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»An mich?«, sagte Ösp und warf einen Haufen Handtücher in den Wäschekorb. »Hoffentlich keine Sauereien«, sagte sie. »Mir reichen echt die hier im Hotel.«

»Nein«, sagte Erlendur. »Keine Sauereien.«

»Schwabbel hat mich gefragt, ob ich irgendwelchen Quatsch habe durchsickern lassen. Und der Koch hat mich angeschnauzt, als hätte ich was von seinem Weihnachtsbüfett geklaut. Sie haben gewusst, dass du mit mir geredet hast.«

»Hier im Hotel wissen so ungefähr alle alles voneinander«, sagte Erlendur. »Aber es verrät im Grunde trotzdem niemand etwas über den anderen. Es ist ganz schön schwierig, es mit solchen Leuten zu tun zu haben. Beispielsweise mit dir.«

»Mit mir?« Ösp ging in das Zimmer, das sie gerade sauber machte, und Erlendur folgte ihr wie zuvor.

»Du sagst einem, was du weißt, man glaubt jedes Wort, weil du aufrichtig zu sein scheinst, aber trotzdem sagst du nur einen Bruchteil von dem, was du weißt. Und das ist im Endeffekt auch eine Art Lüge. Solche Art von Lügen nehmen wir bei der Polizei ebenfalls sehr ernst. Weißt du, worüber ich spreche?«

Ösp antwortete ihm nicht. Sie war damit beschäftigt, die Bettwäsche zu wechseln. Erlendur beobachtete sie. Ihr war nicht anzusehen, was sie dachte. Sie tat, als sei er gar nicht im Zimmer. Als könnte sie ihn abschütteln, indem sie so tat, als gäbe es ihn nicht.

»Du hast mir beispielsweise nicht gesagt, dass du einen Bruder hast«, sagte Erlendur.

»Weswegen sollte ich dir das sagen?«

»Weil er in Schwierigkeiten ist.«

»Er ist nicht in Schwierigkeiten.«

»Nicht meinetwegen«, sagte Erlendur. »Ich habe ihn nicht in Schwierigkeiten gebracht. Aber er ist in Schwierigkeiten und kommt dann manchmal zu seiner Schwester, wenn er sie braucht.«

»Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst.«

»Ich werde es dir sagen. Er ist zweimal im Knast gewesen, nicht lange, immer wegen Einbruch und Diebstahl.

Hin und wieder ist er dabei erwischt worden, ein anderes Mal wiederum nicht, das Übliche halt. Typische Bereicherungsdelikte eines Kleinkriminellen. Typisch für Drogenkriminalität. Er ist bei den teuersten Drogen angelangt und hat nie genug Geld. Aber die Dealer kennen kein Pardon. Sie haben ihn öfter als einmal zu fassen gekriegt und ihn zusammengeschlagen. Einmal haben sie gedroht, ihm mit einem Vorschlaghammer das Knie zu zertrümmern. Außer Stehlen muss er noch diverse andere Dinge machen. Um die Schulden bezahlen zu können.«

Ösp legte die Bettwäsche ab.

»Er hat da verschiedene Mittel und Wege gefunden, um seinen Konsum zu finanzieren«, sagte Erlendur. »Das weißt du wahrscheinlich. Das ist so üblich bei diesen Kindern. Kindern, die haschen, kiffen, fixen.«

Ösp antwortete ihm nicht.

»Verstehst du, was ich sage?«

»Hast du das von Stina?«, fragte Ösp. »Ich habe sie gestern hier im Hotel gesehen. Ich habe sie oft hier gesehen, und wenn irgendjemand eine Nutte ist, dann sie.«

»Sie hat mir nichts von alldem gesagt«, erwiderte Erlendur und gestattete Ösp nicht, das Thema zu wechseln. »Es ist nicht lange her, seitdem dein Bruder unten in dem Flur war, wo Guðlaugur wohnte. Es kann sogar gut sein, dass er nach dem Mord gekommen ist. Am hintersten Ende des Gangs ist es stockfinster, dort kommt nie jemand hin. Es kann sein, dass er erst vor kurzem noch einmal dort gewesen ist, zumindest riecht es dort noch danach. Man kann den Geruch immer noch wahrnehmen. Jemand, der sich mit Hasch oder Speed und Heroin auskennt, riecht das sofort.«

Ösp starrte ihn an. Erlendur hatte nicht viel in der Hand, als er sie aufsuchte. Nur, dass diese dunkle Nische gründlich geputzt worden war, aber er sah an ihrer Reaktion, dass das, was er sagte, der Wahrheit ziemlich nahe kam. Er überlegte, ob er sich noch weiter aus dem Fenster hängen sollte, war eine Weile unschlüssig, entschied sich aber dann, es darauf ankommen zu lassen.

»Wir haben auch Kautabak von ihm gefunden«, sagte Erlendur. »Nimmt er das Zeug schon lange?«

Ösp starrte ihn an, ohne ein Wort zu sagen. Dann senkte sie die Augen, schaute auf das Bett und auf das Laken, das sie wieder in die Hand genommen hatte; sie schaute sehr lange auf das Laken, und dann schien sie zu kapitulieren und warf es auf das Bett.

»Seit er fünfzehn ist«, sagte sie so leise, dass Erlendur sie kaum verstehen konnte.

Er wartete darauf, dass sie fortfuhr, aber sie sagte nichts mehr, und die beiden standen einander wortlos im Hotelzimmer gegenüber. Erlendur ließ das Schweigen eine Weile andauern. Schließlich seufzte Ösp tief auf und setzte sich auf das Bett.

»Er hat nie Geld«, sagte sie leise. »Hat überall Schulden. Immer. Und die drohen ihm und schlagen ihn zusammen. Trotzdem geht es immer so weiter, und er macht noch mehr Schulden. Manchmal hat er Geld und kann dann etwas abbezahlen. Mama und Papa haben es schon längst aufgegeben mit ihm. Sie haben ihn aus dem Haus geworfen, als er siebzehn war. Sie haben ihn auch zu irgendwelchen Therapien geschleppt, aber er ist immer wieder abgehauen. Er kam oft nicht nach Hause, war manchmal eine ganze Woche weg, und einmal haben sie eine Suchmeldung in der Zeitung aufgegeben, aber das war ihm alles scheißegal.

Seitdem hat er keine feste Bleibe. Ich bin die Einzige in der Familie, die Verbindung zu ihm hat. Im Winter lasse ich ihn manchmal in den Keller. Er hat da unten am Ende des Flurs geschlafen, wenn er sich verstecken musste. Ich habe ihm verboten, da unten mit Dope rumzumachen. Aber er lässt sich auch von mir nichts sagen. Er lässt sich von niemandem was sagen.«

»Hast du ihm Geld gegeben? Um diesen Typen ihr Geld zu zahlen?«

»Manchmal, aber reichen tut es nie. Sie sind sogar zu Mama und Papa nach Hause gekommen und haben ihnen alles Mögliche angedroht. Papas Auto haben sie demoliert. Meine Eltern versuchen zu bezahlen, um sie loszuwerden, aber es ist einfach zu viel. Die Schulden müssen mit Zinsen zurückbezahlt werden, die einfach galaktisch sind. Wenn Papa und Mama mit der Polizei sprechen, mit solchen Typen wie dir, dann kriegen sie nur zu hören, dass man nichts machen kann, weil das bloß Drohungen sind. Anscheinend ist es völlig in Ordnung, andere zu bedrohen.«

Sie schaute Erlendur an.

»Wenn sie Papa umbringen, dann kümmert ihr euch vielleicht um die Sache.«

»Kannte er Guðlaugur? Dein Bruder? Die müssen doch voneinander gewusst haben da unten im Keller.«

»Sie haben sich gekannt«, sagte Ösp kleinlaut.

»Wie?«

»Gulli hat ihm Geld gegeben für …«

»Für was?«

»Verschiedene Dinge, die er für ihn gemacht hat.«

»Sexuell?«

»Ja, sexuell.«

»Woher weißt du das?«

»Mein Bruder hat es mir gesagt.«

»War er an jenem Nachmittag bei Guðlaugur?«

»Ich weiß es nicht. Ich habe ihn seit vielen Tagen nicht gesehen, nicht seit, …« Sie verstummte. »Nicht, seitdem Guðlaugur erstochen worden ist«, sagte sie schließlich. »Er hat sich nicht gemeldet.«

»Ich glaube, dass er vor nicht allzu langer Zeit da unten auf dem Flur gewesen ist. Nachdem Guðlaugur ermordet wurde.«

»Ich habe ihn nicht gesehen.«

»Glaubst du, dass er auf Guðlaugur losgegangen ist?«

»Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Ich weiß nur, dass er noch nie irgendjemanden angegriffen hat. Er ist ständig auf der Flucht. Und jetzt hält er sich ganz bestimmt auch deswegen versteckt, obwohl er gar nichts gemacht hat. Er hat nie irgendjemandem was zuleide tun können.«

»Und du weißt nicht, wo er jetzt steckt?«

»Nein, ich habe nichts von ihm gehört.«

»Weißt du, ob er diesen Engländer gekannt hat, den ich erwähnt habe? Henry Wapshott? Den mit den Kinderpornos.«

»Nein, den hat er nicht gekannt. Ich glaube es zumindest nicht. Warum fragst du danach?«

»Ist er homosexuell, dein Bruder?«

Ösp schaute ihn an.

»Ich weiß, dass er für Geld alles macht. Ich glaube nicht, dass er schwul ist.«