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»Oh, my god«, sagte seine Frau und sank auf das Doppelbett nieder. Sigurður Óli beschloss, das Kondom nicht zu erwähnen. Er erklärte, dass der Zettel darauf hindeutete, dass Guðlaugur, der Ermordete, eine Verabredung mit einem Mann namens Henry gehabt hatte, aber sie wüssten nicht, an welchem Datum und ob dieses Treffen bereits stattgefunden hatte oder möglicherweise erst zwei Tage, eine Woche oder zehn Tage später stattfinden sollte.

Henry Bartlet und seine Frau wiesen es weit von sich, den Portier gekannt zu haben. Sie hatten ihn nicht einmal wahrgenommen, als sie vor vier Tagen im Hotel eincheckten. Erlendur und Sigurður Óli hatten sie ganz offensichtlich in Aufregung versetzt.

»Jesus«, ächzte Henry. »Ein Mord!«

»You have murders in Iceland?«, fragte die Frau und schaute auf die Icelandair-Broschüre auf dem Nachttisch.

»Cindy«, hatte sie zu Sigurður Óli gesagt, als sie sich begrüßten.

»Rarely«, sagte er und versuchte zu lächeln.

»Dieser Henry muss nicht unbedingt Gast im Hotel gewesen sein«, konstatierte Sigurður Óli, während sie auf den Aufzug nach unten warteten. »Muss nicht mal ein Ausländer sein. Es gibt auch Isländer, die Henry heißen.«

»Genau«, sagte Erlendur. »Der stammt bestimmt aus dem edlen Geschlechte derer von Reißaus.«

Sechs

Sigurður Óli hatte den ehemaligen Hoteldirektor ausfindig gemacht. Deshalb verabschiedete er sich von Erlendur, als sie in die Lobby kamen, und machte sich auf den Weg zu ihm. Erlendur fragte nach dem Empfangschef, aber der war immer noch nicht aufgetaucht und hatte auch nichts von sich hören lassen. Henry Wapshott hatte am frühen Morgen seinen Schlüssel an der Rezeption hinterlegt, ohne dass es irgendjemandem aufgefallen wäre. Er hielt sich schon seit einer Woche im Hotel auf, und sein Zimmer war für zwei weitere Tage gebucht. Erlendur bat darum, sofort benachrichtigt zu werden, wenn Wapshott sich an der Rezeption blicken ließe.

Der Hotelmanager watschelte an Erlendur vorbei.

»Ich hoffe nur, du belästigst meine Gäste nicht«, sagte er.

Erlendur zog ihn ein wenig beiseite.

»Wie sieht es hier im Hotel mit Prostitution aus?«, fragte Erlendur ohne Umschweife, als sie beim Weihnachtsbaum in der Eingangshalle standen.

»Prostitution? Wovon redest du eigentlich?«, stieß der Hotelmanager ächzend hervor und wischte sich mit seinem zerknüllten Taschentuch über den Nacken.

Erlendur blickte ihn an und wartete.

»Jetzt fang bloß nicht an, so einen verdammten Quatsch damit in Verbindung zu bringen«, sagte der Hotelmanager.

»Hat der Portier hier vielleicht die Nutten besorgt?«

»Jetzt hör aber mal auf«, sagte der Hotelmanager. »Es gibt keine Nutt… keine Prostitution in diesem Hotel.«

»In allen Hotels gibt’s Prostitution.«

»Nanu?«, sagte der Hotelmanager. »Hast du Erfahrung damit?«

Darauf antwortete Erlendur nicht.

»Willst du damit andeuten, dass unser Portier hier den Zuhälter gespielt hat?«, erklärte der Hotelmanager und klang schockiert. »Noch nie in meinem Leben habe ich so einen absurden Quatsch gehört. Das hier ist kein Striplokal. Das hier ist das zweitgrößte Hotel in Reykjavik!«

»Lungern hier wirklich keine Frauen an der Bar oder im Foyer herum, die es auf die Männer abgesehen haben und mit ihnen aufs Zimmer gehen?«

Der Hotelmanager zögerte. Er schien Erlendur nicht gegen sich aufbringen zu wollen.

»Das ist ein großes Hotel«, sagte er schließlich. »Wir können nicht alles mitverfolgen, was sich hier abspielt. Falls es tatsächlich eindeutig um Prostitution geht, versuchen wir, etwas zu unternehmen, aber es ist ziemlich schwierig. Falls wir etwas beobachten, was nicht ganz koscher ist, mischen wir uns ein. Ansonsten bleibt es den Gästen überlassen, was sie auf ihren Zimmern treiben.«

»Ausländer und reiche Isländer, Reeder vom Land, hast du das nicht gesagt?«

»Ja, und natürlich noch viele andere. Das ist keine billige Absteige. Es ist ein renommiertes Hotel, und die Gäste sind gut situiert und können sich im Allgemeinen die Übernachtung locker leisten. Hier verkehrt kein Gesocks. Sieh dich um Himmels willen vor, solche Gerüchte in Umlauf zu setzen. Die Konkurrenz ist so schon hart genug, und es ist furchtbar, mit diesem Mord in Verbindung gebracht zu werden.«

Der Hotelmanager schwieg eine Weile.

»Hast du vor, weiterhin hier im Hotel zu übernachten?«, fragte er dann. »Ist das nicht in hohem Maße ungewöhnlich?«

»Hier ist nur eins ungewöhnlich, nämlich ein toter Weihnachtsmann bei dir im Keller«, entgegnete Erlendur lächelnd.

Er sah, wie die Laborantin mit ihren Gerätschaften aus der Hotelbar im Erdgeschoss kam. Er verabschiedete sich mit einem Kopfnicken vom Hotelmanager und ging zu ihr hinüber. Sie wandte ihm den Rücken zu und war auf dem Weg zur Garderobe beim Seiteneingang des Hotels.

»Wie geht es voran?«, fragte Erlendur. Sie drehte sich um und erkannte ihn sofort wieder, ging aber trotzdem weiter.

»Leitest du diese Ermittlung?«, fragte sie und betrat die Garderobe, wo sie einen Mantel vom Bügel nahm. Sie bat Erlendur, ihre Tasche zu halten.

»Es waren nicht alle begeistert von den Speichelproben«, sagte sie, »und damit meine ich nicht nur den Koch.«

»Uns geht es in erster Linie darum, die Hotelangestellten auszuschließen, damit wir uns auf andere Dinge konzentrieren können, ich dachte, euch wäre das als Erklärung an die Hand gegeben worden.«

»Hat nicht viel genutzt. Habt ihr was gefunden?«

»Valgerður ist ein alter isländischer Name, nicht wahr?«, sagte Erlendur, ohne auf ihre Frage einzugehen.

Sie lächelte.

»Darfst du nicht über die Ermittlung sprechen?«

»Nein.«

»Würde es dir etwas ausmachen, wenn Valgerður ein alter Name ist?«

»Mir? Nein, ich …« Erlendur zögerte.

»Sonst noch was?«, fragte Valgerður und streckte ihre Hand nach ihrer Tasche aus. Sie musste über diesen Mann lächeln, der in seiner geknöpften Strickweste unter dem schäbigen Jackett mit den abgenutzten Ellbogenschonern vor ihr stand und sie mit traurigen Augen anschaute. Sie waren wahrscheinlich im gleichen Alter, aber er wirkte zehn Jahre älter als sie.

Es rutschte Erlendur heraus, ohne dass ihm klar war, was er da eigentlich sagte. Diese Frau hatte irgendwas.

Und er sah keinen Ring.

»Ich hätte gern gewusst, ob ich dich heute Abend hier zum Abendessen einladen darf, zum Weihnachtsbüfett, das ist wirklich exzellent.«

Er wusste gar nichts über sie, und er sagte es so, als hätte er keine Chance, eine positive Antwort zu bekommen, aber er hatte es trotzdem gesagt, und er wartete nur darauf, dass sie anfangen würde, zu lachen und ihm von ihrer Ehe zu erzählen, von vier Kindern, Einfamilienhaus und Sommerhaus, Konfirmationsfeiern und Abiturpartys, das älteste Kind bereits verheiratet, und wie sehr sie sich darauf freute, mit dem geliebten Ehegatten in Frieden alt zu werden.

»Vielen Dank«, sagte sie. »Das ist sehr nett. Aber … leider, ich kann nicht. Trotzdem vielen Dank.«

Sie nahm ihm die Tasche ab, die er für sie aufgehoben hatte, zögerte einen Augenblick, schaute ihn an und verließ dann das Hotel. Erlendur blieb halb benommen in der Garderobe zurück. Es war Jahre her, seit er zuletzt eine Frau eingeladen hatte. Sein Handy klingelte in der Jackentasche, er holte es geistesabwesend hervor und nahm den Anruf entgegen. Es war Elinborg.

»Jetzt kommt er in den Saal«, sagte sie beinahe im Flüsterton.

»Was?«, sagte Erlendur.

»Der Vater, er kommt gerade mit seinen beiden Rechtsanwälten herein. Weniger reicht wohl nicht, um ihn reinzuwaschen.«

»Sind viele Leute da?«, fragte Erlendur.

»Nein, nur ganz wenige. Ich glaube, das ist die Familie des Jungen mütterlicherseits, und dann noch ein paar Journalisten.«