Genug“, sagte Jael erneut, diesmal mit mehr Nachdruck, und so plötzlich, wie Zara die Beherrschung verloren hatte, beruhigte sie sich wieder. Sie ließ Salieri los, der daraufhin kraftlos auf die Knie fiel, und trat einen Schritt zurück, ohne den abtrünnigen Priester aus den Augen zu lassen.

„Warum?“, rief sie erneut. „Wofür das alles? Wofür sind diese jungen Frauen gestorben?“ Das war die Frage, um die sich alles drehte.