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Erlendur wusste es nicht. Die Frage brach gewissermaßen ohne sein Zutun aus ihm heraus.

»Ein Zimmer?«, fragte der Hotelmanager, als hätte er nicht verstanden, was Erlendur gesagt hatte.

»Es braucht nichts Besonderes zu sein«, sagte Erlendur.

»Meinst du für dich?«

»Ein Einzelzimmer«, sagte Erlendur. »Muss nicht mit Fernseher sein.«

»Bei uns ist alles ausgebucht. Leider.« Der Hotelmanager starrte Erlendur an. Ihm war nicht daran gelegen, rund um die Uhr einen Kriminalbeamten um sich zu haben, einen, der ihm bei allem, was er tat, über die Schulter gucken konnte.

»Der Empfangschef hat gesagt, es gäbe ein freies Zimmer«, log Erlendur und war noch entschlossener. »Er sagte, es wäre kein Problem, ich müsste nur mit dir reden.«

Der Hotelmanager starrte ihn an und blickte dann auf die Mousse, die noch übrig war, und schob den Teller von sich weg. Ihm war der Appetit vergangen.

Es war kalt in dem Zimmer. Erlendur stand am Hotelfenster und schaute hinaus, sah aber nichts als sein Spiegelbild in dem dunklen Glas. Er hatte schon eine ganze Zeit lang diesem Mann nicht mehr Auge in Auge gegenübergestanden, und er sah in der Dunkelheit, dass er gealtert war. Jenseits von ihm und ringsherum fielen Schneeflocken sanft zur Erde, als wären die Himmel zerbrochen, und ihr Staub rieselte über die Welt. Ihm fiel ein kleiner Gedichtband ein, den er besaß, wunderschöne Übersetzungen einiger Gedichte von Hölderlin. Sein Geist irrte ziellos durch die Gedichte, bis er bei einem Satz innehielt, der zu dem Mann passte, der ihm aus dem Fenster in die Augen schaute. Die Mauern stehn sprachlos und kalt, im Winde klirren die Fahnen.

Vier

Er war kurz vor dem Einschlafen, als leicht an die Tür geklopft wurde und er leise seinen Namen flüstern hörte. Er wusste sofort, wer das war. Als er öffnete, stand seine Tochter Eva Lind auf dem Korridor des Hotels. Sie blickten einander an, und sie lächelte, während sie an ihm vorbei ins Zimmer schlüpfte. Er machte die Tür zu. Sie setzte sich an den kleinen Schreibtisch und holte eine Schachtel Zigaretten heraus.

»Ich glaube, es ist verboten, hier zu rauchen«, sagte Erlendur, der sich bisher an das Rauchverbot gehalten hatte.

»Ja«, sagte Eva Lind und steckte sich eine Zigarette an.

»Warum ist es hier so kalt?«

»Ich glaube, der Heizkörper ist defekt.«

Erlendur setzte sich auf die Bettkante. Er war nur in der Unterhose und zog sich die Bettdecke über Kopf und Schultern, was ihn wie einen Höhlenmenschen aussehen ließ.

»Was soll das eigentlich?«, sagte Eva Lind.

»Mir ist kalt«, sagte Erlendur.

»Ich meine das mit dem Hotelzimmer, warum gehst du nicht einfach nach Hause?« Sie sog den Rauch tief in die Lungen ein, fast ein Drittel der Zigarette brannte dabei auf.

Dann blies sie den Rauch aus, und das Zimmer füllte sich mit Qualm.

»Ich weiß es nicht. Ich habe …« Erlendur verstummte.

»Keine Lust, nach Hause zu gehen?«

»Ich fand das hier irgendwie passend. Hier im Hotel ist heute ein Mann ermordet worden, hast du das nicht gehört?«

»Irgendein Weihnachtsmann, oder? Wurde er ermordet?«

»Der Portier. Sollte den Weihnachtsmann für die Kinder hier im Hotel spielen. Wie geht’s dir?«

»Gut«, sagte Eva Lind.

»Du arbeitest immer noch?«

»Ja.«

Erlendur schaute sie an. Sie sah besser aus. Sie war zwar immer noch klapperdürr, aber die Ringe unter den schönen blauen Augen waren blasser geworden, und sie war auch nicht mehr so hohlwangig. Er nahm an, dass sie jetzt schon seit fast acht Monaten keine Drogen angerührt hatte. Nicht, seitdem sie eine Fehlgeburt gehabt und bewusstlos im Krankenhaus zwischen Leben und Tod geschwebt hatte. Als sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, war sie zu ihm gezogen und hatte ein halbes Jahr bei ihm gewohnt. Sie hatte sich einen festen Job gesucht, was schon seit zwei Jahren nicht mehr der Fall gewesen war. Die letzten Monate hatte sie sich ein Zimmer in der Innenstadt gemietet.

»Wie hast du mich hier gefunden?«, fragte Erlendur.

»Ich hab dich nicht auf deinem Handy erreicht und hab dann im Büro angerufen, und da hat man mir gesagt, dass du hier bist. Als ich nach dir gefragt habe, sagten sie, dass du dir ein Zimmer genommen hättest. Was ist eigentlich los? Warum gehst du nicht nach Hause?«

»Ich habe eigentlich keine Ahnung, was ich mache«, sagte Erlendur. »Weihnachten ist eine komische Zeit.«

»Ja«, sagte Eva Lind, und sie schwiegen.

»Hast du etwas von deinem Bruder gehört?«, fragte Erlendur.

»Sindri arbeitet immer noch auf dem Land«, antwortete Eva Lind, und die Zigarette zischte kurz, als die Glut den Filter erreicht hatte. Die Asche fiel auf den Fußboden. Sie suchte nach einem Aschenbecher, fand aber keinen und stellte die Zigarette hochkant auf den Schreibtisch, um sie ausbrennen zu lassen.

»Und deine Mutter?«, sagte Erlendur. Es waren immer dieselben Fragen, und die Antworten waren auch meist dieselben.

»Okay. Schuftet wie gewöhnlich.«

Erlendur schwieg unter der Bettdecke. Eva Lind schaute auf den blauen Rauch der Zigarette, der kräuselnd vom Schreibtisch aufstieg.

»Ich weiß nicht, ob ich das noch lange durchhalte«, sagte sie und starrte auf den Rauch.

Erlendur schaute zu ihr hoch.

In dem Augenblick klopfte es an der Tür, und sie blickten sich fragend an. Eva stand auf und öffnete. Ein Hotelangestellter in Livree stand auf dem Korridor. Er sagte, er würde in der Rezeption arbeiten.

»Es ist verboten, auf den Zimmern zu rauchen«, erklärte er, nachdem er an Eva Lind vorbei ins Zimmer gelugt hatte.

»Ich hab ihr gesagt, sie soll sie ausmachen«, sagte Erlendur unter seiner Bettdecke. »Sie hat noch nie auf mich gehört.«

»Es ist verboten, Mädchen auf dem Zimmer zu haben.

Wegen dem, was passiert ist.«

Eva Lind lächelte schwach und schaute zu ihrem Vater hinüber. Erlendur schaute zu seiner Tochter hoch und auf den Angestellten.

»Uns wurde gesagt, dass ein Mädchen hier heraufgegangen ist. Das ist nicht gestattet. Du musst jetzt gehen. Auf der Stelle.«

Er stand in der Tür und wartete darauf, dass Eva Lind hinausgehen würde. Erlendur stand auf, immer noch mit der Bettdecke über den Schultern, und ging auf den Mann zu.

»Sie ist meine Tochter«, sagte er.

»Ja, genau«, erklärte der Mann aus der Rezeption, als ginge ihn das nichts an.

»Im Ernst«, sagte Eva Lind. Der Mann blickte sie abwechselnd an.

»Ich will kein Theater«, sagte er.

»Dann hau ab und lass uns in Ruhe«, sagte Eva Lind. Er stand da, schaute Eva Lind und Erlendur an, der mit dem Oberbett über den Schultern hinter ihr stand, und bewegte sich nicht vom Fleck.

»Mit dem Heizkörper hier stimmt was nicht«, sagte Erlendur. »Der wird überhaupt nicht warm.«

»Sie muss mit mir kommen«, erklärte der Mann. Eva Lind sah ihren Vater an und zuckte die Achseln.

»Wir reden später miteinander«, sagte sie. »Ich hab keinen Bock, mich mit dem Typ hier anzulegen.«

»Was hast du damit gemeint, dass du es nicht mehr durchhältst?«, sagte Erlendur.

»Wir reden später«, sagte Eva Lind und ging zur Tür hinaus.

Der Mann grinste Erlendur an.

»Wirst du etwas wegen des Heizkörpers hier unternehmen?«, fragte Erlendur.

»Ich werde es melden«, erwiderte er und machte die Tür zu.

Erlendur setzte sich wieder auf die Bettkante. Eva Lind und Sindri Snær stammten aus einer misslungenen Ehe, die vor mehr als zwei Jahrzehnten auseinander gegangen war.

Nach der Scheidung hatte Erlendur so gut wie keinen Kontakt zu seinen Kindern gehabt. Seine Ex-Frau hatte es so gewollt. Sie fühlte sich betrogen, und sie benutzte die Kinder, um sich an ihm zu rächen. Erlendur hatte sie gewähren lassen. Später bereute er es zutiefst, keinen Versuch mehr gemacht zu haben, um die Verbindung zu seinen Kindern aufrechtzuerhalten. Bereute es, Halldóra das alles überlassen zu haben. Als sie älter wurden, fanden sie von sich aus den Weg zu ihm. Da war Eva Lind schon drogenabhängig.