Der Hieb ließ Brutus benommen rückwärts taumeln, weg vom Tisch. Das Messer entglitt seinen Fingern und blieb mit wippendem Griff im Holzboden stecken.
Schlagartig waren alle Blicke auf Zara gerichtet, und die meisten der Anwesenden fragten sich, wie sie es wagen konnte, sich in die Angelegenheiten der Kerle einzumischen – und das als Frau. Die fassungslose Schankmagd hingegen fragte sich, wie Zara so schnell von ihrem Stuhl zum Zockertisch gelangt war, denn einen Wimpernschlag zuvor hatte sie noch an ihrem Platz gesessen und Pfeife geraucht. Brutus fing sich wieder und starrte Zara hasserfüllt an. Blut rann aus seiner gebrochenen Nase, verschmierte sein Kinn und besudelte sein Hemd; es sah aus, als hätte ihn jemand mit Tomaten beworfen.
„Du!“, grollte Brutus mit bebender Stimme und starrte Zara mit funkelnden Augen an. Die Adern an seinen Schläfen zuckten, als kröchen winzige Schlangen unter der Haut. „Wie kannst du es wagen, die Hand gegen mich zu erheben?“
„Ja“, schaltete sich jetzt auch der einäugige Dickwanst ein. „Wie kannst du es wagen?“
Zara sagte nichts, stand einfach nur da. Ihr langer Umhang verhüllte ihre große, sehnige Gestalt, und nichts an ihr ließ erkennen, dass sie nervös war oder gar Angst hatte. Sie war vollkommen ruhig, was den Zorn von Brutus offenbar noch mehr anfachte, denn er brüllte: „Dafür wirst du büßen, Drecksweib!“
Er stürmte vorwärts wie ein wütender Stier. Seine Fäuste wirbelten wie Dreschflegel auf Zara zu. Sie wich der Attacke geschickt aus, vollführte eine Pirouette – und trat noch aus der Drehung heraus zu. Der Absatz ihres Stiefels erwischte Brutus in der Magengrube und trieb ihn keuchend rückwärts.
Aus den Augenwinkeln sah sie den Tätowierten heranstürmen. Der einäugige Dickwanst griff sich eine Schnapsflasche, die er an der Tischkante zerschlug, und mit dem gezackten Flaschenhals in der Hand kam er von der anderen Seite her auf Zara zu.
Zara blieb einfach stehen und ließ die Männer kommen, die sich ihr von links und rechts näherten. Sie war vollkommen ruhig, und nur das kalte Flackern in ihren Augen verriet, dass Leben in ihr war. Dann war der Tätowierte bei Zara und schlug nach ihr. Zara tänzelte elegant zur Seite, sodass der Schlag ins Leere ging und der Tätowierte durch die Wucht seines Hiebes nach vorn taumelte, an Zara vorbei, die mit einem Satz hinter ihm war. Sie verpasste ihm mit dem Ellbogen einen kräftigen Rammstoß gegen den Hinterkopf, der den Tätowierten von den Füßen holte. Mit dem Gesicht nach unten schlug er auf den Dielenboden.
Schon war der Dickwanst heran und versuchte, Zara die gezackten Reste der Flasche in die Seite zu rammen. Zara wich aus, packte gleichzeitig den Arm des Dickwansts und hämmerte dessen Hand gegen die Kante eines Tisches. Der Rest der Flasche, den er zwischen den Fingern hielt, zersplitterte, und ein paar messerscharfe Scherben drangen tief in die fleischige Hand des Einäugigen. Er schrie auf und starrte seine glasgespickte Hand an, und schlagartig war seine Angriffslust verflogen.
Nicht so die von Brutus, der sich inzwischen wieder aufgerappelt hatte und sich von hinten mit ausgebreiteten Armen auf Zara stürzte. Sie sah seinen Schatten über sich wachsen und wirbelte im letzten Moment zur Seite. Der Kerl mit der Lederweste stieß ein überraschtes Keuchen aus, versuchte, das Gleichgewicht zu halten, und spürte im nächsten Augenblick erneut Zaras Stiefelabsatz, diesmal in der Seite.
Der Tritt schleuderte Brutus gegen den Tisch, an dem sie zuvor zu viert Karten gespielt hatten und der nun quietschend ein Stück über den Boden rutschte. Falk sprang hastig von seinem Stuhl und wich eilig zurück, als Zara ihrem Gegner mit der Schnelligkeit einer Kobra nachstellte, sich vor ihm aufbaute und ihm abwechselnd mit der linken und rechten Hand mehrere Male hart ins Gesicht schlug. Brutus wollte den Hieben ausweichen, doch es gab kein Entkommen. Zara schlug immer wieder zu – links, rechts, links, rechts –, bis sie schließlich die rechte Hand zur Faust ballte und ihrem Gegner einen wuchtigen Hammer verpasste, der Brutus mehrere Schritte nach hinten taumeln und gegen die Theke krachen ließ, an der er benommen nach unten glitt.
Einer hin, zwei im Sinn, ging es Zara durch den Kopf. Sie wirbelte herum und sah gerade noch, wie ein Stuhl auf sie zuraste, geschwungen von dem Tätowierten, der sich wieder aufgerappelt hatte. Zum Ausweichen war es zu spät, und Zara riss instinktiv den rechten Arm hoch; sie wehrte den Stuhl mit dem Unterarm ab. Der Tätowierte hatte all seine Kraft in den Schlag gelegt, und der Stuhl zersplitterte beim Aufprall knirschend in seine Einzelteile. Holzstaub, Trümmer und Splitter stoben davon. Zara wurde ein Stück zurückgeschleudert, doch sie war völlig unverletzt. Der Tätowierte konnte es zunächst nicht fassen.
Dann aber überwand er seine Verwunderung, und er sprang erneut auf Zara zu, um ihr den Rest zu geben. Sie tauchte elegant wie eine Tänzerin unter seinem Hieb weg, kam wieder hoch, packte den Kerl mit einer Hand in seinem Stiernacken und knallte seinen Kopf auf die Tischplatte. Fröhlich klimperten die Münzen darauf, und der Tätowierte brach mit einem leisen Seufzer zu Boden.
Zara wandte sich dem Dickwanst zu, der als Einziger der drei noch stand. Noch immer war sie vollkommen ruhig; nicht einmal ihr Atem ging schneller.
Der Einäugige wich ängstlich zurück, seine verletzte Hand in sein Hemd gepresst. Auf seinen pausbäckigen Wangen zeichneten sich hektische rote Flecken ab, und kalter Schweiß perlte auf seiner Stirn. Sie schaute ihn siegessicher und überheblich an, bevor ihr Blick weiter nach unten glitt, zu seiner verletzten Hand, von der das Blut zu Boden tropfte.
Und plötzlich zuckte es in ihren aristokratisch blassen Zügen. Falk, der sie beobachtete, sah es und fragte sich, was es war, das sich für Sekundenbruchteile in Zaras Miene widerspiegelte. War es ... Gier?
Blutgier?
Einen Augenblick lang stand Zara da und starrte auf die verletzte blutige Hand des Einäugigen. Dann riss sie sich mit Gewalt, so schien es, von diesem Anblick los, wirbelte auf dem Absatz herum und eilte auf die steinernen Stufen zu, die nach oben führten. Vor der ersten blieb sie noch einmal stehen, wandte den Kopf und sah sich nach der Schankmagd um; die Blicke der beiden Frauen trafen sich für einen Moment, und die Magd nickte der fremden Frau dankbar und erleichtert zu.
Dann eilte Zara die Stufen hoch und hinaus in die Nacht, und ihr Mantel bauschte sich hinter ihr auf wie die Flügel einer riesigen Fledermaus.
IV.
„Warte!“
Als Zara den Ruf vernahm, hielt sie, die Zügel in der Hand, kurz inne, einen Fuß bereits im Steigbügel. Sie wandte nicht den Kopf; sie wusste auch so, wer sie gerufen hatte. Sie saß auf und schaute kühl auf den Jungspund hinab, der neben ihrem Hengst stehen blieb.
Falk sah zu ihr auf, seine Wangen waren noch immer gerötet, doch seine Furcht war verflogen. Dafür war da etwas anderes in seinem Blick: Respekt.
Respekt vor ihr.
„Was willst du?“, sagte Zara knapp.
„Dir meinen Dank sagen“, erklärte Falk und strich sich eine wirre Strähne aus dem Gesicht; von seiner schlichten Kleidung ging der Geruch von Schweiß und fauligem Stroh aus. „Dafür, dass du mir geholfen hast.“
„War keine Absicht“, brummte Zara, schnalzte mit der Zunge und führte Kjell in einem gemächlichen Halbkreis auf den Torbogen zu. Eigentlich ging sie davon aus, dass die Angelegenheit damit erledigt war, doch Falk war hartnäckig und ging mit großen Schritten neben dem Pferd her. Erst jetzt fiel Zara auf, wie riesig seine Ohren wirklich waren; wenn der Wind stark von Norden blies, musste der Bursche vermutlich Acht geben, dass er nicht von einer Bö davongetragen wurde.
„Und? Wie lange verdingst du dich schon als Amazone?“
Zara sah Falk an und runzelte die Stirn. „Amazone?“
„Du bist doch eine“, war Falk überzeugt, während er unbeirrt neben dem Pferd herging. „Selbst ein Blinder würde sehen, dass du eine von diesen kampfgierigen Kriegerbräuten aus dem Norden bist, die nichts lieber tun, als miesen Kerlen das Fell über die Ohren zu ziehen. Ihr sollt ja richtige Männermörder sein, wie man so hört.“