Achtzehn
Sekundenlang rührte sich niemand, lediglich Togo schien sich per Teleportation so vor Iceni platziert zu haben, dass er sie vor Rogero abschirmen konnte. Eine Hand hatte er in seine Jacke geschoben.
Dann endlich begann Iceni verärgert zu reden: »Schon wieder hat einer Ihrer Offiziere in meiner Gegenwart eine Waffe gezogen, General. Darf ich erfahren, was das zu bedeuten hat?«
»Colonel Malin?«, fragte Drakon in einem Tonfall, der keinen Zweifel daran ließ, dass die Erklärung überzeugend ausfallen sollte.
»Sie ist eine Schlange«, antwortete Malin so ruhig, als würde er über irgendeine Selbstverständlichkeit reden. »Überprüfen Sie die Handfläche ihrer rechten Hand. Aber vorsichtig und ohne sie zu berühren.«
Itos Hand zuckte, die Armmuskeln traten vor Anstrengung hervor, da sie versuchte, sich aus Malins Griff zu befreien, was der jedoch nicht zuließ.
Iceni gab Togo ein Zeichen. »Sehen Sie nach.«
Togo, der wie üblich nicht erkennen ließ, was er von Malins Auftreten hielt, trat vor und scannte Itos Handfläche mit einem Instrument, das er wie aus dem Nichts kommend in seiner Linken hielt. Dann beugte er sich vor, um sich etwas auf dem Instrument genauer anzusehen. »Gift«, verkündete er schließlich. »Ein Kontaktgift, das durch die Haut aufgenommen wird.«
»Und wie kann sie es dann auf ihrer Handfläche haben?«, wollte ein entsetzt dreinblickender Rogero wissen.
»Es befindet sich auf einer dünnen Schutzschicht.« Togo holte ein Messer hervor und löste mit der Spitze der Klinge eine durchscheinende Hautschicht. »Jeder, der ihr die Hand gegeben hätte, wäre kurze Zeit später an plötzlichem, massivem Herzversagen gestorben.«
Drakon blickte auf Itos rechte Hand, die von Malin immer so festgehalten wurde, dass sie in seine Richtung ausgestreckt war. »Woher wussten Sie das?«, fragte er Malin.
Der hatte sich bislang nicht wieder gerührt und hielt seine Waffe unverändert gegen ihre Schläfe gedrückt. »Ich verfolge schon seit langer Zeit die Fährten von Schlangen, General, wie Sie es mir ja auch aufgetragen haben. Mein besonderer Schwerpunkt sind versteckte Agenten der Schlangen bei den Bodenstreitkräften und den mobilen Streitkräften. Executive Ito fiel mir auf, weil ein überdurchschnittlich hoher Anteil der Supervisoren auf ihrem Schiff von den Schlangen zu Verhören gebracht oder sofort von ihnen verhaftet worden waren. Meine Ermittlungen ergaben, dass Ito selbst einige regierungskritische Äußerungen gemacht hatte, aber von den Schlangen nie dazu befragt worden war.«
»Ein Lockvogel«, warf Morgan voller Abscheu ein.
Drakon nickte und wusste, dass er Ito jetzt ebenfalls wütend ansah. Sie war jemand, der sich als mitfühlend ausgab, um andere zu verhängnisvollen Bemerkungen zu verleiten und sie dann an die Schlangen zu übergeben.
»Augenblick mal«, protestierte Rogero. »Colonel Malin, mir wurde von Sub-CEO Pers Garadun berichtet, dass Ito eine Senior-Schlange auf ihrem Schiff erschoss, bevor die sich an Bord der Rettungskapsel begeben konnte. Diese Darstellung wurde von mehreren Personen bestätigt.«
Malin bewegte die Hand, die die Schusswaffe hielt, keinen Millimeter. »Natürlich hat sie das gemacht. Wem sollte sie an Bord dieses Schiffs Bericht erstatten? Wer hätte sie im Gefangenenlager der Allianz als Schlange entlarven können? Der Mann wusste, was die Crew mit ihm machen würde, sofern er nicht irgendetwas zu bieten hatte, was ihm das Leben retten konnte. Ito wusste, was er zu bieten gehabt hätte — nämlich ihre Identität. Sie konnte nur überleben und diese Identität geheim halten, wenn sie die Schlange tötete. Also brachte sie den Mann um und sorgte dafür, dass Ihr Freund das zu sehen bekam, damit jeder glaubte, ihr Hass auf die Schlangen sei noch größer.«
Einer der frischgebackenen Leytenants trat vor und starrte voller Entsetzen Ito an. »Im Gefangenenlager erzählte Ito uns über zwei andere Offiziere, sie seien ebenfalls verdeckte Schlangen. Die beiden beharrten darauf, dass das nicht stimmte, aber Ito zeigte uns stichhaltige Beweise. Wir befanden sie für schuldig und … wir … wir richteten sie hin. Ich kann nicht … nein!«
Schließlich war Ito wieder in der Lage zu reden. »Ich … ich habe keine Ahnung, wie das auf meine Hand kommt. Irgendwer will mich anschwärzen und …«
»Halten Sie die Klappe«, empfahl Malin ihr fast beiläufig, drückte aber bei jedem Wort die Mündung seiner Waffe etwas fester gegen ihren Kopf, um seiner Aufforderung Nachdruck zu verleihen. »Colonel Rogero, als der Mob auf dem Frachter gegen Captain Bradamont vorgehen wollte, wer war da der erste Supervisor am Ort des Geschehens?«
»Executive Ito«, kam die tonlose Antwort. »Sie sagte, einer der Verwundeten sei gestorben, bevor er noch irgendetwas verraten konnte.«
»Das bezweifle ich nicht«, sagte Malin. »Aber, Colonel, Sie wissen, dass man argwöhnisch sein muss, wenn Leute, die etwas berichten könnten, was Sie unbedingt erfahren müssen, praktischerweise sterben, bevor sie noch etwas sagen können.«
»Ja, ich weiß.« Rogero betrachtete Ito mit wachsendem Zorn. »Garadun hatte Ihnen und Jepsen befohlen, allen auf den Frachtern die Wahrheit über den Zusammenbruch des Hypernet-Portals bei Kalixa zu sagen. Aber dann haben Sie Jepsen angewiesen, es für sich zu behalten, weil Sie das selbst erledigen wollten. In Wahrheit hatten Sie das überhaupt nicht vor, richtig?«
Ito schwieg.
»Sie wollte als Erstes General Drakon umbringen«, fuhr Malin im Plauderton fort. »Bei einer Zusammenkunft mit vielen Angehörigen der mobilen Streitkräfte und mit Präsidentin Iceni. Der Verdacht wäre zuerst auf die Präsidentin gefallen, nicht wahr? Und danach hätte Sie nur noch den richtigen Moment abpassen müssen, um Präsidentin Iceni ebenfalls umzubringen. Das hätte dann nach einem Vergeltungsakt der Bodenstreitkräfte für den Mord an General Drakon ausgesehen. Das gesamte Sternensystem wäre in einen Bürgerkrieg gestürzt worden, und anschließend wären die Überlebenden leichte Beute für das Syndikat gewesen. Und Sie hätten als die große Heldin des Syndikats dagestanden. Habe ich recht, Executive Ito?«
»Executive Ito«, warf Iceni ein, »scheint es die Sprache verschlagen zu haben.«
»Wir werden sehen, was wir beim Verhör aus ihr herausholen können«, sagte Drakon.
»Nein!« Mit einem Mal hatte sich ihre Stimme verändert und klang genauso gefühllos, wie sie jetzt auch dreinblickte. Die gefällige Ausgelassenheit, das Kameradschaftliche waren verschwunden und durch völlige Ausdruckslosigkeit ersetzt worden. »Glauben Sie, ich möchte so sterben, wie Sie mich umbringen werden? Langsam, um Gnade winselnd? Ich werde nicht die Letzte sein. Ich werde das Syndikat nicht verraten. Ich werde Sie alle in der Hölle wiedersehen!«
»Togo!«, rief Iceni, als sie mit einem Mal begriff. Sie gestikulierte wild. »Halten Sie sie …«
In diesem Moment verkrampfte sich Ito am ganzen Leib, dann erschlaffte sie völlig und sank leblos zu Boden. Malin ließ ihren Arm los und sah sie ohne Gefühlsregung an.
Togo brach den Satz ab, den er in Richtung Itos hatte machen wollen. Stattdessen kniete er sich neben ihr hin und bewegte einen Scanner über ihren Körper. »Tot. Eine Ursache kann ich nicht erkennen.«
»Eine Selbstmord-Vorrichtung?«, fragte Iceni. »Aber sie war doch durchsucht worden. Und die Allianz muss sie ebenfalls durchsucht haben, bevor sie ins Lager durfte.«
Malin kniete sich auf der anderen Seite neben die Tote. »Eine Selbstmord-Vorrichtung, die sich mit den bekannten Methoden nicht finden lässt. Wir müssen unbedingt herausfinden, was es war.«
»Wir müssen auch noch andere Dinge herausfinden«, warf Morgan energisch ein. »General, ich muss mit Ihnen reden.«
Iceni spreizte leicht die Hände. »Machen Sie ruhig.« Trotz ihres ruhigen Tonfalls konnte sie ein Zittern nur mit Mühe unterdrücken, als sie Togo ansah. »Ich werde veranlassen, dass eine umfassende Autopsie durchgeführt wird. Und ich werde herausfinden, wie diese Frau sich durch die Durchleuchtung gemogelt hat, bei der das Gift hätte auffallen müssen. Geben Sie ja niemandem mehr die Hand, General.«