Ein paar Tage später näherte sich die Manticore in Begleitung des neu ins System gekommenen Kreuzers dem Sprungpunkt, der zum Stern Maui führte. Offiziell würde die Manticore den Kreuzer bis zu seinem Heimatstern Kiribati begleiten.
Nur drei Leuten an Bord der Manticore war bekannt, dass sie diesen Kreuzer allein weiterfliegen lassen würden, wenn er nicht mehr allzu weit von Kiribati entfernt war. Kommodor Marphissa, Kapitan-Leytenant Kontos und eine mysteriöse Frau namens Kapitan Bascare wussten, dass die Manticore dann eine Kursänderung vornehmen und sich auf den Weg zu einem Stern namens Taniwah machen würde, wo sich ein weiteres Hypernet-Portal befand.
Von diesem Hypernet-Portal bei Taniwah würde die Manticore zum Sprung zurück nach Midway ansetzen — um dort direkt vor der Nase von CEO Boyens und dessen Syndikat-Flotte aufzutauchen.
Sieben
»Gehen Sie auf volle Gefechtsbereitschaft, wenn es noch zwanzig Minuten bis zur Ankunft in Midway sind«, befahl Marphissa.
Kapitan Toirac sah sie besorgt an. Sie befanden sich in Marphissas Quartier, das auf einem Schweren Kreuzer keinerlei Luxus bot, aber zumindest Platz genug für zwei Personen, ohne gleich Klaustrophobie auszulösen. »Wir werden der Syndik-Flotte geradewegs in den Schoß fallen, und im Normalraum werden wir eine Geschwindigkeit von gerade mal 0,02 Licht erreichen.«
»Das ist der Sinn der Sache. Wir wollen, dass sie uns jagen. Sobald wir das Portal erreicht haben, wird das Kommando über die Manticore vorübergehend auf Kapitan Bascare übertragen.«
»Was? Asima … Verzeihung. Kommodor. Ich weiß nicht mal, wer diese Bascare eigentlich ist.«
»Das werden Sie noch erfahren.« Marphissa konnte Toirac nicht anvertrauen, dass »Bascare« in Wahrheit Allianz-Captain Bradamont war, dennoch machte sie sich die Mühe, ihm weitere Details zu erklären. »Vertrauen Sie mir. Das geschieht auf Befehl von Präsidentin Iceni. Es geht um eine von ihr geplante Operation, und wir müssen unsere Rolle in diesem Plan spielen.«
»Ich weiß nicht.« Toirac sah sich um, die Unsicherheit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Es war mittlerweile ein allzu vertrauter Gesichtsausdruck, den er zur Schau stellte, ob er nun im Dienst war oder nicht.
Marphissa benetzte ihre Lippen und suchte nach den richtigen Worten. »Ygor, wir kennen uns schon seit einiger Zeit. Ich habe Sie für das Kommando über dieses Schiff empfohlen.«
»Tatsächlich? Wieso haben Sie nicht …«
»Augenblick.« Sie sah ihn ernst an. »Sie besitzen die Fähigkeiten, um dieses Schiff zu führen, aber Sie lassen nicht die dafür notwendige Stärke erkennen. Sie sind langsam, Sie zögern, Sie lassen zu, dass Ihre Spezialisten und Junioroffiziere die Entscheidungen treffen, die Sie eigentlich treffen sollten. Es ist keine schlechte Sache, Autorität und Verantwortung in gewissen Maßen zu delegieren. Ich halte das sogar für eine kluge Vorgehensweise, auch wenn es den Lehren des Syndikats widerspricht. Aber man kann es dabei auch zu weit treiben. Zu delegieren ist eine Sache, aber es ist eine ganz andere Sache, wenn man dabei das Kommando mehr oder weniger komplett an seine Untergebenen abtritt.«
Kapitan Toirac schaute mit finsterer Miene zur Seite. »Ich tue mein Bestes. Das ist alles sehr schwierig, und ich versuche die Fehler zu vermeiden, die das Syndikat gemacht hat.«
»Okay, Sie wollen das Schiff nicht wie ein Diktator führen, das kann ich verstehen. Aber Sie gehen zu weit in die entgegengesetzte Richtung. Es ist nicht Ihr Schiff, wenn Sie es nicht befehligen. Ich werde Ihnen Unterstützung geben, Ygor. Ich werde Ihnen jeden Ratschlag geben, den Sie gebrauchen können. Ich weiß, Kapitan-Leytenant Kontos hat mit Ihnen gesprochen und versucht, Ihnen zu helfen. Aber er sagt, dass Sie nicht zuhören.«
»Kontos! Vor ein paar Wochen war er noch ein Sub-Executive! Ich weiß besser als er, wie man ein Kommando führt!«
»Er ist gut, Ygor. Kontos weiß, wie man es anstellen muss, damit die Untergebenen einen als ihren Anführer ansehen. Sie müssen diese gleichen Wesenszüge hervorheben, Sie müssen Ihre Befehlsgewalt genauso angehen und …«
»Wenn Sie mit mir nicht zufrieden sind«, knurrte Toirac, »warum lassen Sie mich dann nicht einfach fallen?«
»Weil ich Ihnen zum Erfolg verhelfen möchte«, beharrte Marphissa, die immer mehr Mühe hatte, sich nicht zu sehr über Toiracs Verhalten zu ärgern.
»Indem Sie mich zur Schnecke machen, helfen Sie mir bestimmt nicht.«
»Haben Sie eigentlich irgendetwas von dem mitbekommen, was ich gerade gesagt habe? Ist Ihnen aufgefallen, wie sich Ihre Offiziere und Ihre Spezialisten Ihnen gegenüber verhalten?«
Toirac zog starrsinnig die Mundwinkel nach unten. »Wenn Sie so unzufrieden mit mir sind, wäre dieses Schiff mit einem anderen befehlshabenden Offizier besser bedient.«
Sie warf ihm einen wütenden Blick zu. »Das möchte ich nicht, aber wenn Sie schon von sich aus dieses Thema anschneiden, bleibt mir keine andere Wahl als Sie zu warnen. Wenn Sie sich nicht endlich so verhalten, wie man es vom befehlshabenden Offizier der Manticore erwarten darf, werde ich gezwungen sein, Ihre Versetzung zu empfehlen.«
Sein Blick wurde im Gegenzug noch finsterer. »Das hat nicht lange gedauert, nicht wahr, Asima? Das ganze Gerede davon, dass jetzt alles anders wird und so weiter. Aber kaum haben Sie die Macht in Ihren Händen, spielen Sie die typische Sub-CEO, die sich beim CEO einschmeichelt und …«
Wutentbrannt sprang Marphissa auf. »Ich werde so tun, als hätten Sie diese Dinge nie gesagt. Aber Sie sollten sich reden hören. Ich will Ihnen meine Hilfe anbieten, und Sie reagieren mit Beleidigungen! Wäre ich die typische Sub-CEO, dann hätte ich Ihnen schon vor Wochen das Kommando entzogen! Aber ich habe geduldig gewartet, dass Sie es endlich schaffen sich durchzusetzen.«
Toirac schaute vor sich. »Ja, Kommodor.«
»Verdammt noch mal. Wollen Sie mich in eine Ecke drängen, aus der es nur noch einen Ausweg gibt?«
»Die Kommodor kann sich verhalten, wie sie es für richtig hält. Ich habe verstanden und werde gehorchen.«
»Raus hier! Sofort!« Marphissa brüllte ihn nahezu an. Sie musste ihn wegschicken, weil sie fürchtete, sie könnte ihm noch viel Schlimmeres an den Kopf werfen, wenn Toirac noch länger den Beleidigten spielte, anstatt endlich seinen Verstand einzuschalten.
Mit steifer, formaler Geste salutierte er, dann verließ Toirac das Quartier. Einzig die Schließautomatik der Luke konnte dabei verhindern, dass er sie beim Hinausgehen hinter sich zuschlug.
Marphissa setzte sich hin und versuchte, ihre Wut in den Griff zu bekommen. Ich habe es versucht, und er antwortet mir: »Ich habe verstanden und werde gehorchen.« Er tut so, als wäre ich tatsächlich irgendeine dahergelaufene Syndikatvorgesetzte, die ihre Macht missbraucht. Es ist viel leichter, sich über den Boss zu beschweren als sich bei ihm zu beschweren. Aber wenn Toirac mich nicht von einer CEO-Stiefelleckerin unterscheiden kann, dann ist er nicht nur schwach, sondern auch dumm.
Entscheide jetzt nichts. Du bist zu wütend. Aber Toirac sollte trotzdem schnellstens bessere Leistungen erkennen lassen.
»Kommodor?« Die Frage wurde von einem Klopfen an der Luke begleitet.
Marphissa hob den Kopf und zwang sich zur Ruhe. »Herein.«