»Ziemlich ungewöhnliche Umstände für so etwas«, stellte Iceni fest.
»Das schon, aber die beiden kannten sich ja. Von Rogero weiß ich, dass Bradamont diejenige war, die nach dem Unfall und während der Reparaturen den anderen Gefangenen sagte, was sie zu tun hatten. Das hat ihn unglaublich beeindruckt. Sie wiederum hatte im Gegenzug miterlebt, wie er sein Leben aufs Spiel setzte, um die Gefangenen zu retten.«
Iceni nickte, der jetzt alles klar wurde. »Beide hatten etwas sehr Wichtiges über den jeweils anderen erfahren.«
»Während sich das abspielte, versuchte ich herauszufinden, wieso Rogero nicht aus dem Heimaturlaub zurückgekehrt war. Ich hatte ihn gerade erst in diesem Arbeitslager aufgespürt, da fanden die Schlangen heraus, was zwischen ihm und Bradamont lief. Mir wurde gesagt, dass die einzige Frage zu Rogeros Zukunft sich darum drehte, ob man ihn als Insasse in ein anderes Arbeitslager schicken oder gleich hinrichten sollte.«
»Und was war dann seine Rettung?«
»Ich war seine Rettung«, antwortete Drakon in sachlichem Tonfall und ohne eine Spur von Prahlerei. »Ich schlug den Schlangen vor, sie könnten doch Bradamonts Gefühle für Rogero zu ihren Gunsten nutzen. Sie sollten Bradamont dazu bringen, dass sie von der Allianz aus Informationen lieferte.« Drakon grinste breit. »Die Schlangen waren von dem Vorschlag begeistert. Natürlich bedeutete die Umsetzung, dass man Bradamont zur Allianz zurückkehren lassen musste. Also arrangierten die Schlangen das Ganze so, dass sie sie mit einem Transporter losschickten, dessen Kurs nahe der Grenze zur Allianz verlief. Dann ließen sie diese Information in Richtung Allianz durchsickern. Der Transporter wurde abgefangen, Allianz-Marines holten sie raus und brachten sie zurück nach Hause. Rogero wurde in der Zwischenzeit zu mir zurückgeschickt. Mir sagte man, er solle so tun, als schleuse er wichtige Informationen an Bradamont weiter. Die versorgte ihn im Gegenzug mit Nachrichten aus der Allianz. Also lief alles ganz so, wie ich es vorgeschlagen hatte. Doch Rogero ließ mich sofort wissen, dass die Schlangen von ihm verlangten, mich ebenfalls auszuspionieren.«
»Ja, natürlich. Aber da Sie wussten, wer deren Spion war, konnten Sie sich umso besser vor den Schlangen schützen.« Sie legte eine Hand an ihre Stirn. »Die Beziehung ist echt? Angesichts der Nachricht Rogeros, die wir an Black Jack geschickt haben, kam es mir so vor.«
»Das ist echt.«
»Und hat sie für uns tatsächlich die Allianz ausspioniert?«
»Daran habe ich ernsthafte Zweifel. Was Rogero ihr im Auftrag der Schlangen geschickt hat, waren Dinge, die man in der Allianz längst wusste. Manchmal auch Fehlinformationen, mit denen man den Feind in die Irre führen wollte. Soweit Rogero das beurteilen konnte, kam von ihr die gleiche Art Müll zurück.«
Iceni sah zu Drakon. »Glauben Sie, die Allianz hat sie auf die gleiche Weise benutzt, wie die Schlangen es mit Rogero gemacht haben?«
»Davon bin ich überzeugt.«
»Dann ist sie also schon seit Jahren eine Agentin für den Geheimdienst der Allianz.«
»Warum sollten sie die Frau sonst hierher versetzen?«, gab Drakon zurück. »Aber wie Black Jack gesagt hat, hat sie immerhin auch als Befehlshaberin eines Schlachtkreuzers Dienst getan.«
»Ja, während Black Jacks Feldzug gegen die Syndikatwelten«, fügte Iceni nachdenklich hinzu. »Was muss diese Frau alles über seine Gefechtstaktiken wissen.« Sie setzte sich etwas gerader hin. »Black Jack sprach davon, dass sie eine Art Beraterin sein soll. Auch in Verteidigungsangelegenheiten. Dieses Wissen könnte von unschätzbarem Wert für uns sein. Oh, was ist dieser Mann raffiniert. Militärische Beratung, aber auf eine Weise dargeboten, die das Ganze völlig harmlos aussehen lässt.«
»Dann wollen Sie den Vorschlag akzeptieren?«
»Wir können es uns nicht leisten, dieses Angebot abzulehnen! Und wenn Colonel Rogero tatsächlich für sie bürgen kann …« Iceni biss sich auf die Lippe, während sie überlegte. »Das ist alles heikel, sehr heikel sogar. Sie ist der Feind. Offiziell natürlich nicht mehr, aber wir haben ein Leben lang ihre Uniform gesehen, und das war immer die Uniform des Feindes. Eines Feindes, der unzählige unserer Bürger auf dem Gewissen hat.«
»Wir haben diesen Krieg angefangen«, konterte Drakon.
»Und Sie wissen genau, wie wenig das den typischen Arbeiter kümmert.« Sie schüttelte den Kopf. »Wir müssen einen Weg finden, wie wir das regeln. Die formale Anerkennung unseres Status als unabhängiges Sternensystem durch die Allianz, eine Offizierin, die Black Jack repräsentiert und als taktische Beraterin fungiert. Das dürfen wir uns nicht entgehen lassen!«
Drakon nickte. »Ich bin ganz Ihrer Meinung, aber Sie haben auch recht, dass es schwierig werden wird, irgendjemanden dazu zu bringen, mit ihr zusammenzuarbeiten. Wollen Sie sie auf der Orbitaleinrichtung einsperren?«
»Nein, ich will, dass sie sich frei bewegen und machen kann, was sie will.« Iceni lächelte ihn an. »Auf diese Weise finden wir heraus, was sie unternimmt und was sie vorhat.«
»Hört sich gut an. Wir wissen sowieso, dass sie Black Jack über alles Bericht erstatten wird, was hier bei uns passiert.«
»Solange sie nicht versucht, einen Spionagering einzurichten, kann ich damit leben.«
Drakon drückte für einen Moment auf den Kontrollen herum und spielte noch einmal die Stelle ab, an der Geary sagte: »… oder der weiteren Demokratisierung Ihrer Regierung.«
»Es könnte ein Problem werden«, räumte sie ein, »wenn er tatsächlich von uns erwartet, dass wir den Bürgern noch mehr Freiheiten und weitere Mitspracherechte in der Regierung einräumen. In gewisser Weise haben wir das ja schon eingeleitet, indem wir auf den unteren Ebenen Wahlen stattfinden lassen. Das sollte die Allianz eigentlich zufriedenstellen.«
»Mir wurde geraten, diesen Prozess so auszuweiten, wie es uns gefahrlos möglich ist«, sagte Drakon. »Das soll langfristig für Stabilität sorgen und sicherstellen, dass die Bürger unsere Regierung unterstützen.«
Wo habe ich das denn schon mal gehört? Ja, dieser Assistent von Drakon, dieser Colonel Malin. Er muss in der Angelegenheit wohl immer noch auf Drakon einwirken. »Solange wir das ›wie es uns gefahrlos möglich ist‹ nicht aus den Augen verlieren, habe ich keine Einwände gegen das theoretische Konzept«, gab Iceni zurück. »Aber das ist ohnehin ein längerfristiges Problem. Wir haben allerdings auch noch ein kurzfristiges Problem. Was ist mit Ihrem Colonel Rogero?«
Drakon dachte ein paar Sekunden über diese Frage nach. »Das möchte ich gern Colonel Rogero überlassen. Ich werde jede Entscheidung akzeptieren, die er trifft.«
Die Antwort habe ich in dem Moment erwartet, als ich meine Frage ausgesprochen hatte. »Das könnte schwierig für ihn werden«, warnte Iceni ihn. »Wenn die Bürger herausfinden, dass sie nicht nur eine Offizierin der Allianz ist, sondern auch als Quelle für die Schlangen tätig war …«
»Rogero war genau genommen auch für die Schlangen tätig. Er hat sie zwar in die Irre geführt, wo er nur konnte. Aber wir sollten das in beiden Fällen verschweigen.«
»Sehe ich auch so.« Nach einer kurzen Pause fragte sie: »Weiß sonst noch jemand über Rogero und Bradamont Bescheid? Über Rogeros Verbindung zu den Schlangen?«
Drakon nickte bedeutungsschwanger. »Eine Person.«
Etwas an der Art, wie er es sagte, schnürte ihr die Kehle zu. Eine Person. »Nicht sie.«
»Doch, Colonel Morgan.«
»Warum um alles in der Welt mussten Sie ihr erzählen …«
»Ich habe ihr gar nichts erzählt!« Drakon warf ihr einen finsteren Blick zu. »Sie kam vor einiger Zeit dahinter, als sie nach der Bescherung mit Colonel Dun nach verborgenen Agenten der Schlangen gesucht hatte. Ich sagte doch, sie ist gut.«