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Das Nervensystem reagierte nicht mit einem Zucken, wie es beim Wechsel in den Sprungraum der Fall war, aber selbst wenn es so gewesen wäre, bezweifelte Marphissa, dass sie in ihrer momentanen Verfassung davon etwas wahrgenommen hätte. Sie starrte auf ihr Display, auf dem die Syndikat-Kriegsschiffe und das Indras-Sternensystem genauso verschwanden wie alles andere.

Die Manticore mit allen Schiffen der Heimkehrerflotte — mit allen Kriegsschiffen und allen Frachtern! — ist jetzt im Nichts unterwegs, im Hypernet, in dem sie vor allen Widersachern geschützt sind.

Sie hörte ein seltsames Geräusch, drehte sich um und stellte fest, dass alle Wachspezialisten Beifall klatschten. Aber warum? Und wieso sahen alle sie an?

Bradamont zog Marphissa aus ihrem Sessel hoch, doch als sie stand, war sie so schwach, dass sie sich gegen die Allianz-Offizierin lehnen musste, die ihrerseits bei Marphissa Halt suchte. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie das schaffen werden«, sagte Bradamont, deren Stimme wie durch einen dichten Schleier an ihre Ohren zu dringen schien.

Es gelang Marphissa, die Schultern zu straffen, dann sah sie ihre Wachspezialisten an. »Ohne Sie alle hätte ich das nicht geschafft«, erklärte sie. »Es ist unser aller Erfolg … und ich werde mich jetzt schlafen legen. Sie ebenfalls, Kapitan Diaz.«

»Jawohl, Kommodor. Senior-Wachspezialist Lehman, Sie werden … Sie werden Leytenant Pillai rufen, er soll das Kommando über die Brücke übernehmen. Lassen Sie die Crew zur … zur Standardschiffsroutine zurückkehren.« Schwerfällig erhob sich Diaz von seinem Platz und grinste albern vor sich hin, weil es ihm gelungen war, seine Befehle in zusammenhängenden Sätzen herauszubringen.

Die drei verließen die Brücke, unterwegs fragte sich Marphissa, ob es wohl irgendwelche Probleme mit der Schwerkraft an Bord gab. Bei jedem Schritt schien sich der Boden unter ihren Füßen auf und ab zu bewegen, so als wäre sie an Bord eines Schiffs, das auf einem Planeten auf dem Meer unterwegs war. An ihrem Quartier angekommen fiel ihr erst auf, dass Bradamont sich unterwegs bereits in ihr eigenes Quartier zurückgezogen hatte.

Marphissa trat ein, schloss die Tür hinter sich und verriegelte sie gewohnheitsmäßig, dann ließ sie sich auf ihr Bett fallen und griff nach dem Beruhigungspflaster, das der Schiffsarzt ihr schon zwei Tage zuvor hingelegt hatte. Sie klebte es auf ihren Arm, ließ sich nach hinten sinken und starrte mit weit aufgerissenen Augen an die Decke. Solange das Schlafmittel noch die Wirkung des Aufputschers bekämpfte, würde sie nicht einschlafen können.

Sie konnte sich später nicht daran erinnern, wann das geschehen war, sie wusste nichts mehr davon, dass sie in einen tiefen Erschöpfungsschlaf gesunken war. Aber irgendwann schlichen sich Träume in ihren Schlaf, Träume von Syndikatskriegsschiffen im Anflug, Schiffen, die ihre Verteidigungslinie überwanden und die die Frachter in Stücke schossen. Sie saß währenddessen auf der Brücke in ihrem Sessel und schlief fest, so erschöpft, dass sie nicht aufwachen konnte, obwohl sie tat, was nur möglich war …

Abrupt schoss Marphissa hoch und stellte fest, dass sie sich in ihrem abgedunkelten Quartier befand. Ich bin nicht auf der Brücke. Sie hantierte an ihrem Display. Wir sind im Hypernet.

Die Nerven entspannten sich erleichtert, und der Schlaf überwältigte sie erneut.

Auch Rogero war für die gesamte Dauer des Kampfs wach geblieben, um darauf zu achten, dass die Frachter-Executives nichts taten, was sie nicht tun sollten. Und nun hatte er zumindest dem Gefühl nach genauso lange geschlafen. Seine Instinkte, die durch ein Leben in Gefechtsbereitschaft geschult worden waren, hatten sich in der Zwischenzeit genügend erholt, sodass er sofort aufwachte, als er das leise Klopfen an seiner Kabinentür hörte. Eine Hand griff dabei nach seiner Waffe. »Wer ist da?«

»Seki Ito.« Die Tür ging auf, die Executive Ito stand davor und hielt die Hände seitlich von sich weg. »Keine Gefahr. Ich dachte nur, Sie könnten vielleicht ein wenig Gesellschaft gebrauchen.«

»Gesellschaft?« Das konnte vieles bedeuten.

Itos Lächeln als Reaktion auf seine Frage machte deutlich, welche Art von Gesellschaft ihr vorschwebte. »Ich wette, es ist für uns beide schon lange her. Keine Verpflichtungen, außer Sie wollen es.«

Es war tatsächlich schon lange her, und die Zeit, die Bradamont auf dem gleichen Schiff verbracht hatte, ohne dass er sie auch nur berühren durfte, machte das Ganze für ihn nur umso schwieriger. Abgesehen davon war es nichts Außergewöhnliches, wenn alleinstehendes (oder verheiratetes) Personal weit weg von der Heimat kurzzeitig die Verpflichtungen aus einer Partnerschaft ruhen ließ.

Aber so verlockend Ito in diesem Moment auch aussah und so sicher er auch wusste, dass er sich an ihrer »Gesellschaft« erfreuen würde, wollte er Bradamont nicht betrügen. »Danke, aber …« Er versuchte, es bei dieser vagen Antwort zu belassen.

Ito sah ihn einladend an. »Ganz sicher? Nachdem Pers Garadun nicht mehr da ist, könnte ich einen neuen Gönner gut gebrauchen.«

Autsch, das hat gesessen. Vielleicht hat das weniger mit mir zu tun als vielmehr damit, Itos Chancen zu verbessern, bei Midway ein Kommando über mobile Streitkräfte zu erlangen. Vielleicht bin ich ja gar nicht so begehrenswert. Zum Glück bin ich alt genug, um deswegen nicht gleich in Depressionen zu verfallen. »Ich kann für Sie schon jetzt Empfehlungen aussprechen, aber General Drakon hat strenge Regeln aufgestellt, wenn es darum geht, dass Vorgesetzte mit ihren Untergebenen schlafen.«

Nun zog Ito die Brauen hoch und musterte ihn skeptisch. »Die Syndikatwelten kannten schon immer strenge Regeln, was das angeht. Und trotzdem passiert es dauernd und überall.«

»Ja, aber General Drakon achtet auch darauf, dass diese Regeln eingehalten werden.«

»Wie langweilig. Na ja … Wenn Sie sich tatsächlich nicht einsam fühlen …« Ito bewegte sich nur ein wenig, aber auf einmal wirkte ihr Körper in den Augen eines Mannes noch viel verlockender.

Wie kriegen Frauen das nur immer hin?, wunderte er sich. »Nein. Es ist nichts Persönliches.«

Ito seufzte theatralisch und spreizte die Hände, um zu sagen: »Was soll ich da noch machen?«

»Ito?«

»Ja?« Sie lächelte ihn an.

»Ich habe mitbekommen, wie Pers Garadun Ihnen und Executive Jepsen aufgetragen hat, allen ehemaligen Gefangenen davon zu erzählen, was sich bei Kalixa wirklich zugetragen hat. Von Jepsen habe ich inzwischen aber gehört, dass Sie ihm gesagt hätten, er solle das nicht machen, weil Sie sich darum kümmern würden.«

»Das ist richtig«, bestätigte Ito.

»Ich hatte Jepsen angewiesen, er solle während des Transits durch Indras die Informationen verbreiten. Es bestand keine Notwendigkeit, dass Sie als Einzige dafür verantwortlich sein müssen. Ich wollte Sie nur wissen lassen, dass Jepsen nicht Ihre Anweisungen missachtet.«

»Oh. Gut. Wenn Sie das wollen.« Sie sah ihn forschend an. »Wenn das alles ist, was Sie wollen.«

»Ja.«

Sie verließ seine Kabine und schloss die Tür hinter sich.

Rogero atmete erleichtert auf, legte sich wieder hin und sah zur Decke, während er sich über alle Maßen stolz fühlte, dass er dieser Versuchung widerstanden hatte. Natürlich ist das ein Triumph, den ich für mich behalten muss. Honore Bradamont wäre von meiner Leistung wohl kaum beeindruckt. Aber wäre ich der Versuchung erlegen, und sie hätte jemals davon erfahren, wären die Konsequenzen verheerend.

Gwen Iceni wurde vom unablässigen Pulsieren der Komm-Kontrolle neben ihrem Bett aus dem Schlaf geholt. Sie hielt bereits ihre Waffe in der Hand und suchte den dunklen Raum nach Gefahren ab, bis sie endlich wach genug war, um zu begreifen, dass es sich nicht um einen Alarm wegen eines Eindringlings handelte. »Iceni hier. Was gibt es?«