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»Hör zu, ich, was …?« Der Empfangschef verstummte. »Ich möchte nur so schnell wie möglich nach Hause«, sagte er schließlich. »Ich habe keine Antwort auf all deine Fragen. Weihnachten steht vor der Tür. Können wir uns nicht morgen unterhalten? Ich habe heute den ganzen Tag keinen Augenblick Ruhe bekommen.«

Erlendur schaute ihn an.

»Wir unterhalten uns morgen«, sagte er. Als er die Garderobe verließ, erinnerte er sich auf einmal an die Frage, die ihn seit seiner Unterhaltung mit dem Hotelmanager beschäftigt hatte. Er drehte sich um. Der Empfangschef war schon in der Tür, als Erlendur ihm zurief.

»Warum wolltet ihr ihn rauswerfen?«

»Was?«

»Ihr wolltet ihn rauswerfen, den Weihnachtsmann. Warum?«

»Ihm war gekündigt worden«, sagte er endlich.

Der Hotelmanager war beim Essen, als Erlendur ihn fand.

Er saß an einem großen Tisch in der Küche, hatte sich eine große Küchenchefschürze umgebunden und stopfte die Reste in sich hinein, die auf den halb leeren Platten vom Büfett hereingetragen worden waren.

»Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich es genieße, zu essen«, verkündete er und wischte sich den Mund ab, als er bemerkte, dass Erlendur ihn anstarrte. »In Frieden«, fügte er hinzu.

»Ich weiß genau, was du meinst.«

Sie waren allein in der großen blitzsauberen Küche. Erlendur konnte nicht umhin, ihn zu bewundern. Er aß schnell, aber enorm gewandt und ohne Gier. Seine Bewegungen waren fast elegant. Er verleibte sich einen Bissen nach dem anderen ein, konzentriert und mit sichtlicher Leidenschaft.

Er schien jetzt etwas ruhiger zu sein, nachdem die Leiche entfernt worden war und keine Polizisten und Reporter mehr vor dem Hotel herumstanden; die Polizei hatte angeordnet, dass das Hotel nicht betreten werden dürfte, weil das gesamte Gebäude als Tatort galt. Im Hotel selbst jedoch ging fast alles wieder seinen normalen Gang. Die wenigsten ausländischen Gäste wussten von der Leiche im Keller.

Viele hatten die Unruhe bemerkt, die mit der Polizeiaktion verbunden war, und sich erkundigt. Der Hotelmanager hatte seinen Angestellten eingeschärft, einen alten Mann zu erwähnen — und einen Herzinfarkt.

»Ich weiß, was du denkst, du findest, dass ich hier fresse wie ein Schwein, nicht wahr?«, sagte er und hörte auf zu essen, um einen Schluck Rotwein zu trinken. Der kleine Finger von der Größe eines Würstchens spreizte sich ab.

»Das vielleicht nicht, aber ich verstehe, warum du ein Hotel führen willst«, sagte Erlendur. Aber dann konnte er sich nicht mehr beherrschen. »Du frisst dich tot, das weißt du wohl«, sagte er brutal.

»Ich wiege 180 Kilo«, sagte der Hotelmanager. »Mastschweine sind auch nicht viel schwerer. Ich bin immer fett gewesen, etwas anderes kenne ich nicht. Habe nie eine Abmagerungskur mitgemacht. Mir ist nie eingefallen, meinen Lifestyle zu ändern, wie es so schön heißt. Ich fühle mich sauwohl. Auf jeden Fall besser als du, habe ich den Eindruck«, fügte er hinzu.

Erlendur erinnerte sich, gehört zu haben, dicke Menschen seien fröhlicher als Bohnenstangen. Er glaubte aber nicht, dass das stimmte.

»Besser als ich?«, sagte Erlendur und lächelte schwach.

»Was weißt du schon darüber. Weswegen hast du den Portier entlassen?«

Der Hotelmanager hatte wieder angefangen zu essen, und es dauerte eine geraume Weile, bis er das Besteck von sich legte. Erlendur wartete geduldig. Er sah, dass der Mann überlegte, was die beste Antwort darauf wäre, wie er sich ausdrücken sollte, nachdem Erlendur nun einmal von der Kündigung erfahren hatte.

»Das Hotel steht nicht so gut da«, sagte er schließlich. »Den ganzen Sommer sind wir sozusagen überbucht, und zu Weihnachten und Silvester ist auch immer viel los, aber dazwischen gibt es immer wieder tote Zeiten, und die können wirklich schwierig sein. Die Hoteleigentümer verlangen kostendämpfende Maßnahmen. Personalabbau. Ich fand, dass ein ganzjährig angestellter Portier bei vollem Lohn überflüssig war.«

»Aber wenn ich richtig verstanden habe, war er viel mehr als nur ein Portier. Weihnachtsmann beispielsweise. Und so was wie ein Hausfaktotum. Er hat alles Mögliche repariert. Mehr so etwas wie ein Hausmeister.«

Der Hotelmanager hatte wieder angefangen, sich den Bauch voll zu schlagen, und es entstand erneut eine Pause im Gespräch. Erlendur blickte sich um. Die Polizei hatte den Leuten, die ihre Schicht beendet hatten, gestattet, nach Hause zu gehen, nachdem Namen und Adresse notiert worden waren; es war immer noch nicht bekannt, wer zuletzt mit dem Toten gesprochen hatte oder wie der letzte Tag in seinem Leben verlaufen war. Niemand hatte etwas Ungewöhnliches im Zusammenhang mit dem Weihnachtsmann bemerkt. Niemand hatte jemanden in den Keller gehen sehen. Niemand wusste, von wem der Weihnachtsmann Besuch bekommen hatte. Nur einige wenige wussten überhaupt, dass er dort lebte, dass dieses Kabuff tatsächlich sein Zuhause war. Es hatte den Anschein, als ob sich alle so wenig wie möglich mit ihm abgeben wollten. Nur wenige sagten aus, ihn gekannt zu haben, und Freunde hatte er jedenfalls keine in diesem Hotel besessen. Die Angestellten wussten auch nichts von irgendwelchen Freunden außerhalb des Hotels.

Der reinste Kaspar Hauser, dachte Erlendur bei sich.

»Niemand ist unentbehrlich«, sagte der Hotelmanager und spreizte das Würstchen wieder ab, als er aufs Neue zum Wein griff. »Natürlich ist es nie schön, Leute entlassen zu müssen, aber einen ganzjährigen Portier können wir uns einfach nicht leisten. Deswegen wurde ihm gekündigt.

Aus keinem anderen Grund. Als Portier hatte er ja auch nicht so sonderlich viel zu tun. Er trug eine Livree, wenn Filmstars oder hohe Gäste aus dem Ausland kamen, und er warf Leute hinaus, die hier nichts zu suchen hatten.«

»Wie hat er es aufgenommen, als er entlassen wurde?«

»Er hatte Verständnis dafür, glaube ich.«

»Fehlen hier in der Küche irgendwelche Messer?«, fragte Erlendur.

»Ich weiß es nicht. Jedes Jahr gehen hier Messer und Gabeln und Gläser für zigtausend Kronen verloren. Auch Handtücher und … Glaubst du, dass er mit einem Messer aus dem Hotel erstochen worden ist?«

»Ich weiß es nicht.«

Erlendur schaute dem Hotelmanager beim Essen zu.

»Er hat hier zwanzig Jahre gearbeitet, und keiner kannte ihn. Findest du das nicht etwas ungewöhnlich?«

»Angestellte kommen und gehen«, sagte der Hotelmanager und zuckte mit den Achseln. »In dieser Branche herrscht eine ständige Fluktuation. Ich denke schon, dass die Leute von ihm gewusst haben, aber wer kennt heutzutage schon wen? Ich weiß es nicht. Ich kenne niemanden hier so gut.«

»Du bist aber trotz der branchenüblichen Fluktuation hier kleben geblieben.«

»Es ist schwierig, mich von der Stelle zu bewegen.«

»Warum hast du gesagt, dass du ihn rauswerfen wolltest?«

»Habe ich das gesagt?«

»Ja.«

»Das war nur so dahingesagt, ich habe nichts Besonderes damit gemeint.«

»Aber du hattest ihn schon entlassen und wolltest ihn aus dem Zimmer werfen«, sagte Erlendur. »Dann kommt jemand daher und bringt ihn um. Er hat sich in letzter Zeit nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens befunden.«

Der Hotelmanager tat, als sei Erlendur nicht anwesend, während er sich Kuchen und Mousse au Chocolat mit den eleganten Bewegungen eines routinierten Vielfraßes einverleibte und die Köstlichkeiten zu genießen versuchte.

»Warum war er eigentlich noch nicht weg, wo du ihn doch entlassen hattest?«

»Er hätte schon um die letzte Monatswende weg sein sollen. Ich habe ihm zugesetzt, aber nicht sehr. Hätte ich wahrscheinlich machen sollen. Dann wär uns dieser Mist erspart geblieben.«

Erlendur betrachtete den Hotelmanager, der weiter aß, und schwieg. Vielleicht war es das Büfett. Vielleicht seine dunkle Wohnung. Vielleicht diese Jahreszeit. Das Fertigessen, das ihn erwartete. Die einsamen Weihnachtstage.