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Marphissa zuckte zusammen, als sie das hörte. »Derartige Manöver bei solchen Geschwindigkeiten? Manuell ausgeführt und nicht von automatischen Systemen? Das ist unmöglich.«

»Für uns ist es das.«

»Was können Sie mir über das riesige Schiff sagen?«, erkundigte sich Marphissa als Nächstes.

»Die Invincible? Die haben wir von den Kiks erbeutet.« Bradamont blinzelte, um das Spiel des Lichts in der bernsteinfarbenen Flüssigkeit ihres nur zum Teil gefüllten Glases zu betrachten. »Diese Kiks sind niedlich. Und völlig verrückt. Nicht in der Art von: ›Lasst uns bloß in Ruhe.‹ Sondern im Sinne von: ›Wenn wir könnten, würden wir das ganze Universum übernehmen.‹ Und absolut fanatische Kämpfer. Bis zum Tode. Über die findet sich auch alles in unserem Bericht an Ihre Präsidentin. Wir wollen hoffen, dass die Kiks niemals in von Menschen besiedeltes Gebiet vordringen. Aber Sie müssen auch erfahren, warum Sie nicht in Sternensysteme vordringen sollten, die von den Kiks kontrolliert werden.«

»Vielen Dank.« Vielleicht lag es am Alkohol, vielleicht auch daran, dass sie beide an Bord von Kriegsschiffen Erfahrungen gesammelt hatten. Auf jeden Fall merkte Marphissa, wie sie sich zu entspannen begann, und lächelte Bradamont erfreut an. »Ich hoffe, in diesem Bericht steht auch, wie Sie dieses riesige Schiff in Ihre Gewalt gebracht haben.«

»Das war … eine Herausforderung«, erwiderte Bradamont. »O ja. Wir können später noch darüber reden, wie wir, also wie Admiral Gearys Flotte unsere Feinde besiegt hat.«

Marphissa sah der Allianz-Offizierin in die Augen und verspürte ein Frösteln, das alle Wärme mit einem Mal vertrieb. »Feinde wie uns. Wie Sie die mobilen Streitkräfte der Syndikatwelten besiegt haben.«

»Ja«, sagte Bradamont etwas sanfter, als hätte sie Marphissas Stimmungswandel bemerkt. »Es war so gemeint, wie ich es gesagt hatte. Wir wollen Ihnen helfen, Mittel und Wege zu entwickeln, wie Sie sich erfolgreich gegen Streitkräfte der Syndikatwelten zur Wehr setzen, die herkommen und die Kontrolle über dieses Sternensystem an sich reißen wollen. Ich kann darüber berichten, wie verschiedene Gefechte abgelaufen sind, von Corvus bis nach Varandal. Admiral Geary hat mir die Erlaubnis erteilt.«

»Varandal? Ist das nicht Allianz-Territorium?«

»Ja, da spielte sich der Kampf gegen Ihre Reserveflotte ab.«

»Sie meinen, da haben Sie unsere Reserveflotte ausradiert«, korrigierte Marphissa sie und starrte auf ihr Glas. »Ich weiß davon. CEO Boyens hat Präsidentin Iceni davon erzählt, auch wenn es scheint, als hätte er sehr viel aus der Zeit verschwiegen, als er Ihr Gefangener war. Viele Crewmitglieder von den Schiffen der Reserveflotte waren mit uns befreundet. In einigen Fällen war es auch mehr als nur Freundschaft. Die Reserveflotte war lange Zeit hier im System stationiert. Für Jahrzehnte war Midway ihre Heimatbasis.« Ihr Tonfall hatte eine traurige, wütende und vorwurfsvolle Färbung angenommen. Es war unfair von ihr, das wusste sie. Es war Krieg gewesen, und trotzdem …

»Das tut mir leid«, sagte Bradamont erneut.

»Ich bin mir sicher, wir haben alle viele Freunde verloren.«

Eine Weile herrschte Schweigen, dann fragte Bradamont mit aufgesetzt guter Laune: »Haben Sie schon die Liste der Gefangenen erhalten?«

»Was?«, fragte Marphissa, die glaubte, sie hätte sich verhört.

»Die Liste der Gefangenen«, wiederholte sie. »Die Liste mit den Namen der Offiziere und Crewmitglieder der Reserveflotte, die bei Varandal in Gefangenschaft gerieten, nachdem ihre Schiffe zerstört worden waren.«

Marphissa hatte gerade wieder einen Schluck trinken wollen, doch auf halber Strecke erstarrte ihr Arm. »Gefangene? Sie haben Gefangene genommen? Nicht nur CEO Boyens?«

»Richtig.« Bradamont stutzte. »Haben Sie etwa nichts davon mitbekommen, dass Admiral Geary gleich nach Übernahme des Kommandos das Töten von Gefangenen verboten hat?«

»Davon habe ich gehört, aber ich habe es nicht geglaubt.«

»Es stimmt aber. Wir haben aufgehört, Gefangene hinzurichten …« Diesmal bekam Bradamont einen roten Kopf. »Ich kann es noch immer gar nicht richtig fassen, dass wir das überhaupt jemals gemacht haben, dass wir so tief gesunken waren. Bis er uns vor Augen hielt, dass … Jedenfalls haben wir Gefangene genommen. Und immer dann, wenn wir keine Gefangenen gebrauchen konnten, weil wir im Syndik-Gebiet unterwegs waren, haben wir sie in ihren Rettungskapseln entkommen lassen. Haben Sie davon auch nichts gewusst?«

»Wir haben nur das gewusst, was die Regierung uns verraten hat.«

»O ja, aus Sicherheitsgründen. Es ist schon witzig, was sich Regierungen unter dem Deckmantel der Sicherheit alles herausnehmen, nicht wahr? Na ja, jedenfalls kann ich Ihnen sagen, dass bei Varandal Gefangene Ihrer Reserveflotte untergebracht sind. Sehr viele Gefangene sogar. Das weiß ich mit Sicherheit.«

Marphissa schaute Bradamont eine halbe Ewigkeit lang an, ehe sie wieder etwas sagen konnte. »Sind Sie sich ganz sicher, dass die auch alle noch dort sind? Oder hat man sie inzwischen auf Arbeitslager überall in der Allianz verteilt?«

Erneut bekam die Offizierin einen roten Kopf, diesmal jedoch vor Verärgerung. »Die Allianz hat nie über Arbeitslager verfügt. Wenn, wurden Ihre Leute in Gefangenenlager gebracht. Sie hielten sich alle noch in Varandal auf, als der Krieg für beendet erklärt wurde. Daraufhin wollte kein anderes Sternensystem sie mehr haben, weshalb sie immer noch in Varandal bei der Flotte festsitzen. Die muss sie jetzt mit Nahrung und Unterkünften versorgen und sich um sie kümmern, bis alle Vereinbarungen über die Rückführung von Kriegsgefangenen unterzeichnet sind. Ich weiß davon, weil sich so viele Offiziere über diese Situation beklagt haben. Die Syndiks … ich wollte sagen, die Regierung der Syndikatwelten sollte sich eigentlich überlegen, wie sie ihre Leute am schnellsten zurückholen. Stattdessen zieht sich dieser Prozess immer mehr in die Länge, und die Behörden bei Varandal haben all diese Syndiks am Hals, die sie lieber heute als morgen nach Hause schicken würden.« Bradamonts Verärgerung war verflogen und einem nachdenklichen Ausdruck gewichen. »Sie sind mir ja ein Volk. Ich verstehe nicht, wieso die Befehlshaber der Syndikatwelten die Überlebenden der Reserveflotte bei Varandal nicht einfach abholen. Warum haben die nicht längst jemanden geschickt? Oder Sie. Ja, Sie könnten doch jemanden losschicken.«

»Was? Wir?«, gab Marphissa zurück, die nicht glauben wollte, was sie da hörte.

»Ja, schicken Sie ein paar umgebaute Frachter hin. Wie viele werden nötig sein? Mehr als zwei … Vier? Nein, eher sechs. Das sind ungefähr viertausend Gefangene, die alle zu Ihrer Reserveflotte gehört haben. Es wird vielleicht ein wenig eng, aber sechs umgebaute Frachter können sie transportieren, wenn alles entsprechend vorbereitet wird.«

»Wir könnten …«, begann Marphissa eifrig, ehe ihr etwas bewusst wurde. »Frachter. Bis ins Gebiet der Allianz, durch ein Territorium, in dem die Autorität der Syndikatwelten angefochten oder sogar aktiv bekämpft wird? Ein Territorium, in dem jede noch verbliebene Syndikatwelt das Feuer auf Schiffe eröffnen würde, die in unserem Auftrag unterwegs sind?« Ich werde mir keine Hoffnungen machen. Ich werde nicht daran glauben, dass es dazu kommen kann.

»Sie müssten natürlich eine Eskorte mitschicken«, räumte Bradamont ein. »Ein paar von Ihren Kriegsschiffen.«

»Wir haben ja gerade mal ein paar Kriegsschiffe, und da erwarten Sie, dass wir einen Konvoi aus Frachtern in ein Sternensystem der Allianz schicken?«

»Ja, das wäre wohl keine so gute Idee.« Bradamont trank einen Schluck und behielt den Whiskey einen Moment lang im Mund, ehe sie ihn runterschluckte. »Okay, ich wüsste etwas anderes. Nur ein Vorschlag. Fliegen Sie nach Atalia. Sie haben ein Hypernet-Portal, also können Sie das für den größten Teil der Strecke benutzen. Von Atalia aus ist es nur noch ein kleiner Sprung bis nach Varandal. Atalia hat so wie Sie seine Unabhängigkeit von den Syndikatwelten erklärt, auch wenn die Zustände dort nicht annähernd so gut sind wie hier bei Ihnen.«