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„Natürlich, natürlich wünsche ich es! Mein Gott! Meine Kinder am Leben! Ich soll sie sehen! Welch eine Seligkeit! Sagen Sie, Herr Doktor, wo befinden sie sich?“

„Hm!“ lächelte Müller. „Sie haben sie vielleicht bereits gesehen, eine der Schwestern aber ganz gewiß.“

„Wo? Wo denn?“

„Hier in der Nähe. Jedenfalls können Sie sich auf Ihre Frau Gemahlin besinnen?“

„Sehr gut, sehr gut! Sie steht noch ganz lebensvoll in meinem Gedächtnis.“

„Auch ihre Züge?“

„Ja, ja. Oh, dieses liebe, milde, zarte, freundliche Angesicht habe ich doch nicht vergessen können!“

„Nun gut! Ist Ihnen hier nicht vielleicht eine Dame begegnet, welche Ihrer verstorbenen Frau ähnlich ist?“

„Doch, o doch! Ich war ganz frappiert über die Ähnlichkeit.“

„Wer war es?“

„Fräulein Nanon. Ich wiederhole, daß ich beim Anblick dieser jungen Dame fast bestürzt war; aber – – –“

„Was aber?“

„Ich erkundigte mich nach ihrem Namen. Er lautete Charbonnier. Die Ähnlichkeit mußte also eine ganz zufällige sein.“

„Haben Sie sich auch nach ihren Familienverhältnissen erkundigt, Herr Deep-hill?“

„Ja. Sie ist eine Waise aus Schloß Malineau in der Gegend von Etain.“

„Aber Sie erfuhren doch auch, daß sie eine Schwester hat?“

„Ja. Ich bin mit dieser Schwester gefahren. Sie befand sich mit mir im Coupé.“

„Und die Züge von Fräulein Madelon sind Ihnen nicht aufgefallen? Die beiden Schwestern sehen sich ja außerordentlich ähnlich.“

„Madelon trug im Coupé einen Schleier.“

„Aber auffallen muß Ihnen doch wenigstens jetzt, daß es zwei Schwestern gibt, welche Waisen sind, ihren Vater nicht gekannt haben und eine so große Ähnlichkeit mit Ihrer Frau besitzen!“

„Allerdings. Aber – – – wollen Sie damit sagen, daß Nanon und Madelon meine Kinder sind?“

„Ja, sie sind es.“

„Mein Gott! Wirklich?“

„Es ist gar kein Zweifel möglich!“

„Aber wie wollen Sie das beweisen? Die bloße Ähnlichkeit ist noch kein Beweis.“

„Das ist wahr. Aber dort mein Diener wird imstande sein, Ihnen weitere Aufklärungen zu geben.“

„So kommen Sie, schnell, schnell! Wir gehen sofort nach Schloß Ortry, wo ich die Kinder treffen werde.“

Es war eine leicht zu erklärende Erregung über ihn gekommen. Er wendete sich, um schnell zu gehen; Müller aber hielt ihn zurück und sagte:

„Halt, nicht so rasch! Denken Sie wirklich daran, jetzt nach Ortry zu gehen?“

„Gewiß! Natürlich!“

„Und der alte Kapitän?“

„Was frage ich jetzt nach ihm?“

„Was Sie betrifft, so ist es freilich begreiflich, daß Sie jetzt an nichts anderes denken, als Ihre Kinder zu finden; aber ich bitte Sie dringend, auch auf mich Rücksicht zu nehmen.“

„Wieso?“

„Ich möchte ein Zusammentreffen zwischen Ihnen und dem Kapitän jetzt noch vermeiden.“

„Warum?“

„Aus naheliegenden Gründen, welche mir ganz außerordentlich wichtig sind, obgleich wir sie jetzt nicht zu erörtern brauchen. Mir ist jetzt das allerwichtigste die Frage, wie Sie sich in bezug auf den Kapitän zu verhalten gedenken.“

„Nun, angezeigt wird er. Seine Strafe muß er erhalten. Ich lasse mich nicht zum Zweck der Beraubung von ihm einsperren.“

„Wenn ich Sie nun ersuche, von dieser Anzeige noch abzusehen?“

„Aus welchem Grund aber?“

„Ich habe Ihnen bereits eine Andeutung gegeben. Es sind in diesen unterirdischen Gewölben noch Menschen eingesperrt, welche ihre Lebensbedürfnisse nur durch den Kapitän erhalten. Wenn er arretiert wird und nichts gesteht, müssen sie elend verkommen und verschmachten.“

„So muß man ihn zum Geständnis bringen!“

„Wodurch?“

„Durch Zwang.“

„Welchen Zwang meinen Sie? Die Zeiten der Tortur sind glücklicherweise vorüber.“

„So muß man, sobald man ihn eingesperrt hat, nach diesen Unglücklichen schleunigst suchen!“

„Meinen Sie, daß man sie finden wird, ehe sie verschmachtet, verhungert und verdurstet sind?“

„Halten Sie dieses Nachforschen für so schwer?“

„Gewiß. Bedenken Sie, daß sich jedenfalls auch mein Vater unter ihnen befindet!“

„Dann möchte ich allerdings Ihren Wunsch berücksichtigen.“

„Und noch eins, was ich Ihnen als Ehrenmann ja wohl nicht zu verheimlichen brauche: Es gibt noch gewisse andere Gründe, welche es mir wünschenswert erscheinen lassen, daß der Alte jetzt noch frei bleibt.“

„Politische?“

„Auch mit.“

„Hm! Ich verstehe, und werde Sie natürlich nicht verraten. Zeige ich den Kapitän an, so müssen Sie als Zeuge dienen. Er aber soll nicht wissen, daß Sie sein Feind sind.“

„So ist es, Herr Deep-hill. Also – – –?“

„Gut! Ich sehe noch von einer Anzeige ab. Aber nach Ortry muß ich dennoch, um meine Töchter zu sehen!“

„Das ist nicht notwendig. Fritz Schneeberg mag Sie zu meiner Schwester führen, welche sich wegen Ihres Verschwindens bereits in großer Besorgnis befand.“

„Wirklich?“ fragte der Amerikaner rasch.

„Ja. Ich ging zu ihr, um mich zu erkundigen, ob Sie vielleicht bei ihr gewesen seien. Ihr Erscheinen wird sie beruhigen. Dann führe ich Ihnen Ihre Töchter zu.“

„Werden sie von Ortry fort können?“

„Wer will sie halten?“

„Der Alte!“

„Oh, der ahnt ja nichts. Also gehen wir! Vorher aber wollen wir dafür sorgen, daß hier keine Spur meiner Anwesenheit zu finden ist.“

„Tun Sie das! Vorher aber noch eins, mein bester Herr Doktor! Sie haben mir nicht nur die Freiheit wiedergegeben, sondern Sie haben mir sogar das Leben gerettet. Ich hätte die Sonne nie wieder gesehen. Sie können versichert sein, daß ich Ihnen das nicht vergessen werde. Ich bleibe Ihr Schuldner für die ganze Lebenszeit. Verfügen Sie über mich ganz nach Ihrem Belieben!“

Müller warf ihm einen ernsten, forschenden Blick zu und fragte dann sehr langsam und mit Nachdruck:

„Wissen Sie, was das heißt? Haben Sie auch an die Tragweite dieses Wortes gedacht?“

„Gewiß!“

„Nun, was mich betrifft, das heißt, meine Person, so haben Sie allerdings nicht die geringste Verbindlichkeit. Ich adressiere Ihre Dankbarkeit dort an den, den ich jetzt meinen Diener nenne, und an noch einen, den Sie wohl noch kennenlernen werden. Dennoch aber sehe ich voraus, daß ich gezwungen sein werde, Sie mit Bitten zu belästigen. Werden Sie diese berücksichtigen, so sind Sie nicht mein Schuldner, sondern ich bin der Ihrige.“

„Bitten, welche mit Ihrer vermutlichen Mission in Beziehung stehen?“

„Ja.“

„Ich werde sie erfüllen.“

„Aber Sie sind Franzose!“

„Und Sie sind Deutscher. Ich haßte die Deutschen. Ich kam, um das meinige zu ihrem Nachteil beizutragen. Aber ich denke bereits ganz anders, Herr Doktor. Betrachten Sie mich immerhin als Ihren Schuldner! Und nicht nur als das, sondern auch als Ihren Freund. Sie können versichert sein, daß ich nichts tun werde, was Ihnen bei der Erfüllung Ihrer Pflichten hinderlich sein könnte.“

„Ich danke Ihnen! Ich halte Sie für einen Ehrenmann, fühle mich aber dennoch durch Ihre Versicherung doppelt beruhigt, wie ich Ihnen aufrichtig gestehe.“

„Und noch eins, Herr Doktor. Wer ist dieser zweite, von dem Sie vorhin sprachen?“

„Ein Maler, welcher sich jetzt in der Gegend von Thionville befindet.“

Das fiel dem Amerikaner auf. Er fragte:

„Er ist also nicht von hier?“

„Nein.“

„Wohl ein kleiner, dicker Kerl mit Kalabreserhut und goldener Brille?“

„Allerdings.“

„Ah, den kenne ich, wenn Sie nämlich diesen sogenannten Hieronymus Aurelius Schneffke meinen.“