Marphissa wäre fast vor Schreck über dieses Lob zusammengezuckt, dann merkte sie, wie sie sich — wenn auch verhalten — für diese Offizierin zu erwärmen begann. Diese Frau gehörte zu den Befehlshabern von Black Jacks Schlachtkreuzern, und sie findet, ich habe bei Kane gute Arbeit geleistet? Na ja, das habe ich auch. Aber ich hätte nie damit gerechnet, von einer Allianz-Offizierin dafür gelobt zu werden. Will sie mich in Sicherheit wiegen? Schmeichelt sie mir, um mich dann zu überrumpeln? »Danke Captain.« Wieder folgte eine verlegene Pause. »Waren Sie schon mal auf einem Schlachtschiff?«, fragte Marphissa.
»Auf einem Syndik-Schlachtschiff, meinen Sie?«, erwiderte sie. Sie legte den Kopf ein wenig schräg und überlegte kurz. »Ein einziges Mal. Ich hatte ein Enterteam angeführt. Das war bei Ixchel.«
Offenbar gab es keine neutralen Themen, über die sie sich unterhalten konnten. »Mit dem Gefecht bin ich nicht vertraut.« Es hatte zu viele gegeben, um sie alle zu kennen. »Ich darf annehmen, dass die Allianz gesiegt hatte.«
»Wenn Sie Sieg so definieren, dass am Ende von unseren Leuten mehr gelebt haben als von Ihren, dann war es ein Sieg«, antwortete Bradamont. »Dann haben wir uns zurückgezogen und das Schiff gesprengt.«
Da hatten sie etwas gemeinsam, was nicht allzu überraschend war. »Sie haben etliche Leute verloren, um das Schlachtschiff zu erobern, und anschließend haben Sie es wieder verlassen und gesprengt.«
»Hört sich ganz so an, als hätten Sie das Gleiche durchgemacht.«
»Ein paar Mal.« Erneut folgte betretenes Schweigen, dann deutete Marphissa auf die Stühle an dem Tisch, neben dem sie standen. Dieser Raum würde einmal die Offizierslounge werden, wenn alles fertiggestellt war. Auch wenn vieles noch fehlte, hatte man wenigstens schon das Mobiliar installiert. »Nehmen Sie doch bitte Platz.«
»Danke.« Bradamont setzte sich und sah Marphissa an. »Nur falls Sie sich das fragen — ich fühle mich im Augenblick auch unbehaglich.«
»Das habe ich gemerkt. Vor ein paar Monaten hätte jede von uns als erstes versucht, ihr Gegenüber zu töten.«
»So wie wir es beim Militär unser ganzes Leben lang getan haben. So wie unsere Eltern und unsere Großeltern.«
»Aber jetzt sind wir … na ja …« Marphissa suchte nach dem richtigen Begriff, fand ihn aber nicht. »Was sind wir jetzt?«
»Wir stehen jetzt auf derselben Seite, würde ich sagen. Was halten Sie von dem Plan, um die Syndik-Flotte loszuwerden?«
»Riskant. Aber … falls das funktioniert.«
Bradamont lächelte. »Richtig. Falls das funktioniert.« Sie griff in eine Reisetasche, die neben dem Tisch auf dem Boden stand, und tat so, als würde sie nicht bemerken, wie sich Marphissa misstrauisch anspannte. Sie holte eine Flasche heraus. »Ich habe eine Kleinigkeit mitgebracht. Ein … ähm …«
»Ein Begrüßungsgeschenk?«, fragte Marphissa und betrachtete das Etikett. »Whiskey? Von Vernon? Wissen Sie, wie viel der im Syndikatgebiet wert ist? Niemand hat seit … seit einem Jahrhundert so was beschaffen können, außer auf dem Schwarzmarkt.«
»Wir befinden uns aber im Syndikatgebiet, nicht wahr?«, entgegnete Bradamont.
Trotz ihrer Besorgnis konnte Marphissa grinsen. »Nein, da befinden wir uns nicht. Nicht mehr. Was dagegen, wenn ich sie öffne?«
»Darauf hatte ich gehofft«, antwortete sie amüsiert. »Ich werde auch das erste Glas trinken, damit Sie sehen können, dass der Whiskey nicht vergiftet oder mit irgendetwas anderem versetzt ist.«
»Sie könnten das Gegengift schon vorher eingenommen haben«, gab Marphissa zu bedenken. »Oder Sie wollen nur einen Vorsprung herausholen.«
»Sie sind verdammt scharfsinnig für eine …« Bradamont wurde ernst. »Tut mir leid.«
»Macht der Gewohnheit«, sagte Marphissa und schenkte zwei Gläser ein. »Mir kann es genauso passieren, dass ich etwas Beleidigendes zu Ihnen sage. Versuchen Sie, es nicht persönlich zu nehmen.«
»Abgemacht.«
Marphissa nippte an ihrem Glas und staunte über den Geschmack. »Ich muss zugeben, ich bin verblüfft. Wie konnten Sie sich dazu entschließen, sich in die Hände der …«
»… der Leute zu begeben, die vor Kurzem noch Syndiks waren? Leicht ist es mir nicht gefallen.« Unbestimmbare Gefühle flammten in ihren Augen auf. »Ich war in einem ihrer Arbeitslager interniert. Ich weiß, wie es da zugeht.«
»Es gibt keine Arbeitslager mehr, jedenfalls dort nicht, wo Präsidentin Iceni etwas zu sagen hat.«
»Das ist mir zu Ohren gekommen.« Abermals lächelte Bradamont. »Sie klingen so, als wären Sie stolz darauf.«
»Das bin ich auch. Wir … wir verändern viel hier.« Auch Marphissa fand ihr Lächeln wieder. »Präsidentin Iceni wird uns helfen, eine Regierung aufzubauen, die tatsächlich dem Volk dient.«
Bradamont musterte sie einen Moment lang, dann hob sie ihr Glas. »In dem Fall sollten wir auf Präsidentin Iceni anstoßen.«
Marphissa stieß mit ihr an. »Auf unsere Präsidentin.« Sie achtete darauf, wie viel Bradamont trank, da sie entschlossen war, nicht mehr Alkohol zu sich zu nehmen als die Allianz-Offizierin. Aber Bradamont hatte auf Iceni angestoßen … »Sie sind nur hier, um uns bei dieser Operation zu helfen?«
»Ich soll hier bleiben, wenn die Flotte weiterfliegt«, gab sie kopfschüttelnd zurück. »Verbindungsoffizierin. Ich soll beobachten, wie sich die Lage hier entwickelt und in jeder Hinsicht helfen und unterstützen, solange ich damit nicht gegen die Interessen der Allianz verstoße.«
»Unterstützen?« Marphissa lachte über den verrückten Gedanken, der ihr durch den Kopf ging. »Auch bei Taktiken? Können Sie uns zeigen, wie Black Jack kämpft?«
»Ja.«
Gesegnet seien die Vorfahren! Marphissa trank noch ein Glas. Erstaunen lieferte sich ein zähes Ringen mit einem Gefühl von Ablehnung. »Das ist … Sagen Sie, kann ich Ihnen meine Gefühle schildern? Ich habe momentan nämlich Schwierigkeiten, die zu ordnen. Einerseits denke ich, wie großartig es wäre, wenn uns jemand Black Jacks Tricks beibringen könnte. Und da die Allianz-Flotte mit ihrer Feuerkraft allem weit überlegen ist, was mal zu den Syndikatwelten gehört hat, kann es nicht verkehrt sein, eine von Black Jacks ehemaligen Offizierinnen bei uns zu haben. Dafür würde ich Sie am liebsten küssen.«
Bradamont trank noch einen Schluck und zog eine Braue hoch. »Ich nehme an, ich sollte meinen Lipgloss aber noch nicht auffrischen.«
»Nein, denn auf der anderen Seite hat Black Jack uns gedemütigt und unsere mobilen Streitkräfte ausradiert. Diese Streitkräfte sind mit unseren Kameraden bemannt gewesen. Das ist schon schlimm genug. Aber jetzt steigt auch noch jemand aus seinen Reihen vom hohen Ross herunter, um uns zu zeigen, wie wir kämpfen sollen. Dafür würde ich Sie am liebsten verprügeln.«
»Sie haben aber normalerweise nicht derart gespaltene Gefühle gegenüber anderen Leuten, oder, Kommodor?«
»Normalerweise nicht. Zumindest nicht im gleichen Moment. Wie sieht es mit Ihren Gefühlen aus, Captain?«
Bradamont sah sich in der Kabine um und trank gemächlich einen Schluck. »Ich kann Ihre Empfindungen verstehen. Jeder, der etwas von seinem Fach versteht, ist stolz auf das, was er leistet und was er kann. Jedem wird eine herablassende oder gar bevormundende Behandlung missfallen. Aber Sie benötigen keine Hilfe bei den Grundlagen. Wenn das, was Sie bei Kane gemacht haben, typisch für Sie ist, dann sind Sie gut, Kommodor. Was mich angeht, ist das alles sehr seltsam. Ich bin schon zuvor auf Syndik-Plan … verzeihen Sie. Ich bin auf Planeten der Syndikatwelten gewesen, und zwar als Gefangene. Eine innere Stimme schreit mich an, ich solle sofort die Flucht ergreifen. Eine andere Stimme, die sich meldet, wenn ich Sie in dieser Uniform dasitzen sehe, drängt mich dazu, Sie für den Tod und die Zerstörung zu hassen, die ein sehr langer und völlig sinnloser Krieg gefordert hat.« Sie stellte ihr Glas ab und schüttelte den Kopf. »Ein Teil von mir steckt immer noch in der Vergangenheit fest, ein anderer Teil sieht Menschen, die versuchen die Vergangenheit hinter sich zu lassen, etwas Neues zu schaffen und die Fesseln abzuwerfen, von denen sie festgehalten worden sind. Und Sie sind Colonel Rogeros Volk.«