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Wapshott starrte Erlendur an, während der ihm diese Informationen gab, und schüttelte ungläubig den Kopf, als begriffe er nicht ganz, was er hörte.

»Ist er tot?«

»Ja.«

»Ermordet?!«

»Ja.«

»Oh my God«, stöhnte Wapshott.

»Woher kannten Sie Guðlaugur?«, fragte Erlendur.

Wapshott schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein, und Erlendur wiederholte die Frage.

»Ich kenne ihn seit vielen Jahren«, sagte Wapshott endlich und lächelte, sodass man kleine nikotingeschädigte Zähne sehen konnte, bei einigen war die Bissfläche schwarz.

Erlendur war davon überzeugt, dass er Pfeifenraucher war.

»Wann haben Sie ihn kennen gelernt?«

»Wir haben uns nie kennen gelernt«, sagte Wapshott. »Ich habe ihn nie gesehen. Ich wollte mich heute Abend zum ersten Mal mit ihm treffen. Deswegen bin ich nach Island gekommen.«

»Sind Sie nach Island gekommen, um ihn zu treffen?«

»Ja, unter anderem.«

»Aber woher haben Sie ihn denn dann gekannt? Wenn Sie ihn nie kennen gelernt haben, was war denn das für eine Verbindung?«

»Es gab keine Verbindung«, sagte Wapshott.

»Ich verstehe Sie nicht«, sagte Erlendur.

»Da ist niemals eine Verbindung gewesen«, wiederholte Wapshott und setzte mit den Fingern das Wort Verbindung in Anführungszeichen.

»Was dann?«, fragte Erlendur.

»Nur einseitige Verehrung meinerseits«, sagte Wapshott.

Erlendur ließ ihn die letzten Worte noch einmal wiederholen. Es war ihm völlig unbegreiflich, wie dieser Mann, der offenbar extra aus England angereist war, Guðlaugur verehren konnte, ohne ihn je getroffen zu haben. Einen Portier in einem Hotel. Einen Mann, der in einem Kabuff im Keller wohnte und mit runtergelassenen Hosen und einem Messerstich im Herzen aufgefunden worden war.

Einseitige Verehrung. Einen Mann, der auf Kinderfesten den Weihnachtsmann spielte.

»Ich habe keine Ahnung, worüber Sie reden«, sagte Erlendur. Dann erinnerte er sich daran, dass Wapshott ihn oben auf dem Hotelflur gefragt hatte, ob er Sammler sei.

»Warum wollten Sie wissen, ob ich Sammler bin?«, fragte er. »Sammler von was? Was meinen Sie damit?«

»Ich dachte, dass Sie vielleicht Plattensammler seien«, sagte Wapshott. »Wie ich.«

»Plattensammler? Platten? Meinen Sie …?«

»Ich sammle alte Platten«, sagte Wapshott. »Alte Schallplatten. Vinylplatten. In dem Zusammenhang kenne ich Guðlaugur. Ich wollte mich vorhin mit ihm treffen und habe mich wirklich auf diese Begegnung gefreut, deswegen verstehen Sie vielleicht, dass es ein ziemlicher Schock war, als ich erfuhr, dass er tot ist. Ermordet! Wer hätte ihn ermorden wollen?«

Seine Verwunderung wirkte echt.

»Haben Sie ihn vielleicht gestern getroffen?«, fragte Erlendur.

»Worauf wollen Sie … Glauben Sie etwa, dass ich lüge? Bin ich …? Wollen Sie mir etwa sagen, dass ich unter Mordverdacht stehe? Glauben Sie, dass ich etwas mit seinem Tod zu tun habe?«

Erlendur blickte ihn an und schwieg.

»Aber das ist ja absurd!«, sagte Wapshott und sprach unwillkürlich lauter. »Ich habe mich seit langem darauf gefreut, diesen Mann zu treffen. Seit Jahren. Das kann nicht Ihr Ernst sein.«

»Wo waren Sie gestern um diese Zeit?«, fragte Erlendur.

»In der Stadt«, erwiderte Wapshott. »Ich war in der Stadt. Ich war in einem Sammlerladen da an der Hauptgeschäftsstraße, und dann habe ich indisch gegessen, das Restaurant war da ganz in der Nähe.«

»Sie sind bereits einige Tage hier im Hotel. Warum waren Sie nicht früher mit Guðlaugur verabredet?«

»Aber … Haben Sie nicht gesagt, dass er tot ist? Was meinen Sie damit?«

»Haben Sie ihn nicht gleich treffen wollen, nachdem Sie ins Hotel gekommen waren? Sie haben sich doch so auf die Begegnung gefreut. Warum haben Sie so lange gewartet?«

»Er hat Zeit und Ort bestimmt. Oh my God, in was bin ich da hineingeraten?«

»Wie haben Sie überhaupt Verbindung zu Guðlaugur bekommen? Und was meinen Sie mit einseitiger Verehrung?«

Henry Wapshott schaute ihn an.

»Ich meine …«, begann Wapshott, aber Erlendur ließ ihn nicht ausreden.

»Sie haben gewusst, dass er hier im Hotel arbeitet?«

»Ja.«

»Wie haben Sie davon erfahren?«

»Ich hatte mich darüber informiert. Ich bin immer darauf bedacht, mich gut über meine Objekte zu informieren. Meine Sammelobjekte.«

»Und deswegen haben Sie in diesem Hotel übernachtet?«

»Ja.«

»Wollten Sie Platten von ihm kaufen?«, fuhr Erlendur fort.

»Haben Sie sich auf diese Weise kennen gelernt? Zwei Sammler mit ähnlichen Interessen?«

»Wie ich bereits gesagt habe, ich kannte ihn nicht, aber ich hatte vor, ihn persönlich kennen zu lernen.«

»Was meinen Sie damit?«

»Sie haben offensichtlich keine Ahnung, wer er war, oder?«, sagte Wapshott. Es hatte ganz den Anschein, als sei er erstaunt darüber, dass Erlendur Guðlaugur Egilsson nicht zu kennen schien.

»Er war Hausmeister oder Portier und Weihnachtsmann«, sagte Erlendur. »Muss ich noch mehr über ihn wissen?«

»Wissen Sie, was mein Spezialgebiet ist?«, fragte Wapshott. »Ich weiß nicht, wie viel Sie von Sammlern im Allgemeinen und Plattensammlern im Besonderen verstehen, aber die meisten Sammler haben ihre Spezialgebiete. Bei einigen kann es wirklich zu einer Marotte werden. Es ist unglaublich, was Leute sich alles einfallen lassen zu sammeln. Ich weiß von einem Mann, der Kotztüten von praktisch allen Fluglinien der Welt gesammelt hat. Ich weiß von Frauen, die Haare von Barbie-Puppen sammeln.«

Wapshott blickte Erlendur an.

»Wissen Sie, was mein Spezialgebiet ist?«, wiederholte er.

Erlendur schüttelte den Kopf. Er war sich nicht sicher, ob er das mit den Kotztüten richtig verstanden hatte. Und was sollte das mit den Barbie-Puppen?

»Mein Spezialgebiet sind Knabenchöre.«

»Knabenchöre?«

»Und nicht nur Knabenchöre. Mein ganz besonderes Interesse gilt Chorknaben.«

Erlendur zögerte, weil er sich nicht sicher war, ob er den Mann vielleicht missverstanden hatte.

»Chorknaben?«

»Ja.«

»Sammeln Sie Platten mit Chorknaben?«

»Ja. Ich sammle selbstverständlich auch andere Platten, aber Chorknaben sind — wie soll man das ausdrücken? — meine Leidenschaft.«

»Was hat das mit Guðlaugur zu tun?«

Henry Wapshott lächelte. Er streckte die Hand nach einer ledernen schwarzen Aktentasche aus, die er dabeihatte. Er öffnete sie und entnahm ihr die Hülle einer kleinen 45er Schallplatte.

Er zog eine Brille aus der Brusttasche, und Erlendur sah, dass ein weißer Zettel auf den Boden fiel. Er bückte sich danach und sah, dass der Name Brenner’s mit grünen Buchstaben aufgedruckt war.

»Vielen Dank«, sagte Wapshott. »Eine Serviette aus einem deutschen Hotel. Sammeln ist eine Leidenschaft«, fügte er entschuldigend hinzu.

Erlendur nickte.

»Ich wollte ihn bitten, diese Plattenhülle für mich zu signieren«, sagte Wapshott und reichte Erlendur die Platte.

Auf der Vorderseite stand mit goldenen, geschwungenen Buchstaben ›Guðlaugur Egilsson‹, dazu das Schwarzweiß-Foto eines sommersprossigen Jungen mit glatt gekämmten Haaren, ein Junge, der kaum älter als zwölf Jahre war und Erlendur anlächelte.

»Er hatte eine unerhört sensible Stimme«, sagte Wapshott. »Aber dann kommt die Pubertät und …« Er zuckte resigniert mit den Achseln. »In dieser Stimme konnte man Wehmut und Sehnsucht spüren. Ich finde es erstaunlich, dass Sie nie etwas von ihm gehört haben und nicht wissen, wer er war, wenn Sie diesen Mordfall bearbeiten. Er muss doch seinerzeit einen ziemlichen Namen gehabt haben.