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Was blieb, war die Frage, was hinter alledem steckte.

Welche dunklen Mächte hatte Salieri mit Hilfe der Jungfrauenherzen heraufbeschworen? Welcher höheren Gewalt diente er, und was hatte es damit auf sich, als er sagte, dass die „letzte Stunde“ nah sei und die „alte Ordnung“ in Kürze wiederhergestellt sein würde?

Es gab nur einen einzigen Ort in ganz Ancaria, wo sie die Antworten auf diese Fragen finden konnten.

„Und ihr habt wirklich vor, nach Burg Sternental zu reiten?“, fragte Falk, nachdem Hilda, die Gattin des Wirts, ihnen eine neue Flasche Whiskey an den Tisch gebracht und rundum eingeschenkt hatte. „Ich meine, was erhofft ihr euch davon? Wenn ich euch richtig verstanden habe, dann ist seit jenem Tag, als dieser Iliam Zak und seine letzten Getreuen in die Enklave verbannt wurden, annähernd ein Millennium vergangen. Dieser Zak ist doch längst tot und vermodert.“

Jael wiegte den Kopf. „Vielleicht hat ihm das, was auch immer er und sein Kult damals getrieben haben, ein unnatürlich langes Leben beschert.“

„Was genau haben sie denn getrieben?“, forschte Falk.

„Das weiß niemand so genau“, erwiderte Jael. „Der Kult wirkte im Verborgenen, und jedes Mitglied war zu absolutem Stillschweigen verpflichtet. Jahrzehntelang wusste die Obrigkeit nicht einmal, dass es den Sakkara-Kult überhaupt gab, und nachdem die Inquisition dem Zirkel endlich auf die Schliche kam, hielt man alle Berichte darüber streng unter Verschluss. Bloß eine Hand voll Hochinquisitoren war über das ganze Ausmaß des Frevels informiert, dessen sich der Sakkara-Kult schuldig gemacht hat. Man nahm an, dass der Kult damals zerschlagen wurde, doch jetzt...“

„Jetzt seid ihr euch da nicht mehr so sicher“, schloss Falk.

Jael nickte düster. „Einiges deutet darauf hin, dass sich der Kult neu formiert, und das dürfen wir nicht zulassen, wenn wir schlimmeres Unheil von Ancaria abwenden wollen. Deshalb müssen wir nach Sternental; nur dort werden wir die Antwort auf die Frage finden, warum all diese armen Seelen hier soviel Unglück erledigen mussten.“ Bei diesen Worten ließ sie den Blick in die Runde schweifen; jeder einzelne Platz im Schankraum war besetzt, und doch war es die meiste Zeit über so still wie auf einem Friedhof. Keiner der Gäste sprach viel; die meisten saßen einfach nur da, hingen ihren Gedanken nach, tranken und versuchten zu begreifen, wie es zu alldem hatte kommen können.

Jael schaute Zara an und fragte: „Bist du sicher, dass du kommen willst? Ich meine, niemand zwingt dich dazu, und du schuldest niemandem etwas. Im Gegenteil. Du hast für diese Menschen hier schon mehr als genug getan. Aber was mich angeht“, sagte Jael, und nun nahm ihre Stimme einen fast bittenden Tonfall an, „ich würde mich wesentlich besser fühlen, eine erfahrene Kriegerin wie dich an meiner Seite zu haben.“

Zara erwiderte Jaels Blick einen Moment lang schweigend. Dann kippte sie mit einem Ruck ihren Whiskey herunter, setzte das leere Glas auf dem Tisch ab und sagte: „Sternental ist eine Sieben-Tages-Reise von hier entfernt. Wenn wir da sein wollen, bevor der Schnee jedes Durchkommen unmöglich macht, sollten wir keine Zeit verlieren.“

Jael lächelte. „Dann reiten wir bei Sonnenaufgang. Bis dahin sollten wir die Annehmlichkeiten dieses gastlichen Orts genießen, denn wer schon weiß, was uns in Sternental erwartet...“

XXVI.

Der Morgen kam, und mit ihm die Zeit des Abschieds. Im ersten grauen Licht des neuen Tages trafen sich Jael und Zara bei den Ställen der Taverne, wo die Pferde über Nacht untergebracht gewesen waren. Hilda, die Gattin des Wirts, gab ihnen für die Reise nach Sternental Proviant mit: Brot, Käse, Pökelfleisch, Räucherschinken, einen Schlauch Wein und etwas Tabak. Keine der beiden Frauen hatte vergangene Nacht ein Auge zugetan – Jael, weil sie von ihren Gedanken wachgehalten wurde; Zara, weil ihr Albtraum wieder zurückgekehrt war. Doch beide verrichteten ihre Reisevorbereitungen mit ruhiger Sorgfalt, verstauten ihre wenigen Habseeligkeiten in den Satteltaschen, füllten ihre Trinkschläuche am Brunnen mit eiskaltem Wasser und sattelten ihre Pferde. Der Stallbursche, ein aufgeweckter kleiner Blondschopf, sah ihnen neugierig zu; sein Gesicht war schmutzig und seine plumpen Leinenhosen an den Knien aufgescheuert. Als Zara ihm beim Hinausgehen einen Goldtaler zuschnippte, leuchteten seine Augen auf wie Sonnen. Die beiden Kriegerinnen führten die Pferde aus dem Stall hinaus auf den Platz vor der Taverne und erblicken Falk, der auf den Stufen vorm Güldenen Tropfen saß, neben sich im Schnee seinen Reisebeutel als Zara vorhin ihr gemeinsames Zimmer verlassen hatte, hatte er noch friedlich schnarchend im Bett gelegen, die Decke bis zu den Ohren hochgezogen. Sie hatte ihn schlafen lassen. Jetzt schaute er auf und rief mit einem verschmitzten Lächeln: „Ihr beiden Hübschen wollt euch doch wohl nicht ohne den Schutz eines männlichen Begleiters auf die gefahrvolle Reise nach Sternental wagen, oder?“

Jael und Zara sahen erst Falk an und wechselten dann einen nachdenklichen Blick. Jael machte ganz den Endruck, als würde sie abwägen, ob es wirklich ratsam war, Falk mitzunehmen, der sich bislang weder durch nennenswerten Kampfgeist noch durch sonderlichen Scharfsinn hervorgetan hatte, und einen Moment lang fürchtete der junge Mann, sie würden ihn zurückweisen, ihm verbieten, mitzukommen. Doch schließlich sagte Zara knapp: „Hol dein Pferd!“

Falk grinste und sprang auf. Während er im Stall verschwand, ließ Zara ihren Blick über den im grauen Morgenlicht daliegenden Ort schweifen. Trotz der frühen Stunde gingen bereits einige Moorbrucher ihrem Tagwerk nach; jetzt, da sie von der Bestie nichts mehr zu befürchten hatten, schien es, als würde das Leben in Moorbruch allmählich wieder seinen normalen Gang nehmen. Die meisten nickten den beiden Frauen im Vorbeigehen voller Respekt und Dankbarkeit zu, doch wie tags zuvor richtete niemand das Wort an sie.

Dann kam Falk zurück, sein Pferd am Zügel führend. Hinter ihm lief Ela aus einer Gasse zwischen den Gebäuden auf den Platz. Sie trug ein schlichtes graues Kleid und einen abgetragenen Mantel. „Falk!“, rief sie leise.

Er wandte sich nach ihr um. Als er Ela sah, fiel seine aufgesetzte Fröhlichkeit in sich zusammen; vermutlich hatte er gehofft, Moorbruch verlassen zu können, ohne sich von ihr verabschieden zu müssen. Doch dann lächelte er wieder. „Ela“, sagte er, „was machst du denn hier? Du solltest zu Hause im Bett liegen und schlafen.“

„Ich würde doch nur von dir träumen“, sagte das Mädchen mit entwaffnender Offenheit. Ela blieb vor Falk stehen und rang nervös die Hände. Man sah ihr an, dass sie mit sich kämpfte, dass sie versuchte, stark zu sein, doch als sie dann wieder sprach, bebte ihre Stimme, und Tränen schimmerten in ihren Augen. „Warum willst du fortgehen?“, fragte sie. „Warum bleibst du nicht hier, bei mir? Die Bestien sind tot, und Zara kommt auch allein zurecht, das hat sie mehr als einmal bewiesen. Außerdem ist Jael da, um ihr beizustehen. Zusammen sind die beiden jeder Gefahr gewachsen. Sie brauchen dich nicht – aber ich schon.“