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»Seid ihr wahnsinnig geworden?«, schrie er. »Glaubt ihr wirklich, ich wäre unten bei Gulli gewesen und hätte ihm einen Präser über den Schwanz gezogen? Ihr tickt wohl nicht ganz frisch, ihr Saftärsche. Das hier kommt überhaupt nicht infrage, das kommt überhaupt nicht infrage.

Mir ist scheißegal, was ihr dazu sagt. Ihr könnt mich meinetwegen in eine Zelle stecken und den Schlüssel wegschmeißen, aber ich mach bei so einem Scheiß nicht mit, habt ihr das kapiert, ihr Idioten?«

Wutschnaubend stürmte er aus der Küche. Er fühlte sich in seiner Männlichkeit angegriffen, die allerdings durch die Kochmütze etwas beeinträchtigt wurde, und Erlendur musste unwillkürlich lächeln. Er schaute die Laborantin an, die das Lächeln erwiderte und dann anfing zu lachen.

Die Spannung in der Küche löste sich. Köche und Kellner, die sich in der Küche versammelt hatten, brachen in schallendes Gelächter aus.

»Sind die anderen auch so schwierig?«, fragte Erlendur die Laborantin.

»Nein, überhaupt nicht«, erwiderte sie. »Eigentlich zeigen alle großes Verständnis. Er war der Erste, der das unter seiner Würde fand.«

Sie lächelte, und Erlendur mochte ihr Lächeln. Sie war etwa so groß wie er selbst, hatte dichtes blondes Haar, das sie kurz geschnitten trug, und hatte eine bunte Strickjacke an mit einer weißen Bluse darunter, dazu Jeans und solide schwarze Lederschuhe.

»Mein Name ist Erlendur«, rutschte es unwillkürlich aus ihm heraus, und er streckte ihr die Hand hin.

Sie schien etwas verwirrt zu sein.

»Ja«, sagte sie und gab ihm die Hand. »Ich heiße Valgerður.«

»Valgerður?«, wiederholte er. Er sah keinen Ehering. Erlendurs Handy klingelte in der Jackentasche.

»Entschuldige«, sagte er und nahm das Gespräch entgegen.

Er hörte eine altbekannte Stimme, die nach ihm fragte.

»Bist du das?«, sagte die Stimme.

»Ja, ich bin’s«, sagte Erlendur.

»Mit diesen Mobiltelefonen kenne ich mich nicht aus«, sagte die Stimme am Telefon. »Wo bist du eigentlich? Bist du in dem Hotel? Du stehst vielleicht unter Druck. Oder im Aufzug.«

»Ich bin im Hotel.« Erlendur legte die Hand über den Lautsprecher und bat Valgerður, einen Augenblick zu warten.

Dann ging er durch den Speisesaal in die Lobby. Marian Briem war am Telefon.

»Schläfst du im Hotel?«, fragte Marian. »Stimmt was nicht bei dir? Warum gehst du nicht nach Hause?«

Marian Briem war jahrzehntelang bei der Kriminalpolizei gewesen und hatte mit Erlendur zusammengearbeitet. Er hatte Erlendur damals in den Job eingewiesen, als der bei der Polizei angefangen hatte. Marian telefonierte ab und zu mit Erlendur und beklagte sich, dass er nie zu Besuch käme. Zwischen ihnen hatte nie ein besonders inniges Verhältnis geherrscht, und Erlendur hatte eigentlich keine Lust, Marian jetzt im Alter zu besuchen. Vielleicht, weil sie einander zu ähnlich waren. Vielleicht sah er in Marian seine Zukunft vor sich, und das wollte er vermeiden. Marian war einsam und langweilte sich im Ruhestand.

»Wieso rufst du an?«, fragte Erlendur.

»Da gibt es immer noch ein paar Leute, die mich nicht ganz vergessen haben und Verbindung zu mir halten, auch wenn du kein Interesse daran zu haben scheinst«, sagte Marian.

Erlendur war drauf und dran, das Gespräch sofort abzubrechen, aber irgendetwas ließ ihn zögern. Marian Briem hatte ihn schon ein paar Mal auf eine Spur gebracht, ohne dass er darum gebeten hatte. Er durfte nicht zu unhöflich sein.

»Kann ich dir mit irgendwas behilflich sein?«, fragte Erlendur.

»Sag mir den Namen des Mannes. Ich könnte etwas herausfinden, was ihr übersehen habt.«

»Du kannst es nicht lassen.«

»Ich langweile mich«, sagte Marian. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich langweile. Jetzt bin ich schon fast zehn Jahre im Ruhestand, und ich kann dir sagen, jeder Tag in dieser Hölle ist wie eine ganze Ewigkeit. Wie tausend Jahre jeder einzelne Tag.«

»Da wird doch einiges für Senioren gemacht«, sagte Erlendur. »Wie wär’s mit Bingo?«

»Bingo«, schnaubte Marian.

Erlendur nannte Guðlaugurs Namen. Er fügte einige Informationen über die Sachlage hinzu und verabschiedete sich dann, ohne dass es zu unhöflich klang. Das Handy klingelte im gleichen Moment wieder.

»Ja«, sagte Erlendur.

»Wir haben einen Zettel im Zimmer des Toten gefunden«, sagte eine Stimme am Telefon. Es war der Chef der Spurensicherung.

»Einen Zettel?«

»Auf dem steht: Henry 18.30.«

»Henry? Warte mal, wann hat das Mädchen den Weihnachtsmann gefunden?«

»So gegen sieben.«

»Dieser Henry könnte also bei ihm im Zimmer gewesen sein, als er ermordet wurde?«

»Weiß ich nicht. Aber da ist noch was anderes.«

»Ja?«

»Es könnte sein, dass das Kondom dem Weihnachtsmann gehört hat. In der Tasche seiner Livree war eine ganze Zehnerschachtel, drei fehlen.«

»Sonst noch was?«

»Nein, nur eine Brieftasche mit fünfhundert Kronen, ein alter Personalausweis und ein Kassenzettel vom ›10-11-Supermarkt‹, datiert auf vorgestern. Doch, und dann noch ein Schlüsselbund mit zwei Schlüsseln.«

»Was für Schlüssel?«

»Der eine scheint mir ein Hausschlüssel zu sein, und der andere könnte ein Schlüssel zu einem Schrank sein oder so was. Er ist viel kleiner.«

Das Gespräch war beendet. Erlendur hielt Ausschau nach der Laborantin, aber sie war verschwunden.

Unter den ausländischen Hotelgästen gab es zwei mit dem Vornamen Henry. Einerseits ein Amerikaner namens Henry Bartlet, und andererseits ein Engländer, Henry Wapshott. Der Letztere antwortete nicht, als man bei ihm durchklingeln ließ, aber Bartlet war auf seinem Zimmer und wunderte sich sehr, als sich herausstellte, dass die isländische Polizei etwas von ihm wollte. Die Story des Hotelmanagers über den Herzinfarkt des Portiers war offensichtlich glaubwürdig gewesen.

Erlendur nahm Sigurður Óli zu dem Treffen mit Henry Bartlet mit. Sigurður Óli hatte ein amerikanisches Diplom in Kriminalwissenschaften, auf das er sich nicht wenig einbildete, und beherrschte die Sprache wie ein Eingeborener. Der amerikanische Singsang ging Erlendur zwar auf die Nerven, aber damit musste man sich abfinden.

Auf dem Weg nach oben berichtete Sigurður Óli Erlendur darüber, dass man mit der Mehrzahl der Hotelangestellten, die Schicht hatten, als Guðlaugur ermordet wurde, gesprochen hatte, und dass die meisten ein Alibi vorzuweisen hatten, das von anderen bestätigt werden konnte.

Bartlet war um die dreißig, ein Börsenmakler aus Colorado. Er und seine Frau hatten vor einiger Zeit eine Sendung über Island im amerikanischen Fernsehen gesehen und sich von der wilden isländischen Natur und der Blauen Lagune faszinieren lassen; dort waren sie bereits dreimal gewesen. Sie hatten einfach beschlossen, einen Traum Wirklichkeit werden zu lassen und Weihnachten und Silvester in diesem fernen Winterland zu verbringen. Sie waren hellauf begeistert vom Land, fanden aber die Preise in den Restaurants und Kneipen der Stadt unverschämt hoch.

Sigurður Óli nickte zustimmend. Für ihn waren die USA das Land seiner Träume, und er genoss es in vollen Zügen, sich mit dem Ehepaar zu unterhalten und mit ihnen über Basketball und amerikanische Weihnachtsbräuche zu reden, bis Erlendur genug hatte und ihn unterbrach.

Sigurður Óli informierte die Eheleute über den Tod des Portiers und den Zettel, den man in dem Zimmer gefunden hatte. Henry Bartlet und seine Frau starrten die Kriminalbeamten an, als hätten sie sich urplötzlich in Gäste von einem anderen Planeten verwandelt.

»Ihr habt den Portier nicht gekannt, oder?«, fragte Sigurður Óli, als er ihre entgeisterten Mienen sah.

»Mord?«, stöhnte Henry. »Hier im Hotel?«