„Ja.“
„Sie waren in Malineau?“
„Ja.“
„Haben sie den jungen Berteu gesehen?“
„Ja.“
„Und mit ihm gesprochen?“
„Viel.“
„Viel? Ah! Hatten Sie Gelegenheit dazu?“
„Ich hatte sie mir verschafft. Erinnern Sie sich meiner Versicherung, daß ich Anlage zum Gendarm besitze?“
„Ja.“
„Nun, ich sollte Berteu aushorchen. Das konnte ich am allerbesten, wenn ich bei ihm wohnte.“
„Was? Wie? Sie haben bei ihm gewohnt?“
„Ja.“
„Wie lange?“
„Einige Tage.“
„Das ist gut, das ist wirklich gut. Wie aber kam es, daß er Sie zu sich nahm?“
„Ich tat, als ob ich das Schloß abzeichnen wolle, da kam er dazu und sagte mir, daß er einige Bilder besitze, welche er restaurieren lassen wolle. Ob ich diese Arbeit übernehmen könne.“
„Sie sagten, ja?“
„Natürlich.“
„Und haben ihn ausgehorcht?“
„Ganz und gar.“
„Wußte er etwas?“
„Nichts, kein Wort.“
„Ah! Wovon denn?“
„Das weiß ich auch nicht.“
„So können Sie es ja gar nicht wissen, daß er kein Wort gewußt hat.“
„Oh, er war so zutraulich mit mir, daß er mir alles, alles gesagt hat, was auf seinem Herzen liegt.“
„Was denn?“
„Von dem Krieg.“
„Was weiß er davon?“
„Sehr viel. Er will Franctireurs sein.“
„Ach so. War sein Vater wirklich tot?“
„Ja.“
„Woran war er gestorben?“
„Er war an einem Knochen erstickt.“
„Der Unglückselige. Hat er vor seinem Ende gebeichtet?“
„Hm. Kann man mit einem Knochen im Hals beichten?“
„Nein. Hat er seinem Sohn etwas anvertraut?“
„Kurz vor dem Tod nicht.“
„Das wissen Sie genau?“
„Sehr genau. Er hatte ein Schweinskotelett gegessen. Dabei war ihm der Knochen in die Gurgel gekommen. Fünf Minuten darauf war er eine Leiche.“
„Das ist gut. Das ist schön.“
„Hm. Ist's nicht möglich, daß er bereits vorher etwas gesagt haben kann?“
Der Alte erschrak.
„Was soll er gesagt haben?“ fragte er. „Wissen Sie vielleicht etwas, was er gesagt hat?“
„Ja.“
„Was denn?“
„Er hat zu seinem Sohn gesagt, daß dieser ein liederlicher Strick sei, den eines schönen Tages der Teufel holen werde.“
„Weiter nichts?“
„Nein.“
„So bin ich zufrieden, sehr zufrieden.“
„Hm. Man muß vorsichtig sein.“
„Wie? Was? Wissen Sie noch etwas?“
„Nein. Aber der Tote könnte seinem Sohn vielleicht etwas Schriftliches hinterlassen haben.“
„Ist Ihnen so etwas bekannt?“
„Nein.“
„Dann gut. Wie haben Sie Ihre Zeit dort verbracht?“
„Ich habe dem Berteu die Gemälde gereinigt, bin spazieren gegangen und habe mir auch das Schloß besehen.“
„Es gehört jetzt dem Grafen von Latreau?“
„Ja.“
„Was arbeiten Sie morgen?“
„Ich werde von der Reise ausruhen.“
„Kommen Sie her zu mir. Wir werden ein wenig nach dem Document du divorce suchen.“
„Wozu?“
Sofort machte der Alte ein finsteres Gesicht.
„Was geht Sie das an?“ fragte er.
„Mich? Nichts, gar nichts.“
„So fragen Sie auch nicht.“
„Schön. Gute Nacht.“
„Gute Nacht! Also kommen Sie morgen!“
„Gleich früh aber kann ich nicht“, sagte der dicke Maler, der sich bereits nach der Tür bewegte. Er spielte nur mit dem Alten.
„Warum nicht?“ erkundigte sich dieser.
„Ich muß zu Fräulein Köhler gehen.“
Im nächsten Augenblick hatte ihn Untersberg beim Arm erfaßt.
„Zu einem Fräulein Köhler?“ fragte er.
„Ja.“
„Wie heißt sie noch?“
„Madelon.“
„Ah! Oh! Was ist sie?“
„Gesellschafterin.“
„Wo?“
„Bei der Gräfin von Hohenthal.“
„Was wollen Sie bei ihr?“
„Ich soll sie porträtieren.“
„Was? Porträtieren? Eine Gesellschafterin?“
„Allerdings.“
„Hat sie denn Geld, das Porträt zu bezahlen?“
„Ich male es umsonst.“
„Sie sind des Teufels!“
„Nein, aber verliebt.“
„In wen?“
„Eben in diese Madelon Köhler.“
„Und das Mädchen? Werden Sie wiedergeliebt?“
„Oh, mit himmlischer Wonne!“
Da donnerte ihn der Alte an:
„Herr, Sie sind ein Lügner!“
„Oho!“
„Ich kann es Ihnen beweisen!“
„Beweisen Sie es!“
„Als Sie sich vor Ihrer Reise bei mir befanden, waren Sie bereits verliebt.“
„Das bin ich stets.“
„Sie sagten, in eine Gesellschafterin.“
„Natürlich.“
„Ich fragte Sie nach ihr.“
„Das ist möglich.“
„Sie antworteten, daß sie bei der Gräfin von Goldberg in Stellung sei.“
„Ach so! Ja, das ist wahr.“
„Und jetzt zeigt es sich, daß sie bei der Gräfin von Hohenthal ist!“
„Aber doch nicht dieselbe!“
„Ist's denn eine andere?“
„Ja. Mit der vorigen war es nichts; sie war arm und hatte obskure Eltern. Bei dieser Madelon Köhler aber ist es ganz anders.“
„Inwiefern?“
„Hm! Das ist Geheimnis.“
„Aber mir teilen Sie es mit?“
„Wozu?“
„Weil ich mich für Sie interessiere.“
„Ich mich für Sie auch; aber das ist doch kein Grund, Ihnen die Geheimnisse meiner Braut mitzuteilen.“
„Sie ist schon Braut?“
„Ja, gewiß.“
„Ist sie denn reich?“
„Oh, sehr! Und nicht bloß das.“
„Was noch?“
„Sie ist auch vornehm.“
Die Gestalt des Alten sank immer mehr zusammen. Er stellte seine Fragen mit außerordentlicher Hast und Ängstlichkeit. Jetzt stieß er hervor:
„Vornehm will sie sein?“
„Ja.“
„Eine Gesellschafterin?“
„Oh, sie hat ja nicht gewußt, daß sie selbst von Adel ist.“
„Von Adel! Eine – Köhler!“
„Das ist ihr falscher Name, welchen ihre Mutter zuletzt getragen hat.“
„Wie heißt sie denn?“
„Sie heißt eigentlich Madelon de Bas-Montagne.“
Da konnte sich der Alte nicht mehr halten; er sank auf den Stuhl nieder und stieß einen tiefen, tiefen Seufzer aus.
„Was ist Ihnen?“ fragte der Maler. „Ist Ihnen plötzlich schlecht geworden?“
„Ja.“
„Wovon?“
„Wohl von dem Essen. Ich habe doch wahrscheinlich zu viel zu mir genommen, und mein Magen ist ja ebenso alt wie ich. Doch das braucht Sie ja nicht zu kümmern. Bitte, erzählen Sie weiter, Herr Schneffke.“
„Nein; ich werde doch lieber gehen.“
„Bleiben Sie! Wo haben Sie diese Madelon kennengelernt?“
„In Malineau.“
„War sie dort?“
„Ja. Sie war mit ihrer Schwester Nanon gekommen, um den alten Berteu zu begraben, welcher ihr Pflegevater gewesen ist. Das waren wohl die beiden Mädchen, nach denen ich fragen sollte?“
„O Himmel, o Himmel!“
„Warum jammern Sie?“
„Ich wollte es verschweigen, nun haben Sie es doch erfahren.“
„Was denn?“
„Daß ich diese beiden meinte.“
„Warum interessieren Sie sich für dieselben?“
„Ich war mit Berteu bekannt. Er schrieb mir zuweilen und erwähnte dabei auch diese Mädchen. Er meldete mir einige Monate vor seinem Tod, daß er mir in Beziehung auf diese ein Geheimnis mitzuteilen haben, welches für sie von hohem Wert sei. Dann kam plötzlich die telegraphische Nachricht, er sei gestorben. Darum sandte ich hin, um zu erfahren, ob er seinem Sohn das gesagt habe, was eigentlich für mich bestimmt gewesen ist.“