Aber diese Sicherheit würde nur von sehr kurzer Dauer sein.
Sie hätte abwarten können, anstatt ihren Plan umzusetzen, sich gegen die Syndikatsregierung aufzulehnen. Sie hätte Drakons Vortasten als verfrüht zurückweisen und alles andere vermeiden können, das in den Augen der ISD-Schlangen zu ihrer Verdammung führen musste. Doch wenn die Schlangen dann den Befehl erhalten hätten, die CEOs im System einer Loyalitätsüberprüfung zu unterziehen, wie es immer wieder vorkam, wäre sie ihnen hilflos ausgeliefert gewesen.
Manchmal war es tatsächlich die beste Lösung, ein völlig irrsinniges Risiko einzugehen.
»Sie haben recht«, sagte sie zu Drakon. »Black Jack wird es uns nicht verzeihen, wenn wir diesen Kampf aussitzen.« Iceni gab dem Supervisor des Kommandozentrums ein Zeichen. »Ich brauche eine Verbindung zu Kommodor Marphissa auf dem Kreuzer Manticore.«
Nur ein paar Sekunden später meldete der Supervisor: »Wir sind zur Übertragung bereit, Madam Präsidentin.«
Vor ihrem geistigen Auge konnte sie Marphissa auf der Brücke der Manticore sehen, wie die Kommodor ihr Bestes gab, um vor einer Crew Entschlossenheit und Mut auszustrahlen, die zweifellos umso unglücklicher geworden war, je länger sie damit beschäftigt gewesen waren, ihre Überlebenschancen zu bewerten. Wie mochten sie auf den Anblick der Allianz-Flotte reagiert haben, nachdem ihnen ein Leben lang eingeredet worden war, dass die Allianz als Feind den Enigmas in nichts nachstand? »Kommodor«, sagte Iceni, »nehmen Sie die notwendigen Kursänderungen vor, um mit Ihrer Flotte auf einen Vektor einzuschwenken, der Sie zur Streitmacht der …« Fast hätte sie zur Streitmacht der Allianz gesagt, doch das wäre verkehrt gewesen. Auch wenn diese Allianz-Schiffe zusammen mit ihnen einen gemeinsamen Feind bekämpften, konnte man ein Jahrhundert Krieg und Hass nicht so einfach abstreifen. »… zur Streitmacht von Jack Black bringt. Unterstützen Sie seine Flotte, die hier ist, um dieses Sternensystem zu verteidigen. Befolgen Sie jeden Befehl, den Black Jack Ihnen gibt, solange die Anweisungen nicht im Widerspruch zu Ihrer Verantwortung mir gegenüber stehen. Für das Volk. Hier spricht Präsidentin Iceni, Ende.«
Erst nachdem sie geendet hatte, wurde Iceni bewusst, dass sie »für das Volk« betont, aber nicht als jene belanglose Floskel ausgesprochen hatte, zu der sich diese Worte schon vor langer Zeit entwickelt hatten. Seit der von Iceni und Drakon angeführten Rebellion waren viele Menschen im Midway-Sternensystem dazu übergegangen, diese Worte nicht mehr so beiläufig auszusprechen. Personen, die die Worte »für das Volk« tatsächlich ernst nahmen, galten zwar als sehr motiviert, aber sie konnten auch auf den Gedanken kommen, dass andere Führer als die herrschenden »für das Volk« besser wären. Und trotzdem habe ich selbst diese Worte auch so ausgesprochen, als hätten sie eine Bedeutung. Hatte Marphissa recht? Färbt die Einstellung meiner Untergebenen tatsächlich auf mich ab?
Drakon sah sie weiter an, sagte aber nichts, doch sie konnte ihm auch so anmerken, was ihm durch den Kopf ging. »Ich habe eben Kommodor Marphissa auf die wirkungsvollste Weise motiviert«, murmelte sie so leise, dass nur er sie hören konnte. »Die Sache mit dem stärksten Pferd, von der Sie gesprochen hatten.«
Er war klug genug, darauf nur mit einem Nicken zu reagieren.
Iceni stand da und sah sich im Kommandozentrum um, wobei sie versuchte, zu erfassen was für eine Veränderung auf einmal von diesem Ort ausging. Etwas hatte sich hier getan. Angst und Furcht, die seit dem Eintreffen von Boyens Flotte und der Enigma-Streitmacht hinter der Fassade der stoischen Gesichter ihrer Arbeiter gelauert hatten, waren etwas Anderem gewichen. Sorge war ihnen allen immer noch anzusehen, aber sie bemerkte auch eine seltsame Entschlossenheit, die Iceni von den Arbeitern um sie herum nicht kannte.
In sanftem Tonfall meldete sich Colonel Malin zu Wort. »Die Allianz ist eingetroffen, und sie wollen vor der Allianz nicht schlecht dastehen. Wer bei den Bodenstreitkräften oder den mobilen Streitkräften ist, der hat schon oft so empfunden, während das für den durchschnittlichen Bürger und Arbeiter nicht galt. Sie haben den Leuten aber erlaubt, viel mehr Stolz auf ihre Arbeit und auf sich selbst zu empfinden, Madam Präsidentin. Wenn die Allianz die Augen auf sie gerichtet hat, dann wollen sie nicht versagen.«
»Zu schade, dass ich über solche motivierenden Faktoren nicht schon früher nachgedacht habe«, gab Iceni ironisch in der gleichen Lautstärke zurück. Genau genommen habe ich das sehr wohl, aber das Syndikatssystem wollte mir derartige Experimente nicht gestatten. Lieber lassen wir das Universum verrotten, ehe wir irgendetwas machen, das den Gehorsam der Arbeiter gefährden könnte.
»Wir sollten Black Jack eine Nachricht zukommen lassen«, sagte Drakon. »Sie und ich.«
»Wir beide zusammen?«, vergewisserte sie sich.
»Ja.«
»Einverstanden. Erledigen wir das von unserem privaten Büro aus.«
Drakon ging mit ihr zum Büro. Er wartete, bis sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte: »Diesmal haben Sie aber schnell eingelenkt.«
»Finden Sie? Ich hielt es für richtig, mich allein an die Enigmas zu wenden, weil ich das schon zuvor gemacht habe, Sie aber nicht. Aber es ist Ihr gutes Recht darauf zu bestehen, dass wir uns gemeinsam an Geary wenden.« Und auch wenn ich das niemals laut aussprechen würde, aber all meiner Unabhängigkeit zum Trotz macht es mir nichts aus, die momentane Last auf meinen Schultern mit jemandem zu teilen, der mich noch nicht offen hintergangen hat.
»Ich hätte fast darauf bestanden, dies auch bei Ihrer Nachricht an Boyens zu tun, aber der kennt Sie noch als CEO dieses Sternensystems«, sagte Drakon, »daher hatte ich letztlich auch nichts dagegen einzuwenden, dass Sie sich allein an ihn gewandt haben.«
Iceni drehte sich zu Drakon um und sah ihm in die Augen. »General Drakon, mir ist seit unserer ersten Begegnung bewusst, dass Sie sich als Militär sehen. Ihren CEO-Anzug haben Sie nur getragen, weil Sie dazu verpflichtet waren, aber in Wahrheit war er für Sie ein Instrument zur Demütigung und Bestrafung.«
»Mir war nicht klar, dass das so offensichtlich war«, antwortete er.
»Es war so unauffällig wie ein durchschnittlicher Pulsar, der seine Umgebung auf Lichtjahre hinaus mit Radioaktivität flutet. Ich kann verstehen, dass Sie sich als mir gleichgestellt präsentieren möchten, wenn wir mit anderen militärischen Führern zu tun haben. Ihnen ist wichtig, Black Jack zu zeigen, dass Ihre Rolle genauso groß und genauso wichtig ist wie meine.« Sie lächelte ihn verhalten an. »Das ist das, was Sie denken, richtig? Denn wenn Sie sich stattdessen als derjenige ins Bild rücken wollen, der das Sagen hat, dann gibt es etwas, worüber wir reden müssen.«
Drakon hob seine Schultern an. »Gleichgestellt zu sein ist gut. So war es doch schon von Anfang an. Aber Sie haben völlig recht: Ich will Black Jack mehr darüber wissen lassen, wer ich bin. Wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was wir über ihn gehört haben, dann möchte ich ihn gern persönlich kennenlernen.«
»Sie werden sich mit Langstreckenkommunikation begnügen müssen«, gab Iceni zurück und deutete auf den Schreibtisch. »Wir setzen uns nebeneinander hin. Auf diese Weise betonen wir …«
In dem Moment kam Malin in den Raum gestürmt, über seine Schulter hinweg konnte Iceni Togo sehen, der dicht hinter dem Colonel stand und bereit schien, bei der ersten bedrohlichen Geste auf den Mann loszugehen. Doch Malin war nur hergekommen, um ungewöhnlich hastig Bericht zu erstatten. »General, es sind weitere Schiffe ins Sternensystem gekommen!«
Drakon stutzte, da Malin zögerte. »Von wem?«, wollte er wissen. »Weitere Syndikat-Streitkräfte? Mehr Enigmas? Mehr Allianz-Schiffe?«