Ein Falschspieler! Der Kerl muss lebensmüde sein!
Auch Zara fragte sich, ob der Jungspund seines Lebens überdrüssig oder einfach nur dumm war, in dieser Runde zu betrügen. Die Menschen, die in diesem Viertel lebten, waren der Bodensatz der Gesellschaft, und wenn sie eins ganz und gar nicht leiden konnten, dann, wenn jemand versuchte, sie über den Tisch zu ziehen. Nicht umsonst heißt es, man solle nie versuchen, einen Dieb zu bestehlen.
Die Sekunden zogen sich zäh wie Sirup dahin. Die Spannung in der Luft war schier mit Händen zu greifen.
Schließlich schnalzte der Dickwanst triumphierend mit der Zunge, als hätte er von Anfang an gewusst, dass an Falk etwas faul war, und ebenso abrupt, wie die Welt erstarrt war, setzte sie sich auch wieder in Bewegung. „Na, sieh mal einer an. Spielerisches Können, ja? Taktik und Intuition, ja?“ Der Dickwanst erhob sich von seinem Stuhl. „Wenn es etwas gibt, das wir hier in Hohenmut noch mehr verabscheuen als Steuereintreiber und Querulanten, dann sind es Falschspieler.“ Er suchte Falks Blick, und sein eines Auge funkelte, als er lauernd fragte: „Weißt du, was wir hier in Hohenmut mit Abschaum wie dir machen?“
Falk schluckte, sein Adamsapfel hüpfte unruhig auf und ab, doch er versuchte, seine Pokermine aufrechtzuerhalten, und schüttelte den Kopf. Sein vorlautes Mundwerk war stumm geworden.
Der Dickwanst sah von Falk zu dem Kerl mit der Lederweste. „Zeig’s ihm, Brutus!“
Brutus verzog die feiste Visage zu einem diabolischfreudigen Grinsen, das zwei Reihen schiefer schwarzer Zähne sehen ließ, die wie Grabsteine auf einem Friedhof aussahen. Er griff unter seine Lederweste und zog darunter ein unterarmlanges Messer hervor. Falk riss die Augen auf und wollte zurückweichen, doch da war der tätowierte Hüne bereits hinter ihm und packte Falks rechten Arm, um ihn lang ausgestreckt auf die Tischplatte zu drücken, indes Brutus mit dem Messer gemächlich näher kam. Das Licht der Fackeln fing sich auf der scharfen, leicht geschwungenen Klinge und ließ sie unheilvoll funkeln.
„O Himmel“, flüsterte die Schankmagd mit vorgehaltener Hand. „Sie werden ihm die Hand abhacken.“
„Er hat beim Spielen betrogen“, sagte Zara, nahm noch einen Zug aus der Pfeife und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. „Als Einhändiger wird ihm das künftig nicht mehr so leicht fallen.“
Die Schankmagd sah Zara mit einer Mischung aus Entsetzen und Verachtung an, doch statt etwas zu erwidern, wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Drama zu, das sich keine zehn Schritte von ihnen entfernt anbahnte.
Während der Tätowierte Falks Arm mit seinen riesigen Pranken auf den Tisch presste, kam Brutus mit dem Messer um den Tisch herum und stellte sich in Position. Die Beine leicht gespreizt, um einen besseren Stand zu haben, wenn er die scharfe Klinge mit einem kraftvollen Schwung niedersausen ließ, „probte“ Brutus den Hieb einmal, ohne wirklich zuzuschlagen, und nickte zufrieden. „Zwei Hiebe“, sagte er.
„Zwei Hiebe wofür?“, wollte Falk nervös wissen. „Zwei Hiebe auf den Handrücken? Also, das ist zwar hart, da ich euch ja nur mal zeigen wollte, wie man im Osten des Landes so spielt, und da der Pott natürlich ganz allein euch zusteht. Aber wenn’s nicht anders geht, füge ich mich selbstverständlich in mein Schicks...“
Der Dickwanst mit der Augenklappe unterbrach ihn. „Zwei Hiebe, um dir die Hand vom Arm zu trennen“, erklärte er mit einem süffisanten Lächeln. „Man könnte es auch mit einem Hieb schaffen, aber dann wäre der Spaß zu schnell vorbei, wenn du verstehst?“
Falks Augen weiteten sich. Sein Blick zuckte zwischen seinen Zockerkameraden und dem Messer in der Hand des Tätowierten hin und her. „Also, hört mal, Freunde, irgendwie kann ich ja nachempfinden, dass ihr ungehalten seid, vielleicht sogar verärgert. Aber findet ihr nicht, dass ihr hier ein wenig übers Ziel hinausschießt? Wie wäre es, wenn ihr mir stattdessen lieber zwei, drei Finger brecht? Soviel ich weiß, ist das ebenfalls ungeheuer schmerzhaft.“ Auf seinen Wangen blühten rote Rosen, und kalter Schweiß stand wie Tau auf seiner Stirn, während Brutus einen Schritt zurücktrat und das Messer mit der breiten, geschwungenen Klinge hob, um zu tun, was seiner Meinung nach getan werden musste. Egal, wie abgebrüht der Jungspund als Falschspieler sein mochte – er war nicht mal ein halb so harter Bursche, wie er der Welt weismachen wollte; ganz im Gegenteil. Er redete weiter, als ginge es um sein Leben und nicht nur um seine rechte Hand, und mit jedem Wort sprach er schneller, bis die einzelnen Worte zu einer einzigen Litanei verschmolzen. „Oder ihr könntet mir ein Brandzeichen einbrennen, etwas in der Art wie: Spielt nicht mit diesem Kerl. Dann weiß jeder, was für ein mieser Schuft ich bin, und ihr habt eure Genugtuung. Das wollt ihr doch, oder? Eure Genugtuung ...“
Falk verstummte schlagartig, als Brutus das Messer unvermittelt nach unten sausen ließ. Alles, was er sah, war ein stählerner Blitz, der mit einem Pfeifen niederzischte, und Falk schrie hysterisch auf, kurze, abgehackte Schreie voller Pein, die Augen so weit aufgerissen, dass das Weiße hervortrat.
Er schrie immer noch, als Brutus das Messer mit einem kräftigen Ruck wieder aus der Tischplatte zog, in die die Klinge fünf Zentimeter tief eingedrungen war. Als er sah, dass kein Blut an der Klinge klebte, und die Zockbrüder schäbig auflachten, wurde Falk klar, dass er noch einmal davongekommen war, und er atmete laut auf. Sofort witterte er wieder Morgenluft.
„Na, da habt ihr mir aber einen Schrecken eingejagt!“, brabbelte er hastig. Schweiß rann ihm in Strömen übers krebsrote Gesicht. „Ihr solltet mit der Nummer unbedingt im Varietee auftreten, so begnadete Schauspieler wie ihr seid! Einen Moment lang dachte ich wirklich, ihr wolltet mir allen Ernstes die Hand abhacken und...“
„Das war nur zur Probe“, erklärte der Dicke hämisch; es war offensichtlich, dass er die Panik des Jungspunds zutiefst genoss. „Damit Brutus weiß, wie er zuzuschlagen hat. Jetzt wird es für dich Zeit, dich mit einem Leben als Einhändiger abzufinden.“ Er wandte sich an Brutus. „Mach’s mit drei Hieben!“
Brutus grinste böse und hob das Messer.
„Bei den Alten Göttern“, keuchte die Schankmagd neben Zara fassungslos. Ihre Stimme zitterte. „O du lieber Himmel...“
Das Messer verharrte in Schulterhöhe. Brutus starrte Falks Handgelenk mit irre glitzernden Augen an.
Falk geriet in Panik und wollte zurückweichen, doch er konnte sich nicht aus dem Griff des Hünen befreien. „O bitte, tut mir nichts!“, haspelte er. Seine Augen klebten an der Klinge des Messers. „Ich bitte euch, tut mir nichts, das könnt ihr doch nicht machen, ich bin doch noch so jung! So hilf mir doch jemand!“ Er warf panisch einen Blick in die Runde, doch niemand rührte sich, nur die Schankmagd krampfte verzweifelt die Hände ineinander.
„O bitte nicht“, murmelte sie so leise, dass niemand außer Zara sie hören konnte. „Bitte, habt doch Erbarmen ...“
Doch dergleichen war Brutus fremd. Mit einem breiten Grinsen ließ er die Klinge nach unten sausen, genau auf Falks rechtes Handgelenk zu. Die rasiermesserscharfe Klinge teilte mit einem hohlen Zischen die Luft, ein metallener Blitz, auf dem sich die Lichtreflexe brachen!
Doch auf dem Weg nach unten erstarrte der muskulöse Arm des Mannes plötzlich mitten in der Bewegung, und die Klinge hing zitternd über Falks Handgelenk. Im ersten Moment mutmaßte der Jungspund, Brutus wolle seine Qual noch weiter hinauszögern, doch als er die überrascht aufgerissenen Augen des Mannes sah, wusste er, dass irgendetwas nicht stimmte – so wie Brutus, der überrascht den Kopf wandte und gerade noch sah, wie Zaras geballte Rechte einem Rammbock gleich auf sein Gesicht zuschoss, während sie mit der Linken seinen Messerarm mit einer Leichtigkeit festhielt, als wäre es der eines Kindes.