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»Sie hatten recht«, sagte Marphissa zu Bradamont. »Sie haben sich großflächig verteilt, um mich dazu zu verleiten, meine Schiffe ähnlich anzuordnen. Aber wenn ich versuchen würde, jeden Punkt in einem so großen Gebiet zu verteidigen, wäre das ein hoffnungsloses Unterfangen. Das kann nur funktionieren, wenn wir uns auf die Angreifer konzentrieren und sie an den Stellen abpassen, an denen sie versuchen, die Verteidigung zu durchdringen.«

»Wären Sie zahlenmäßig nicht so deutlich überlegen, hätten Sie mit sehr viel mehr Problemen zu kämpfen«, machte Bradamont ihr klar. Sie musste bemerkt haben, dass Kapitan Diaz aufmerksam zwischen ihr und Marphissa hin und her schaute, deshalb fügte sie hinzu: »Ich habe die Theorie einer solchen Art von Einsatz mit Ihrem Kommodor diskutiert, Kapitan Diaz. Sie ist diejenige, die über Ihre Verteidigung entscheidet.«

Marphissa sah wieder Bradamont an. »Was glauben Sie, was Sub-CEO Qui als Nächstes versuchen wird? Das Gleiche wie eben?«

»Ja, und das vermutlich immer und immer wieder«, antwortete Bradamont. »Einzelne Schiffe werden versuchen, zu den Frachtern vorzudringen, sobald sie glauben, dass sie eine Lücke entdeckt haben. Und sie werden weitere koordinierte Attacken unternehmen, um an mehreren Stellen gleichzeitig durchzubrechen. Aber Sie werden auch damit rechnen müssen, dass er das eine oder andere Schiff vorsätzlich opfert, indem er es auf Vektoren schickt, die gleich mehrere von Ihren Schiffen zu einer Verfolgungsjagd anstiften soll. Wenn Qui es richtig anstellt, könnten große Lücken in Ihrer Verteidigung entstehen, durch die er seine übrigen Schiffe auf die Frachter hetzen kann.«

Erneut schüttelte Marphissa den Kopf. »Nein, das würde nicht funktionieren. Ich habe jedem meiner Schiffe inzwischen ein bestimmtes Ziel zugewiesen. Niemand wird einem anderen Schiff folgen, wenn ich das nicht ausdrücklich befehle.«

»Wie?« Bradamonts verwunderter Gesichtsausdruck hielt nur einen Moment lang an, dann verstand sie. »Oh, das hatte ich schon ganz vergessen. Sie sind ja Syndiks.«

»Was haben Sie gesagt?« Normalerweise hätte sich Marphissa darüber amüsiert, dass Bradamont einen Moment lang vergessen hatte, dass sie und ihre Kameraden vor nicht allzu langer Zeit noch Teil der Syndikatwelten gewesen waren. Aber eine Aussage mit dem Inhalt, sie gehörten immer noch zum Syndikat, war doch etwas ganz anderes.

Die heftige Reaktion bewirkte bei Bradamont, dass sie einen roten Kopf bekam. »Tut mir leid, so war das nicht gemeint. Ich habe überlegt, wie man eine Allianz-Streitmacht überwinden könnte, die diese Frachter beschützt. Aber Sie sind ja anders ausgebildet worden.«

Anders ausgebildet. Das war eine freundliche Beschreibung für ein System, in dem alles andere als völliger Gehorsam äußerst ernste Konsequenzen nach sich gezogen hatte. Aber … »Es freut mich zu hören, dass wir wenigstens in einem Punkt Black Jacks Flotte überlegen sind«, sagte Marphissa.

»Ich schätze, in diesem Punkt sind Sie das wirklich«, räumte Bradamont ein.

»Kommodor«, warf Diaz zögerlich ein. »Ich glaube, die Allianz-Kapitan könnte mit ihrem Vorschlag recht haben.«

»Ach, tatsächlich?« Marphissa erschrak, als ihr bewusst wurde, dass sie Diaz am liebsten eine Ohrfeige gegeben hätte, weil der eine andere Meinung vertrat als sie. Seit wann ärgere ich mich über Leute, die nicht meiner Meinung sind? Seit wann fällt es mir so schwer, anderen zuzuhören? »Tatsächlich?«, wiederholte sie daraufhin ihre Frage in einem zivileren Tonfall, der nicht so einschüchternd klingen sollte.

»Sub-CEO Qui ist eine Schlange«, erläuterte Diaz. »Schlangen glauben immer, dass die Bürger die Dinge tun, die sie nicht tun sollen. Qui ist ein Sub-CEO. Sie wissen, wie CEOs und Sub-CEOs sind. Sie glauben, wenn sie nicht hinter einem Arbeiter stehen und ihm über die Schulter sehen, um sich davon zu überzeugen, dass der Arbeiter auch ja alles tut, was man ihm sagt, dann wird dieser Arbeiter prompt alles verkehrt machen und sich um Dinge kümmern, die ihn nicht zu kümmern haben. Es ist egal, wie oft sie diesen Arbeiter dabei beobachtet haben, wie er alles richtig macht, sie glauben trotzdem, ihn lückenlos kontrollieren zu müssen.«

»Nicht alle CEOs und Sub-CEOs sind so«, widersprach Marphissa ihm. »Sehen Sie sich nur Präsidentin Iceni an. Aber davon abgesehen haben Sie durchaus recht. Qui könnte glauben, dass es funktionieren wird, vor allem da er davon ausgehen dürfte, dass unsere Schiffe von gerade erst beförderten Executives und Arbeitern kontrolliert werden.«

»Das stimmt ja auch«, betonte Diaz. »Jedenfalls in vielen Fällen.«

Womöglich lag Diaz gar nicht so verkehrt mit seiner Andeutung, dass nicht alle neuen Kommandanten sich zwangsläufig an die strenge Syndikatsdisziplin halten würden, weil es ihnen an Erfahrung mit den höheren Dienstgraden in diesem System mangelte. Die Befehlshaber auf zwei der Midway-Jäger waren sogar noch schneller und weiter befördert worden als Marphissa. »Danke, dass Sie das angesprochen haben«, sagte sie. »Sie beide meine ich damit.«

Nach kurzem Überlegen betätigte sie wieder das Komm. »An alle Kriegsschiffe der Heimkehrerflotte: Jeder von Ihnen bleibt auf die Syndikat-Kriegsschiffe konzentriert, die Ihnen zugewiesen wurden. Nicht ein Schiff wird versuchen, ein anderes als das zugeteilte gegnerische Schiff zu verfolgen oder unter Beschuss zu nehmen, solange Sie von mir keinen ausdrücklichen Befehl dazu erhalten haben. Ich bin davon überzeugt, dass wir das Syndikat besiegen werden, wenn Sie auch weiterhin so gute Leistungen erbringen.«

Sie ließ sich in ihren Sessel sinken, ihr Blick war weiter auf das Display gerichtet. Warum fühle ich mich nur so müde? Ich komme mir vor, als würden wir schon seit Stunden kämpfen.

Bei den Sternen im Himmel, das tun wir ja auch.

Während die Leichten Kreuzer und die Jäger des Syndikats unablässig um den schützenden Schild aus Midway-Kriegsschiffen kreisten, überprüfte Marphissa den Kurs der Frachter, die sich weiter zum rettenden Hypernet-Portal schleppten.

Der Flug bis zum Portal würde noch einundvierzig Stunden dauern.

Ungläubig und mit einem Anflug von Verzweiflung starrte sie auf die Zeitangabe. Sie mussten lediglich die nächsten einundvierzig Stunden damit fortfahren, das zu tun, was sie in den letzten Stunden auch schon unternommen hatten, wobei jedes Kriegsschiff aufmerksam auf alle Bewegungen achtete, die das ihm zugeteilte Syndikat-Schiff machte. Und Marphissa musste nur alle Kriegsschiffe im Auge behalten, um sicherzustellen, dass keines der Syndikat-Schiffe einen Versuch unternahm, die Verteidigungslinie zu durchbrechen, und dass keines von ihren eigenen Schiffen seine Verantwortung vernachlässigte. Na, wenn das alles ist, dachte Marphissa ironisch. Sind ja nur noch einundvierzig Stunden. Sie atmete schnaubend durch und wandte sich schließlich an den Senior-Wachspezialisten auf der Brücke. »Nehmen Sie Kontakt mit dem Bordarzt auf. Wir benötigen hier oben einen ordentlichen Vorrat an Aufputschern.«

»Ja, Kommodor«, erwiderte der Spezialist und gab Augenblicke später zurück: »Der Doktor möchte wissen, was ein ›ordentlicher Vorrat‹ sein soll.«

»So viel, wie nötig ist, um mich die nächsten einundvierzig Stunden wach und einsatzbereit zu halten.«

»Kommodor, der Doktor sagt …«

»Ich kenne die Vorschriften! Schaffen Sie einfach nur die verdammten Aufputscher auf die Brücke!«

»Jawohl, Kommodor«, kam Sekunden später die verhaltene Antwort des Wachspezialisten.

Bradamont kniete sich neben Marphissas Sessel hin und fragte im Flüsterton: »Was besagen denn die Vorschriften?«

»Die besagen«, entgegnete sie genauso leise, »dass die Anwendung von Aufputschern über einen Zeitraum von mehr als sechsunddreißig Stunden vom Seniorbefehlshaber genehmigt werden muss. In diesem Fall bin ich das.«