»Man wird Sie respektieren, wenn Sie …«
»Ich verfüge nicht über genügend Feuerkraft, dass die bloße Angst vor mir die Regentschaft in dieser Region übernehmen könnte!« Und das will ich auch gar nicht. Ich müsste zu gewissen Maßnahmen greifen, um diese Angst zu verbreiten, und ich habe in meinem Leben schon zu viele solcher Maßnahmen ergriffen. Togo waren einige von diesen Dingen bekannt, bei manchen war er sogar derjenige gewesen, der ihre Befehle ausgeführt hatte, doch er wusste nicht alles. Bei weitem nicht alles. »Diese Aktion könnte auch unsere Chancen auf ein deutlich stärkeres gegenseitiges Verteidigungsabkommen mit Taroa zunichte machen.«
Sie zwang sich dazu, Platz zu nehmen und langsam durchzuatmen. Wie soll ich mit den Folgen dieses Zwischenfalls umgehen? Es geht ja nicht nur um den Verlust des größten Teils meiner Flotte, sondern auch um den bewussten Einsatz von zwei Kriegsschiffen mitsamt ihrer Besatzung als Geschosse.
Zurückhaltend räusperte sich Togo. »Einige Syndikat-Schiffe ändern ihren Kurs.«
Iceni sah auf das Display und erkannte, dass die Schweren Kreuzer und die Jäger umkehrten, die eben noch Jagd auf den neuen Kreuzer gemacht hatten. »Sie machen kehrt, um die Verteidigungslinie rund um das Schlachtschiff wieder zu verstärken.« Marphissas Schiffe hielten trotzdem weiter an ihrem Kurs fest, obwohl deren Mission nicht länger nur hoffnungslos, sondern völlig unmöglich geworden war. Was will sie damit erreichen?
Die Antwort darauf wurde Iceni klar, unmittelbar bevor Marphissas Schiffe ihren Angriff abbrachen und in ihren ursprünglichen Orbit zurückkehrten. »Das war nur ein Bluff. Zum Teufel mit ihr. Sie hat Boyens Angst eingejagt, damit er die Finger von dem fremden Kreuzer lässt.«
»CEO Boyens wird wütend darüber sein, dass der Kreuzer entkommen ist«, stellte Togo fest.
»Sogar sehr wütend.« Kann ich damit was anfangen? Aber ja, das kann ich für mich nutzen. Die Mischung aus Frust und Wut war Erleichterung gewichen. Nicht nur, dass Marphissa sich als viel raffinierter denn erwartet entpuppt hatte. Sie hatte Iceni damit auch auf eine Idee gebracht, wie sich die derzeitige Pattsituation zwischen CEO Boyens und jedem anderen in diesem Sternensystem endlich auflösen ließ. »Ich muss mit diesem neuen Kreuzer Kontakt aufnehmen. Er könnte uns eine große Hilfe sein. Teilen Sie General Drakon mit, dass ich mit ihm unter vier Augen reden muss. Ja, nur er und ich, und sehen Sie mich nicht so an. Hier tummeln sich immer noch ein paar Schlangen, und ich kann es nicht riskieren, dass die von dem Plan erfahren, der mir eben in den Sinn gekommen ist.«
»Madam Präsidentin, wenn Sie nicht glauben, dass Sie auf mich zählen können …«, begann Togo in einem förmlicheren Tonfall als üblich.
»Darum geht es nicht.« Das ist genau die Art von Situation, bei der ich Colonel Malins Status als Informationsquelle zu meinem Vorteil benutzen kann. Gleichzeitig begrenze ich das Risiko, dass irgendjemand erahnen wird, was ich vorhabe. Sie brachte ein aufmunterndes Lächeln zustande. »Sie stehen mir zu nahe. Wenn man weiß, dass Sie daran beteiligt sind, wird jeder versuchen herauszufinden, was los ist.«
Togo schien dieses schwache Argument nicht zu überzeugen. »Madam Präsidentin, ich muss Sie warnen, dass General Drakon sehr sicher gegen Sie arbeitet. Er wird jede augenscheinliche Nähe zwischen Ihnen zu seinem Vorteil nutzen.«
»Nähe?«, wiederholte sie energisch.
»Es gibt … Gerüchte.«
»Es gibt immer Gerüchte. Ich kann mein Handeln nicht nach Gerüchten von irgendwelchen Klatschmäulern richten, die nicht gemerkt haben, dass sie dem Kindergarten schon lange entwachsen sein sollten. Lassen Sie General Drakon diese Nachricht zukommen, während ich mit dem neuen Kreuzer Kontakt aufnehme.«
Drakon sah Iceni an und ließ sich ihren Vorschlag gründlich durch den Kopf gehen. Ich bin kein Experte für die Taktiken mobiler Streitkräfte, aber die Idee klingt vernünftig. »Und Sie glauben, das funktioniert?«
»Ich glaube, die Chancen stehen gut«, antwortete sie. »Aber wir können nicht Togo losschicken. Jeder wird sein Verschwinden bemerken und vermuten, dass er für mich in einer besonderen Mission unterwegs ist.«
»Und wen sollen wir schicken? Ich bin ganz Ihrer Meinung, dass es zu riskant ist, so etwas als Nachricht zu übermitteln. Ein Hinweis auf das, was wir machen, und Boyens kann uns eine lange Nase zeigen.«
Mit einer Hand beschrieb Iceni eine beiläufige Geste. »Wie wäre es mit Colonel Malin und Colonel Morgan?«
»Zwei von meinen Leuten sollen sich persönlich mit Black Jack treffen?« Er kniff ein wenig die Augen zusammen. »Sie gehen freiwillig das Risiko ein, mir zu vertrauen, dass ich die beiden nicht noch andere Nachrichten überbringen lasse?«
»Ja, das tue ich«, gab sie ruhig zurück. »Oder wollen Sie mir damit sagen, ich sollte das besser nicht tun?«
»Ich will damit sagen, dass wir beide genügend Erfahrung gesammelt haben, um zu wissen, dass man solche Risiken nicht eingeht. Was ist jetzt anders?«
»Ich habe Sie besser kennengelernt.«
Er wollte das nur zu gern glauben, aber es ließ ihn nur noch skeptischer werden.
»Für alle Fälle«, redete sie weiter, »kann ich einen Ihrer Offiziere mit einem verborgenen Recorder ausrüsten, der alles aufzeichnet, was gesprochen wird. Auf diese Weise kann ich sicherstellen, dass keine Nachrichten an Black Jack weitergeleitet werden, die wir nicht abgesprochen haben.«
»Also gut. Ich kann ja verstehen, wieso Sie Colonel Malin vorschlagen. Aber wieso Morgan?«
Diesmal reagierte sie mit einem wissenden Lächeln. »Wenn einer von beiden irgendwelche eigenen Absichten verfolgt, werden Sie es vom anderen erfahren.«
»Das stimmt.« Im Geist ging er den Plan noch einmal durch, dann nickte er. »Sie haben recht. Die Leute werden zwar merken, dass Malin und Morgan nicht da sind, aber sie werden davon ausgehen, dass sie in meinem Auftrag unterwegs sind, und das kann mit den mobilen Streitkräften ja nichts zu tun haben.«
»Kriegsschiffe«, korrigierte Iceni ihn. »Ich will ganz weg von der Terminologie und der Denkweise des Syndikats. Ich gehe davon aus, dass ich von dem neuen Kreuzer bald eine Reaktion auf unser Angebot erhalte, ihn von einem unserer Schweren Kreuzer in sein Heimatsystem zu eskortieren. Sobald ich die Zustimmung habe, gebe ich Ihnen Bescheid. Dann können wir uns überlegen, wie wir Ihre Offiziere unbemerkt zu Black Jack schaffen.«
Drakon rieb sich mit einer Hand übers Gesicht. »Dafür könnten wir diese neue Verbindungsoffizierin der Allianz gebrauchen.«
»Wirklich? Ja, Sie haben recht.« Diesmal wirkte ihr Lächeln völlig ehrlich. »Wir beide sind ein gutes Team, Artur.«
Marphissa stand an der Hauptschleuse der Manticore und wartete, dass das Shuttle andockte und die Verbindungen versiegelt wurden, so dass keine Atmosphäre entweichen konnte. Was zum Teufel ist bloß los? Wieso hat Präsidentin Iceni darauf bestanden, dass ich mich persönlich davon überzeuge, wie die Fertigstellung unseres Schlachtschiffs vorankommt?
Zwei Tage hatte es gedauert, bis die Manticore den Gasriesen erreichte, wo das neue Schlachtschiff Midway nur langsam weiter ausgerüstet wurde. Damit war Marphissa zwei Tage vom Rest der Flotte entfernt, also etliche Lichtstunden von den Ereignissen, die sich nahe dem Hypernet-Portal abspielten.
Das Shuttle beförderte sie direkt zu einer der Luftschleusen der Midway, wo der junge und geniale Kapitan-Leytenant Kontos ganz allein auf sie wartete. »Hier entlang, Kommodor«, sagte er zu ihr.
Als sie losgingen, war weit und breit niemand zu sehen. Es gab zwar die Werftarbeiter und eine Minimalcrew, doch aufgrund der immensen Größe des Schiffs waren viele Bereiche verwaist. Marphissa verspürte ein leichtes Unbehagen, als sie Seite an Seite durch einen Korridor gingen. Zwar hatte Kontos keinerlei Anzeichen für einen gefährlichen Ehrgeiz erkennen lassen, und Präsidentin Iceni hatte sie schließlich hierhin beordert, doch erinnerte diese Situation viel zu sehr an Umstände, unter denen manchmal Senioroffiziere des Syndikats spurlos verschwunden waren, die irgendwen vor den Kopf gestoßen hatten. Zudem waren ihr von »Freunden« Gerüchte zugetragen worden, Iceni sei sehr verärgert über den Trick, mit dem sie Boyens dazu veranlasst hatte, den neuen Schweren Kreuzer entkommen zu lassen. Selbst wenn das stimmen sollte, würde die Präsidentin mich nicht aus dem Weg räumen lassen. Das ist nicht ihre Art. »Was ist los?«, fragte sie Kontos mit gesenkter Stimme.