»Na, großartig!« Iceni hatte Mühe, ihre Verärgerung zu unterdrücken. »Können wir ihr Überleben garantieren?«
»Morgans?«
»Bradamonts!«
»Oh.« Drakon setzte eine entschlossene Miene auf. »Ja, da müssen Sie sich keine Sorgen machen.«
»Nichts für ungut, aber ich werde mir Sorgen machen!« Iceni seufzte und bekam sich dann wieder unter Kontrolle. »Wenn Sie mir erklären, dass Bradamont vor … Bedrohungen sicher ist, werde ich Black Jack wissen lassen, dass sie zu uns kommen kann. Und auch die Bürger, die aus den Klauen der Enigmas befreit worden sind.«
Drakon nickte und beugte sich vor, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Fragen Sie ihn, ob Bradamont auch Informationen mitbringen wird, die Black Jacks Flotte im Gebiet der Enigmas gesammelt hat. Und ob wir erfahren, wo er auf die sechs mysteriösen Schiffe und das monströse Schlachtschiff gestoßen ist. Wir haben immer noch keine Ahnung, was es mit beidem auf sich hat. Wenn Black Jack an ernsthaften formalen Beziehungen interessiert ist, dann sollte seine Repräsentantin ein paar Informationen an uns weitergeben. Wir sind den Enigmas näher als jedes andere Sternensystem. Wir müssen wissen, was er dort in Erfahrung gebracht hat.«
»Ja, auf jeden Fall«, pflichtete sie ihm bei. »Ich werde es diplomatisch verpacken. Aber er soll schon verstehen, dass wir auf diese Informationen hoffen, dass wir sie für dieses Sternensystem als überlebenswichtig ansehen.« Plötzlich ging ihr ein Gedanke durch den Kopf, der sie veranlasste, Drakon fragend zu mustern. »Bradamonts Deckname war Gottesanbeterin. Warum wurde sie von den Schlangen so genannt?«
Er zuckte kurz mit den Schultern. »Keine Ahnung. Die Schlangen haben sich noch nie die Mühe gemacht, anderen irgendetwas zu erklären. Wieso ist das wichtig? Eine Gottesanbeterin ist ein Insekt, nicht wahr? Ein Käfer, oder? Wahrscheinlich sollte der Deckname Bradamont herabwürdigen.«
»Das glaube ich nicht«, widersprach ihm Iceni. »Eine Gottesanbeterin ist nicht einfach irgendein Insekt, sondern ein sehr todbringendes Insekt. Ein Jäger. Und es handelt sich um eine Spezies, bei der das Weibchen das Männchen auffrisst.«
Drakon warf Iceni einen erstaunten Blick zu und schüttelte den Kopf. »Na ja, sie befehligt einen Schlachtkreuzer der Allianz. Solche Frauen sind zäh, nicht wahr? Vielleicht bezog es sich ja darauf. Oder die Schlangen hielten das für einen besonders gelungenen Witz.«
»Mag sein. Wenn sie für den Geheimdienst der Allianz gearbeitet hat, wird man ihr dort ebenfalls einen Decknamen gegeben haben. Ich würde zu gern wissen, wie man sie dort genannt hat.«
Nachdem Drakon gegangen war, saß Iceni noch eine Weile da und ließ ihren Gedanken freien Lauf. So gut wie jedes akute Problem war weder schnell noch einfach zu lösen, und bei einigen sah es nicht danach aus, dass es für sie überhaupt eine Lösung gab. Dieses Problem schien von exakt dieser Art zu sein. Genauso im Falle Morgans. Ich kann Togo nicht auf sie ansetzen. Er könnte sie erledigen. Er ist so gut, dass er sogar mir Angst macht. Doch jegliche Verbindung zwischen mir und demjenigen, der Morgan tötet, würde eine weitere Zusammenarbeit mit Drakon unmöglich machen. Dafür ist er vom Thema Loyalität viel zu besessen.
Ich muss wieder Kontakt mit Malin aufnehmen. Er hat sich zuvor geweigert, Morgan zu töten, aber vielleicht ist er ja jetzt damit einverstanden. Warum sollte er den Tod dieser Frau nicht wollen? Wenn er sie noch immer nicht aus dem Weg räumen möchte, werde ich ihn wissen lassen, dass er gut beraten ist, wenn er sie zumindest davon abhält, irgendetwas gegen mich oder Captain Bradamont zu unternehmen. Wenn Morgan mich oder sie angreift, dann soll Malin klar sein, dass ich ihn dafür verantwortlich machen werde.
»Kommodor! Ein neues Kriegsschiff ist durch das Hypernet-Portal ins System gekommen!«
Marphissa war sofort wach. Aufgrund der langwierigen Pattsituation hatte sie nur wenig Schlaf bekommen. Tag für Tag standen sich die Flotte des Syndikats und die Midway-Flotte in einem Abstand von fünf Lichtminuten Auge in Auge gegenüber, während die Allianz-Flotte in einem Abstand von zwei Lichtstunden ihre Kreise zog und jede offensive Aktion durch CEO Boyens im Keim erstickte. Der CEO konnte nicht angreifen, aber er wollte sich auch nicht zurückziehen. Und sie verfügte wiederum nicht über so viel Feuerkraft, dass sie ihn hätte verjagen können.
Obwohl Eile geboten war, schaute Marphissa vor Verlassen ihres Quartiers im Gang erst nach rechts und links, ob ihr nicht jemand auflauerte. Executives und CEOs der Syndikatwelten gewöhnten sich diese Verhaltensweise an, und wenn nicht, dann fielen sie ehrgeizigen Untergebenen zum Opfer, die dafür sorgten, dass ein paar Planstellen neu besetzt werden mussten. Das war jetzt zwar im Wandel begriffen, aber angeblich hielten sich im Militär und in der Zivilbevölkerung immer noch Schlangen versteckt. Also war es nur ratsam, bis auf Weiteres an alten Gewohnheiten festzuhalten.
Der Weg schien frei zu sein, außerdem war ihre Handfeuerwaffe feuerbereit. Sie zog die Luke ganz auf, verließ ihr Quartier und rannte dann zur Brücke.
Dort hatte aufgeregte Anspannung jene Langeweile ersetzt, die ihnen allen zu schaffen gemacht hatte. »Ein neues Kriegsschiff? Was für eines?«, wollte Marphissa wissen, während sie sich in ihren Kommandosessel sinken ließ.
»Ein Schwerer Kreuzer, Kommodor«, erwiderte der Senior-Wachspezialist. »Umgebaut, um die Frachtkapazität zu erhöhen und die Lebenserhaltungssysteme leistungsfähiger zu machen. Sie haben die Flotte des Syndikats gesehen und die Flucht ergriffen.«
»Sie haben die Flucht ergriffen?« Marphissa betrachtete aufmerksam die Situation auf ihrem Display, dann erst konzentrierte sie sich auf die Bewegungen des neuen Schweren Kreuzers. »Haben wir ihn bereits identifiziert?«
»Die Identifizierung hätte in dem Moment erfolgen müssen, als wir die Ankunft des Kreuzers gesehen haben, Kommodor«, entgegnete der Wachspezialist. »Bislang wird nichts angezeigt.«
Noch einmal sah sie sich den Neuankömmling an, dessen erste Reaktion beim Anblick der Syndikatsschiffe die Flucht gewesen war. »Senden Sie ihm unsere Identifizierung. Ich werde ihm außerdem eine persönliche Nachricht übermitteln.«
Die Aktivitäten auf der Brücke kamen einen Moment lang zum Erliegen, da Kapitan Toirac eintraf und sich hastig auf den Platz neben Marphissa setzte. »Was ist passiert?«
Sie sah ihn kurz an und dachte darüber nach, dass man jeden anderen CEO, Sub-CEO und Executive öffentlich dafür hätte kielholen lassen, erst nach seiner Vorgesetzten auf die Brücke zu kommen.
»Schauen Sie auf Ihr Display«, antwortete Marphissa und wandte sich der Kamera zu, die ihre Nachricht aufzeichnen sollte. »An den unbekannten Kreuzer, der soeben durch das Hypernet-Portal ins Midway-Sternensystem gekommen ist. Hier spricht Kommodor Marphissa von der Midway-Flotte. Wir sind ein freies und unabhängiges Sternensystem, das nicht länger der Autorität der Syndikatwelten untersteht. Wenn Sie sich uns anschließen möchten, sind Sie hier willkommen. Wenn Sie auf dem Weg in ein anderes Sternensystem sind, nähern Sie sich unserer Flotte, damit wir Sie vor der anwesenden Syndikat-Flotte beschützen und zum Sprungpunkt Ihrer Wahl eskortieren können. Unsere Streitkräfte werden jedem beistehen, der nach Freiheit von der Tyrannei der Syndikatwelten strebt. Für das Volk. Marphissa, Ende.«
»Kommodor«, meldete sich der Senior-Wachspezialist hastig zu Wort.
»Ich sehe es.« Warnsymbole waren auf ihrem Display aufgetaucht, als Schiffe der Syndikat-Flotte auf einmal ihre Vektoren veränderten. »Sie beschleunigen und drehen bei. Alle Schweren Kreuzer und alle Jäger.«
»Nehmen sie Kurs auf den neuen Kreuzer?«, fragte Kapitan Toirac.