Bei einem Energieausstoß von 0,7 auf der Nova-Skala würde von Midway nicht mehr viel übrig bleiben. Die Planeten an sich würden das wohl überstehen, aber sie würden ihre Atmosphäre verlieren, und die Oberfläche würde vollständig verwüstet werden. Der Stern würde schwer in Mitleidenschaft gezogen und Asteroiden und Kometen zu Staub zerfallen oder in das Dunkel zwischen den Sternen geschleudert werden.
Kein Mensch würde das überleben.
Aber es würde auch nichts von dem überleben, was den Enigmas gehörte.
»Meinen Sie, die werden uns das abnehmen, wenn wir ihnen mit dem Hypernet-Portal drohen?«, wollte Drakon wissen. »Nach dem Motto: ›Verschwindet sofort, oder wir löschen hier alles aus.‹«
»Ich bin mir sicher, sie werden uns glauben, dass wir fähig sind, eine solche Drohung in die Tat umzusetzen«, erklärte Iceni. »Schließlich sind wir Menschen, und Menschen greifen zu solchen Maßnahmen, wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen. Aber die Enigmas könnten durchaus in der Lage sein, uns an der Ausführung unserer Drohung zu hindern. Gehen wir nach den Informationen, die wir von der Allianz erhalten haben, sind sie dazu vielleicht in der Lage. Die Allianz geht davon aus, dass es sich bei den Portalen ursprünglich um Enigma-Technologie handelt, die uns mit Absicht zugespielt wurde. Das würde bedeuten, dass die Enigmas viel mehr über diese Portale wissen als wir. Wir haben zwar herausgefunden, wie man die Aliens daran hindert, die Portale so zu zerstören, dass sie alles Leben in einem von Menschen bevölkerten System auslöschen. Aber sie könnten sich doch immer noch irgendein Hintertürchen offen gehalten haben, um uns davon abzuhalten, dass wir das Gleiche mit ihnen machen.«
Es war irgendwie eigenartig, überlegte Drakon. Das hier war eine Krisensituation. Er hatte die Enigma-Flotte auf seinem Bildschirm, ebenso die Flotte des Syndikats und auch die Icenis Befehl unterstehenden mobilen Streitkräfte. Doch die beiden gegnerischen Flotten waren noch Lichtstunden voneinander entfernt. Was er jetzt sah, waren die Bilder von vor viereinhalb Stunden. Es war ganz egal, was die Enigmas in diesem Moment unternahmen, es würden immer noch Tage vergehen, bis es zur ersten echten Begegnung zwischen den Streitkräften kam. »Es kann nicht schaden, es bei den Enigmas mit einem Bluff zu versuchen.« Sofern Iceni tatsächlich einen Bluff beabsichtigte. Sie mochte aber ebenso gut den kaltblütigen Plan zur Vernichtung beider Seiten für den Fall hegen, dass die Enigmas unmittelbar vor einer Auslöschung der Menschen in diesem Sternensystem standen.
»Was glauben Sie, wie weit wir CEO Boyens vertrauen können?«, fragte sie.
»Wir beide kennen Boyens.« Drakon hielt eine Hand hoch, Zeigefinger und Daumen waren nicht mal einen Zentimeter voneinander entfernt. »Meiner Meinung nach können wir ihm bestenfalls so weit vertrauen.«
»Er hat auch ein paar gute Eigenschaften.«
»Und diese Eigenschaften nutzt er momentan, um die Wogen des Wandels aufzuhalten, die sich ihren Weg durch das vom Syndikat kontrollierte Territorium bahnen. Das Einzige, was ihn interessiert, ist zu überleben, den Kopf über Wasser zu halten und dabei möglichst noch mit den höchsten Ehren ausgezeichnet zu werden.«
Iceni legte den Kopf ein wenig schräg, während sie überlegte. »Das lässt uns zumindest den Spielraum, an seinen Selbsterhalt zu appellieren.«
»Stimmt«, pflichtete Drakon ihr bei. »Was sollen wir ihm anbieten?«
»Wir werden dieses Sternensystem seiner Kontrolle unterwerfen, keinen Widerstand leisten und keine Einrichtungen beschädigen, wenn er uns hilft, die Enigmas zurückzuschlagen.«
»Das wird er uns niemals abnehmen. Boyens weiß, dass wir eine solche Zusage nicht einhalten würden«, hielt Drakon dagegen. »Allerdings ist es das beste Angebot von unserer Seite, das er sich erhoffen kann, solange die Enigmas hier sind. Versuchen wir es einfach.«
Sie gab einen aufgebrachten Laut von sich. »Wir brauchen mehr Druck. Wenn doch nur unser Schlachtschiff einsatzbereit wäre. Wäre doch bloß das Schlachtschiff, das wir bei Tama in Besitz genommen haben, schon fast fertiggestellt gewesen!«
»Die Freien Taroaner waren gar nicht glücklich darüber, dass wir das Schiff behalten haben«, merkte Drakon an. »Und auch nicht, dass wir die Orbitaldocks bei Taroa erst dem Syndikat abgenommen und dann unseren Anspruch darauf angemeldet haben.«
»Damit werden sie leben müssen, auch wenn sie sich alle Zeit der Welt lassen, um die Materialien und die Arbeiter zur Verfügung zu stellen, die wir für die Fertigstellung benötigen.«
Colonel Malin meldete sich verhalten zu Wort. »Madam Präsidentin, wenn Sie gestatten. Was wäre, wenn wir den Freien Taroanern das Schlachtschiff und einen großen Teil der Orbitaldocks überlassen?«
Iceni hatte den Gesichtsausdruck eines Menschen, der soeben etwas gehört hatte, was er unmöglich verstehen konnte. »Warum sollten wir so etwas machen?«
»Wir benötigen Verbündete. Wir haben zwar Black Jack«, erklärte er, »aber der ist weit weg, weshalb wir in einer Krisensituation nicht auf seine Unterstützung zählen können. Taroa ist nicht weit von hier entfernt.«
»Haben Sie irgendeine Vorstellung davon, über welche Feuerkraft ein Schlachtschiff verfügt? Welche militärische Kapazität Sie aus der Hand geben wollen?«
Malin lächelte schwach. »Ich habe die Bombardements von Schlachtschiffen der Allianz miterlebt, Madam Präsidentin. Aber das Schlachtschiff bei Taroa verfügt derzeit über keinerlei militärische Kapazität, und das wird auch noch eine Weile so bleiben. Die Schiffshülle ist nicht fertiggestellt, es ist nicht mal in der Lage, aus eigener Kraft das Dock zu verlassen. Ich habe auch nicht gesagt, dass wir das Schiff ohne Gegenleistung hergeben sollen. Die Freien Taroaner sind uns bereits dankbar für die militärische Unterstützung, die unsere Bodenstreitkräfte bei der Niederschlagung des Syndikats auf ihrer Welt geleistet hat. Allerdings streiten sie derzeit über den Wortlaut der Vereinbarungen zur gegenseitigen Verteidigung.«
Drakon sah Malin mit zusammengekniffenen Augen an. »Ich könnte mir vorstellen, dass die Taroaner mit jedem Wortlaut einverstanden sein werden, wenn sie dafür das Schlachtschiff erhalten.«
»Und dann würden sie auch nicht länger ihre Hinhaltetaktik anwenden, sondern jede Anstrengung unternehmen, um das Schlachtschiff so bald wie möglich fertigzustellen und kampfbereit zu machen«, stimmte Malin ihm zu.
Iceni musterte sie beide mit gesenkten Lidern. »Ein interessanter Vorschlag. Wir binden Taroa enger an uns, indem wir ihr Verlangen nach diesem Schlachtschiff stillen. Taroa investiert die notwendigen Ressourcen, damit das Schiff fertiggestellt werden kann, und damit sparen wir Geld und Arbeit. Wir gewinnen einen Verbündeten ganz in der Nähe, der uns noch dankbarer ist und der sich dazu verpflichtet, uns mit seinem Schlachtschiff zu unterstützen, das so früher fertiggestellt sein wird, als wenn wir das selbst versuchen. Ein sehr interessanter Vorschlag, Colonel. Und was ist, wenn Taroa beschließt, uns zu verraten?«
Malin lächelte. »Wir haben derzeit vollständigen Zugriff auf das Schiff, und wir werden auch Zugriff darauf haben, während es fertiggestellt wird. Es gibt sehr viele Sicherheitsvorkehrungen, die man heimlich im Schiff und in den Systemen installieren kann, mit denen sich sicherstellen lässt, dass jeder Versuch scheitert, das Schiff gegen uns einzusetzen.«
Die gedämpfte Unterhaltung wurde gestört, als auf einmal ein dezenter Alarm ertönte, der vom Systembildschirm ausging. »Vom Planeten startet soeben ein Shuttle«, meldete einer der Offiziere an den Konsolen. Auf dem Display tauchte ein Symbol auf, begleitet von einem eleganten Bogen, der den mutmaßlichen Kurs in den Orbit darstellte. »Das ist kein angemeldeter Start. Alle Einrichtungen sind darauf hingewiesen worden, dass während des Alarmzustands keine Starts zu erfolgen haben, die nicht von hier autorisiert worden sind.«