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Der Maler hatte nicht die Absicht gehabt, dem Alten heute zu entdecken, daß alles an den Tag gekommen sei. Jetzt aber hielt er es für besser, mit dieser Mitteilung vorzugehen.

„Hm!“ brummte er nachdenklich. „Seinem Sohn hat Berteu nichts gesagt; aber das Geheimnis ist dennoch an den Tag gekommen.“

„Wie denn?“

„Das darf ich nicht sagen.“

„Und worin besteht es?“

„Eben darin, daß der Name der Mädchen nicht Köhler ist, sondern Bas-Montagne. Sie sind die Töchter einer französischen Freiherrfamilie.“

„Wie wollen Sie das beweisen?“

„Durch ihre Geburtsscheine.“

„Ah! Sind diese vorhanden?“

„Ja; sie sind aufgefunden worden.“

„Wo?“

„Im Schloß Malineau.“

„Wann?“

„Vor wenigen Tagen.“

„Wo haben sie gesteckt?“

„In einem Buch der Bibliothek“, log der Maler.

„So kann man doch nicht behaupten, daß sie sich gerade auf diese beiden Mädchen beziehen.“

„Und doch! Es hat nämlich ein Brief ihrer Mutter dabei gelegen. Sie muß eine sehr unglückliche Frau gewesen sein.“

„Wieso?“

„Sie war eine Deutsche, eine Protestantin, und heiratete den Baron Gaston de Bas-Montagne gegen den Willen seines Vaters. Dieser suchte sie zu verderben. Während sein Sohn verreiste, zwang er sie, zu entsagen. Sie entfernte sich mit ihren zwei Kindern und ließ einen Brief an ihren Mann und an ihren Schwiegervater einen Schein zurück, in welchem sie in die Scheidung willigte.“

„Ah, dieser Schein! Dieser Schein!“

„Was wissen Sie von ihm?“

„Nichts, gar nichts. Sie selbst sprachen ja davon.“

„Ach so!“

„Erzählen Sie weiter!“

„Wissen Sie denn, daß diese Geschichte noch weitergeht?“

„Ich kann es mir denken.“

„Nun, als der junge Baron von seiner Reise heimkehrte, log ihm der Vater vor, daß sein Weib ihm untreu gewesen sei und mit einem anderen die Flucht ergriffen habe. Der Sohn nahm sich dies zu Herzen und ist seitdem verschwunden. Man hat nichts wieder von ihm gehört.“

„Verschwunden – verschwunden!“ ächzte der Alte.

„Was haben Sie, tut Ihnen etwas weh?“

„Nein; aber Ihre Erzählung greift mich an.“

„Die geht Sie doch gar nichts an.“

„Nein; aber man hat doch Mitgefühl.“

„Ja. Sie sind ein edler Mensch; so wie Sie hätte der alte Baron sein sollen, dann wäre die arme Frau nicht verstoßen und verjagt worden, die arme, gute, süße becque fleur!“

Da fuhr der Alte auf und rief:

„Was sagen Sie da für ein Wort, Herr!“

„Becque fleur, zu Deutsch Kolibri.“

„Ich mag dieses Wort nicht leiden. Wissen Sie, was es zu bedeuten hat?“

„Ja.“

„Nun?“

„Es war der Kosename für die arme Frau. Der junge Baron hat sie stets sein kleines, liebes, gutes, süßes becque fleur genannt. Er muß sie sehr lieb gehabt haben.“

„Ah. Oh!“ stöhnte der Alte, indem er den Kopf in die beiden Hände legte.

„Was ist Ihnen denn?“

„Nichts. Sie verstehen es, so herzzerreißend zu erzählen.“

„Meinen Sie? Ja, die arme Frau tut mir wirklich herzlich leid. Sie hat sterben müssen, vereinsamt, verstoßen, verkannt und verurteilt. Wissen Sie, wie ich sie mir vorstelle?“

„Nun, wie?“

„Darf ich mir hier dieses Papierblatt nehmen?“

„Nehmen Sie es.“

Der Maler setzte sich an den Tisch, zog die Lampe näher, griff zu Stift und Papier und begann zu zeichnen. Der Alte sah ihm mit Spannung zu. Es dauerte kaum zwei Minuten, so hielt ihm der erstere das Blatt hin.

„Sehen Sie, Herr Untersberg, so stelle ich mir diese Frau vor. So muß sie gewesen sein, als sie noch glücklich war und kaum zwanzig Jahre zählte.“

Untersberg blickte auf die Zeichnung. Sie war ganz genau nach dem Porträt gehalten, welcher der Maler in dem Kolibribild gefunden hatte.

„Herr, mein Heiland! Das ist sie; das ist sie!“ rief der Alte. „So, ja, so war sie!“

„Wie?“ fragte Schneffke. „Haben Sie denn vielleicht diese Frau gekannt?“

„Nein.“

„Aber Sie sagen ja, daß sie es sei!“

„Nun, Sie sind ja ein tüchtiger Maler und müssen sie also getroffen haben.“

„Ah, so meinen Sie es!“

„Ja, anders natürlich nicht! Haben Sie sie denn gesehen?“

„Nein.“

„Und treffen sie so vorzüglich!“

„Das ist kein Wunder. Ich habe mir von ihr erzählen lassen, ich kenne ihren Charakter, ihr Temperament, ihre Tugenden, nach denen ich mir ihre Physiognomie ausbilde.“

Da erhob sich der Alte rasch von seinem Stuhl und fragte:

„Gelingt das immer?“

„Wenigstens mir.“

„Also wenn man Ihnen einen Menschen beschreibt, können Sie sein Gesicht zeichnen?“

„Ja.“

„Auch wenn es kein Weib, sondern ein Mann ist?“

„Gewiß.“

„Hat man Ihnen vielleicht den Baron Gaston beschrieben?“

„So ziemlich.“

„Getrauen Sie sich, ihn zu treffen?“

„Ja, doch vielleicht nicht mit einem Mal!“

„Wollen Sie es nicht einmal versuchen?“

„Wozu?“

„Es macht mir Vergnügen. Sie haben ja bemerkt, wie sehr ich mich für diese Sache interessiere.“

„Sie scheint Ihnen nicht so unbekannt zu sein, wie Sie sich stellen, Herr Untersberg.“

„Wie kommen Sie auf den Gedanken?“

„Infolge meiner Beobachtung. Habe ich nicht recht?“

„Nein.“

„So habe ich mich getäuscht.“

„Nun, wollen Sie den Kopf versuchen?“

„Danke! Ich habe Sie bereits zu lange belästigt.“

„Oh, das war keine Belästigung.“

„O doch. Ich habe heute mit Ihnen über Dinge gesprochen, wegen derer Sie mich früher mit dem Hund fortgehetzt hätten. Ich darf Ihre große Güte nicht mißbrauchen.“

„Das Gespräch war mir interessant.“

„Aber früher durfte ich manches nicht erwähnen, was ich heute erwähnt habe.“

„Das liegt in der Stimmung des Augenblicks. Ich bitte Sie wirklich, den Kopf zu versuchen.“

„Ich könnte nicht, selbst wenn ich wollte.“

„Warum nicht?“

„Wenn mir dieser Kopf gelingen soll, so muß ich ihn mit Buntstift zeichnen. Haben Sie vielleicht solche Stifte hier?“

„Nein.“

„So sehen Sie, daß es nicht geht.“

„Es geht, es geht! Ich lasse welche holen. Welche Farben brauchen Sie?“

Er war ganz geschäftig und beweglich geworden. Schneffke wehrte ab und sagte:

„Holen lassen! Ich danke. Ein guter Zeichner besorgt sich seine Stifte stets selbst.“

„Ist dies denn so unbedingt nötig?“

„Unbedingt zwar nicht: aber es hat ein jeder seine Eigentümlichkeiten. Ich arbeite mit keinem Stift, den ich mir nicht selbst ausgewählt habe.“

„Nun, so gehen Sie doch, um welche zu holen!“

„Ich begreife Sie nicht, Herr Untersberg. Sie tun ja, als ob Leben und Tod von dieser Zeichnung abhänge.“

„Ich habe Ihnen gesagt, daß ich mich für diese Mädchen interessiere, und ich bin gerade ebenso ein Sonderling wie sie. Ich verlange es als einen Freundschaftsbeweis, daß Sie die Stifte holen.“

„O weh! Da fassen Sie mich ja förmlich bei der Ambition an.“

„Ich hoffe, daß es nicht ohne Erfolg geschieht.“

„Nun gut, ich will Ihnen den Willen tun; aber einen Zweck kann ich dabei nicht erkennen.“

„Das kann Ihnen ganz gleichgültig sein.“

Er ließ den Maler hinaus und verschloß sodann die Tür wieder. Als er allein war, veränderte sich sein Gesicht. Er nahm den Kopf, welchen Schneffke gezeichnet hatte, und betrachtete ihn mit Augen, aus denen ein teuflischer Haß leuchtete.