»Sie sind zurück, Madam Präsidentin«, ließ der Supervisor des Kommandozentrums sie wissen. »Die Heimkehrerflotte. Sie sind durch das Hypernet-Portal ins System gekommen, und Kommodor Marphissa hat eine Nachricht gesendet. Sie teilt mit, dass sie ihre Mission erledigt hat. Sie wird später einen detaillierteren Bericht folgen lassen.«
Als sie das hörte, fiel Iceni ein riesiger Stein vom Herzen. »Alle? Sind alle Schiffe zurück, die wir losgeschickt haben?«
»Ja, Madam Präsidentin, sie sind alle wieder hier.«
»Ich werde mir den detaillierten Bericht am Morgen ansehen. Falls Kommodor Marphissa das nicht schon von sich aus in die Wege geleitet hat, dann sagen Sie ihr, sie soll mit der Heimkehrerflotte diesen Planeten anfliegen und in einen Orbit einschwenken.«
Auch wenn ihr ein Stein vom Herz gefallen war, lasteten noch genug andere Gewichte auf ihr. Außerdem mussten die Überlebenden der Reserveflotte sämtlich gründlich durchleuchtet werden, um sicherzustellen, dass sie auch vertrauenswürdig waren. Wenigstens würden einige tausend ausgebildete Crewmitglieder, die praktisch sofort auf ihren Kriegsschiffen eingesetzt werden konnten, viele andere Sorgen deutlich erleichtern.
Alles war perfekt gelaufen.
Also musste sehr bald irgendetwas schiefgehen.
Iceni fuhr mit einer Hand leicht über das Display vor ihr, wodurch die virtuellen Seiten des Missionsberichts umgeblättert wurden wie bei einem richtigen Buch. »Diese Supervisoren und Spezialisten der Reserveflotte sind ein wahres Geschenk.«
Togo entging der zurückhaltende Tonfall nicht, aber der wäre auch jedem anderen aufgefallen. »Sind Sie besorgt, Madam Präsidentin?«
»Ich bin immer besorgt, wenn die Dinge zu gut laufen, um wahr zu sein.« Nachdenklich drückte sie die geballte Faust gegen den Mund. »Wir müssen diese Leute sehr gründlich durchleuchten. Ich will Gewissheit haben, dass sie auch diejenigen sind, für die sie sich ausgeben. Ich will Gewissheit haben, dass sie sich nicht länger dem Syndikat verpflichtet fühlen. Und ich will mir sicher sein, dass sie vertrauenswürdig genug sind, um den größten Teil der Besatzungen zweier extrem schlagkräftiger Kriegsschiffe zu stellen.«
»Das kann erledigt werden«, sagte Togo, »aber es wird dauern. Diese Art von Durchleuchtung erfordert die Nutzung von Einrichtungen, über die wir nur in begrenztem Maße verfügen, und den Einsatz von erfahrenem Verhörpersonal, das ebenfalls in nicht allzu großem Umfang zur Verfügung steht.«
»Nehmen Sie sich die Zeit.« Iceni warf einen Blick auf den Kalender. »Wie kommen die Wahlen voran?«
»Bislang wurde nicht von Problemen berichtet. Viele Bürger geben ihre Stimme ab, da sie Ihren Beteuerungen glauben, dass ihr Votum tatsächlich darüber entscheidet, wer Sieger sein wird. Es könnten ein paar Kandidaten gewählt werden, die für Ärger sorgen dürften, aber wir können die abgegebenen Stimmen mühelos so manipulieren, dass diese Leute verlieren.«
»Wollen wir das denn wirklich?«, fragte Iceni. »Ich habe darüber nachgedacht. Wenn diese Leute Positionen erlangen, werden sie auch die Verantwortung tragen müssen, ganz egal wie wenig Macht wir ihnen dann tatsächlich in die Hände geben. Wenn sie ihre Arbeit gut machen, wäre es vielleicht nicht verkehrt, ihnen zuzuhören. Und wenn sie scheitern … In dem Fall kann das immer noch dazu benutzt werden, ihre Verluste bei nachfolgenden Wahlen zu erklären. Aber wir müssen die Wahlergebnisse vielleicht gar nicht manipulieren, wenn diese Leute auch tatsächlich für das hinhalten müssen, was sie sagen und tun.«
Im ersten Moment erwiderte Togo nichts, sondern dachte intensiv nach, auch wenn seinen Augen nicht anzusehen war, was genau ihm durch den Kopf ging. »Sie würden sie also wie eine andere Arbeiterklasse behandeln?«
»Warum nicht?«, gab sie zurück. Malin hatte sie mit einer seiner geheimen Mitteilungen auf diese Idee gebracht, auch wenn es nur ein beiläufiger Gedanke war, der sie aber seitdem nicht mehr loslassen wollte. »Sie sind Arbeiter. Sie arbeiten für mich und für diejenigen, die sie gewählt haben. Wenn ich mit ihnen nicht zufrieden bin und wenn die Leute, von denen sie gewählt wurden, auch nicht mit ihnen zufrieden sind, dann werden sie sich erklären müssen. So läuft das sogar in einer extrem eingeschränkten Demokratie. Jedenfalls in der Theorie.«
»Madam Präsidentin, was ist, wenn die Wähler mit diesen zufrieden sind, aber Sie sind es nicht?«
Iceni lächelte. »Das wäre allerdings ein Dilemma, nicht wahr? Aber wie sagte doch jemand, dessen Urteil ich respektiere: Die schwierigsten Untergebenen können manchmal die kostbarsten sein. Diese Leute veranlassen einen dazu, sich gründlicher mit einer Sache zu befassen, die man sonst als selbstverständlich angesehen hätte. Und manchmal sehen sie Dinge, die einem selbst nicht auffallen.«
Auch wenn Togo nur selten Unruhe in ihre Routineabläufe brachte, zögerte er jetzt, bevor er schließlich erwiderte: »Es gibt Risiken.«
»Natürlich gibt es Risiken, aber mir steht ja immer noch die Option offen, mit den Wahlergebnissen zu spielen, wenn es notwendig werden sollte, nicht wahr?«
»Ja, Madam Präsidentin.«
»Diese zur Wahl stehenden Posten sind nur mit sehr begrenzter Macht ausgestattet. Sehen wir uns an, was das Volk daraus macht. Das Syndikat-System ging immer von der Annahme aus, dass man dem Volk nicht vertrauen kann und dass man es wie eine Schafherde führen muss. Trifft das zu? Ich weiß es nicht. Aber ich will es wissen. Und das bedeutet, dass wir dem Volk in dieser Sache ein gewisses Maß an Freiheit zugestehen müssen, damit ich herausfinden kann, wie die Leute denken.«
»Ja, Madam Präsidentin.« Möglicherweise hatte Togo Vorbehalte, aber zumindest äußerte er sie nicht.
Die offizielle Vereidigung von Wahlsiegern war auf den Planeten des Syndikats abgehalten worden, so weit Iceni zurückdenken konnte. Es waren immer aufwendige Zeremonien gewesen, bei denen man den vorbestimmten Siegern zu ihrem vorbestimmten Sieg gratuliert hatte und ihnen den Auftrag mit auf den Weg gab, dem Volk zu dienen. Weil alles an diesen Zeremonien gestellt gewesen war, hatte man stets den Supervisoren befehlen müssen, einen Menschenauflauf aus Arbeitern und deren Familien zu organisieren, die an den entsprechenden Stellen applaudieren mussten und ansonsten nichts als Staffage darstellten.
Iceni konnte diesmal einen Unterschied erkennen, und das nicht nur, weil die Organisatoren der Siegesfeier ausgesprochen aufgebracht waren, da ihnen anders als sonst niemand im Voraus sagen konnte, für wen die Feier organisiert werden sollte. Sie schienen es als eine persönliche Beleidigung zu empfinden, dass ihre ganze Planung zum ersten Mal völlig davon abhing, wer tatsächlich die meisten Stimmen erhielt. Schließlich hatte sie gut die Hälfte dieser Supervisoren entlassen, damit endlich Ruhe einkehrte. Wenig später war ihr aufgefallen, dass das verkleinerte Team wesentlich effizienter arbeitete.
Diesmal war auch kein Befehl ausgegeben worden, um Menschenmassen auflaufen zu lassen. Die Leute gingen in allen Städten von selbst auf die Straße. Die Anzahl der Menschen und ihr Enthusiasmus hatten etwas sehr Ernüchterndes.
»Wir haben ein Monster entfesselt«, sagte Iceni. »Aber es ist schon immer da gewesen, es wurde lediglich vom Syndikat unterdrückt. Wenn wir nicht bereit waren, das zu tun, was das Syndikat wollte und was die Schlangen befahlen, mussten wir mit dieser Energie irgendwie zurechtkommen. Allerdings habe ich Bedenken, ob wir die neue Entwicklung unter Kontrolle halten können.«
»Das könnte in der Tat sehr schwierig werden«, stimmte Drakon ihr zu. »Ich habe mich noch etwas ausführlicher mit den persönlichen Einstellungen meiner Soldaten befasst, und es bestätigt sich der Verdacht, den ich Ihnen bereits mitgeteilt hatte. Wenn ich ihnen den Befehl gebe, das Feuer auf Bürger zu eröffnen, könnte das das Ende ihrer Disziplin bedeuten.«