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»Das ist in der Regel so.«

»Was?«

»Wenn man tot ist, ist es hoffnungslos.«

»Eben.« Erlendur zögerte. »Wieso redest du vom Tod?«

»Nichts.«

»Stimmt was nicht?«

»Dank dir, dass du mir ein paar Brocken zuwirfst.«

»War es nicht das, was du wolltest? In diesem trostlosen Ruhestandsdasein ein bisschen was zum Rumschnüffeln zu haben?«

»Auf jeden Fall ist dieser Tag gerettet«, sagte Marian. »Hast du dich bereits mit dem Kortisol im Speichel befasst?«

»Ich habe es vor«, sagte Erlendur, und sie beendeten das Gespräch.

Der Empfangschef hatte ein kleines separates Büro hinter der Rezeption. Dort saß er und ging Papiere durch, als Erlendur zu ihm hereinkam und die Tür hinter sich zumachte. Der Mann stand auf und wollte protestieren. Er erklärte, keine Zeit zu haben, mit Erlendur zu reden, er sei auf dem Weg zu einer Besprechung, aber Erlendur setzte sich und verschränkte die Arme.

»Vor was fliehst du eigentlich?«, fragte er.

»Was meinst du damit?«

»Gestern war hier im Hotel die Hölle los, und du hast dich nicht blicken lassen. Du warst wie auf der Flucht, als ich an dem Abend mit dir sprach, als der Portier ermordet wurde. Und jetzt sitzt du auch wie auf glühenden Kohlen.

Mir wurde gesagt, dass du Guðlaugur am besten gekannt hast. Du streitest das ab. Du behauptest, nichts über ihn zu wissen. Ich glaube, du lügst. Du warst sein direkter Vorgesetzter. Du solltest etwas mehr Kooperationsbereitschaft an den Tag legen. Es ist bestimmt kein Spaß, Weihnachten im Untersuchungsgefängnis zu verbringen.«

Der Empfangschef starrte Erlendur an und wusste augenscheinlich nicht, wie er reagieren sollte. Dann setzte er sich langsam auf seinen Stuhl.

»Gegen mich liegt nichts vor«, erklärte er. »Es ist völlig absurd zu glauben, dass ich das getan hätte. Dass ich in Guðlaugurs Kammer gewesen wäre und … ich meine, das mit dem Kondom und all das.«

Erlendur war alles andere als erfreut darüber, dass allem Anschein nach einige Details im Hotel durchgesickert waren und natürlich ein gefundenes Fressen für das Personal waren. Der Koch wusste ganz genau, warum die Speichelproben entnommen wurden. Der Empfangschef schien ebenfalls eine ziemlich klare Vorstellung davon zu haben, wie Guðlaugur aufgefunden worden war. Vielleicht hatte der Hotelmanager alles ausgeplaudert, oder vielleicht das Mädchen, das die Leiche entdeckt hatte, vielleicht auch die Polizisten.

»Wo warst du gestern?«, fragte Erlendur.

»Ich war krank«, sagte der Empfangschef. »Ich war den ganzen Vormittag zu Hause.«

»Du hast niemandem Bescheid gesagt. Bist du zum Arzt gegangen? Hat er dir ein Attest ausgestellt? Kann ich mich mit ihm unterhalten? Wie heißt er?«

»Ich bin nicht zum Arzt gegangen, ich habe nur im Bett gelegen. Mir geht es inzwischen besser.« Er versuchte krampfhaft zu husten. Erlendur lächelte. Der Empfangschef war der armseligste Lügner, der ihm jemals untergekommen war.

»Warum lügst du mir was vor?«

»Gegen mich liegt nichts vor«, wiederholte der Empfangschef. »Dir fällt nichts Besseres ein, als mir zu drohen. Ich will, dass du mich in Ruhe lässt.«

»Ich kann natürlich auch mit deiner Frau sprechen«, sagte Erlendur. »Sie fragen, ob sie dir gestern Tee ans Bett gebracht hat.«

»Lass sie bloß da raus«, sagte der Empfangschef, und plötzlich schwang ein härterer und ernster Ton in der Stimme mit. Er wurde rot.

»Ich lass sie da nicht raus«, sagte Erlendur. Der Empfangschef schien Erlendur mit seinen Blicken töten zu wollen.

»Du wirst nicht mit ihr reden.«

»Warum denn nicht? Was versuchst du eigentlich zu verbergen? Du verhältst dich inzwischen in meinen Augen schon so verdächtig, dass du mich so schnell nicht loswerden wirst.«

Der Empfangschef starrte vor sich hin und stöhnte.

»Lass mich in Ruhe. Es hat nichts mit Guðlaugur zu tun. Ich habe einige private Probleme und versuche, das auf die Reihe zu kriegen.«

»Worum dreht es sich?«

»Darüber muss ich mich mit dir nicht unterhalten.«

»Überlass es doch mir, das zu beurteilen.«

»Du kannst mich nicht dazu zwingen.«

»Wie gesagt: Ich kann Untersuchungshaft für dich anordnen lassen. Oder ich kann ganz einfach mit deiner Frau sprechen.«

Der Empfangschef seufzte tief auf.

»Es bleibt aber unter uns?«

»Falls es nichts mit Guðlaugur zu tun hat.«

»Es hat nichts mit ihm zu tun.«

»In Ordnung.«

»Vorgestern hat jemand bei meiner Frau angerufen«, sagte der Empfangschef. »Am gleichen Tag, an dem ihr Guðlaugur gefunden habt.«

Am Telefon war eine weibliche Stimme gewesen, die seine Frau nicht kannte, und hatte nach ihm gefragt. Mitten in einer normalen Arbeitswoche, aber es war nicht weiter ungewöhnlich, dass tagsüber nach ihm gefragt wurde.

Alle, die ihn kannten, wussten, dass seine Arbeitszeiten ziemlich unregelmäßig waren. Seine Frau war Ärztin, die schichtweise im Krankenhaus arbeitete. Der Anruf hatte sie geweckt; sie musste erst abends wieder zur Arbeit. Die Frau am Telefon tat, als würde sie den Empfangschef gut kennen, war aber sofort auf der Hut, als die Ehefrau wissen wollte, wer sie war.

»Wer bist du?«, hatte sie gefragt. »Warum rufst du hier an?«

Die Antwort, die daraufhin erfolgte, hatte noch mehr Verwunderung und Befremden ausgelöst.

»Er hat Schulden bei mir«, hatte die Stimme am Telefon gesagt.

»Sie hatte mir damit gedroht, dass sie zu Hause anrufen würde«, sagte der Empfangschef zu Erlendur.

»Und wer war das?«

Vor zehn Tagen hatte er abends einen draufgemacht. Die Ehefrau war auf einem Ärztekongress in Schweden, und er war mit drei Freunden essen gegangen. Sie hatten viel Spaß, alles alte Freunde, sie machten nach dem Essen einen Kneipenbummel und endeten in einem populären Vergnügungslokal in der Altstadt. Dort hatte er seine Freunde aus den Augen verloren, war zur Bar gegangen und hatte dort ein paar Leute getroffen, die er aus der Hotelbranche kannte. Er stand ganz in der Nähe einer kleinen Tanzfläche und schaute sich die tanzenden Leute an. Er war ein bisschen betrunken, aber doch nicht so, dass er nicht imstande gewesen wäre, vernünftige Entscheidungen zu treffen.

Deswegen war das alles so unbegreiflich für ihn. So etwas hatte er noch nie gemacht.

Sie kam auf ihn zu, und genau wie in Spielfilmen hatte sie eine Zigarette zwischen den Fingern und bat um Feuer. Er rauchte zwar nicht, aber wegen seiner Tätigkeit hatte er sich angewöhnt, immer ein Feuerzeug bei sich zu tragen.

Die Angewohnheit stammte noch aus der Zeit, in der man überall rauchen durfte, wo man wollte. Sie redete mit ihm über etwas, was ihm schon längst wieder entfallen war, und fragte dann, ob er sie nicht zu einem Glas einladen wolle.

Er schaute sie an. Doch, natürlich. Sie standen an der Bar, und er bestellte die Getränke, und als ein kleiner Tisch frei wurde, setzten sie sich. Sie war sehr attraktiv und flirtete mit ihm. Er nahm zwar an dem Spiel teil, war aber unsicher, was sich da abspielte. Frauen benahmen sich ihm gegenüber normalerweise nicht so. Sie saß ganz dicht neben ihm und war zudringlich. Als er aufstand, um einen zweiten Drink zu holen, ließ sie ihre Hand über seinen Schenkel gleiten. Er schaute sie an und sie lächelte. Eine attraktive, schöne Frau, die wusste, was sie wollte. Sie war vielleicht zehn Jahre jünger als er.

Zu fortgeschrittener Stunde fragte sie, ob er sie nach Hause begleiten würde. Sie wohnte ganz in der Nähe, und sie machten sich auf den Weg. Er war immer noch verunsichert und zögerte, aber war auch gespannt, was noch kommen mochte. Das alles war ihm so fremd, er kam sich vor wie auf dem Mond. Dreiundzwanzig Jahre lang war er seiner Frau treu gewesen. Zwei- oder dreimal in all den Jahren hätte er eine andere Frau küssen können, aber so etwas wie das hier war ihm nie zuvor passiert.