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„Dich habe ich elend gemacht, und deine Brut soll noch elender werden. Aber ihn muß ich haben, ihn, meinen Sohn. Wenn dieser Maler wirklich seine Züge trifft, so muß meine Annonce den Verlorenen finden.“

Er stieß ein heiseres Lachen aus. Es klang wie das Gelächter eines Wahnsinnigen. Und wahnsinnig war er auch, dieser alte Mann. In seinem Verhalten hatte keine Konsequenz gelegen.

Schneffke hatte in Malineau das Bild des Barons Gaston gesehen. Er wußte, daß er dasselbe gut mit gewöhnlichem Bleistift wiedergeben könne; aber er hatte während seiner Unterredung mit dem Alten den Entschluß gefaßt, dessen Sohn, Deep-hill, herbei zu holen. Es galt also, nach einem Vorwand zu suchen, sich zu entfernen, und da war er auf die Idee gekommen, farbige Stifte für notwendig zu erklären.

Als er jetzt langsam die Treppe hinabstieg, schüttelte er den Kopf und murmelte vor sich hin:

„Daß der Alte einen kleinen Kopf im Gehirn habe, das dachte ich immer; daß dies aber ein gar so großer sei, das ist mir doch nicht beigekommen. Ich denke, wenn ich ihm seinen Sohn bringe, so schnappt er entweder vollends über, oder er geht in sich und wird ein anderer Kerl. Beides kann nichts schaden. Aber Deep-hill wird sich wundern, wohin ich ihn führe. Er hat ja gar keine Ahnung, daß er seinen alten Isegrim heute noch sehen wird.“

Er fand Deep-hill in dem Hotel, in welchem derselbe Quartier genommen hatte. Zwar hatte Madelon ihren Vater gebeten, die ihm von der Gräfin von Hohenthal angebotene Gastfreundschaft anzunehmen; er aber hatte abgelehnt, um einerseits niemandem beschwerlich zu fallen, und andererseits für seine Angelegenheiten freie Hand zu haben.

Nanon wohnte natürlich bei ihm. Madelon hatte es aber nicht übers Herz gebracht, ihre gütige Herrin so schnell zu verlassen. Sie war von der Gräfin nie wie eine untergeordnete Person behandelt worden. Jetzt war die Herrin ganz entzückt, zu erfahren, daß ihre Gesellschafterin eigentlich die Tochter eines französischen Barons sei, und freute sich herzlich, als sie hörte, daß Madelon noch bei ihr bleiben wolle, bis in ihre Familienverhältnisse die gewünschte Klarheit gekommen sei. Es erfüllte sie das mit der Genugtuung, nicht nur die Achtung, sondern auch die Liebe ihrer Gesellschafterin errungen zu haben.

Also Deep-hill hatte Madelon zu der Gräfin von Hohenthal gebracht und war dann in das Hotel zu Nanon zurückgekehrt. Diese befand sich beim Auspacken ihrer Sachen. Im Koffer befand sich auch das Bild des Vaters, welches der dicke Maler bei dem Beschließer Melac auf Schloß Malineau entdeckt hatte. Sie nahm es heraus und sagte:

„Da ist dein Porträt, lieber Vater. Wie schön wäre es, wenn wir auch ein solches von der Mutter besäßen.“

„Ja, wie schön“, antwortete er. „Zwar kann ich mich aller ihrer Züge noch sehr gut erinnern, aber ich freute mich doch, wenn ich dieselben nicht nur mit dem geistigen Auge zu erblicken brauchte. Und du und Madelon, ihr könnt euch ja doch unmöglich an die Mutter erinnern.“

„Hat es kein Porträt von ihr gegeben?“

„O doch! Und zwar ein sehr gutes und kostbares. Es war von einem Meister hergestellt worden.“

„Wohin mag es gekommen sein?“

„Sie hat es leider –“

Er hielt inne. Seine Züge verfinsterten sich.

„Sprich weiter, lieber Vater.“

Er schüttelte den Kopf und antwortete mit traurigem Ton:

„Es würde dich schmerzen, liebes Kind.“

„Und dennoch bitte ich dich, es mir nicht zu verschweigen. Es ist ja besser, wir sind aufrichtig gegeneinander.“

„Meine Mitteilung würde das Andenken trüben, welches ihr der Mutter bewahrt habt.“

„Oh, ich kann nicht glauben, daß es etwas gäbe, was dem Andenken der Mama schaden könne.“

„O doch; es gibt etwas.“

„Und ich soll es nicht erfahren?“

„Es ist besser, daß ich schweige.“

Sie blickte ihm nachdenklich in das Gesicht. Dann glitt ein Zug der Entschlossenheit über das ihrige. Sie sagte:

„Aber, lieber Vater, ich kann von dir fordern, daß du mir diese Mitteilung nicht vorenthältst.“

„Wieso?“

„Wenn es in der Vergangenheit etwas gibt, was imstande ist, das Andenken meiner armen Mutter zu trüben, so ist es meine Pflicht, es zu erfahren. Du wirfst auf sie irgendeine unbekannte Schuld; ich aber glaube nicht an diese Schuld, und so ist es meine heilige Pflicht, die Mutter zu verteidigen und sie von dem Flecken zu reinigen.“

„Mein Kind, das wird dir leider nicht gelingen.“

„O doch!“ behauptete sie im Ton fester Überzeugung. „Teile mir nur mit, welche Schuld auf ihr lasten soll.“

Er wendete sich ab und antwortete:

„Die der Untreue.“

„Das ist nicht wahr.“

Sie hatte diese Worte laut ausgerufen. Sie war dabei zu dem Vater getreten und hatte seinen Arm ergriffen. Sie blickte mit fast zornigem Vorwurf zu ihm auf.

„Leider ist es wahr“, entgegnete er.

„Verleumdung, tückische Verleumdung!“

„Nein, Wahrheit, unumstößliche Wahrheit.“

„Beweise es.“

„Oh, dieser Beweis ist ein sehr unerquicklicher. Nennst du es Treue, wenn ein Weib ihren Mann verläßt, um mit einem anderen davonzugehen?“

„Das hatte sie getan?“

„Ja.“

„Oh, das ist eine große, eine ungeheure Lüge, eine Niederträchtigkeit, welche ihresgleichen sucht.“

„Du irrst dich. Ich war verreist. Als ich zurückkehrte, war sie fort. Und mit ihr war alles, alles was mich an die Tage des Glücks erinnerte, auch ihr Bild. Sie hatte es mitgenommen.“

„Ich glaube es nicht. Wer war der Mann, mit dem sie sich entfernt haben sollte?“

„Was nützt es dir, seinen Namen zu wissen.“

„Er müßte doch bei ihr gewesen sein.“

„Allerdings.“

„Man hat aber nie gehört, daß sich außer uns beiden Kindern eine dritte Person bei ihr befunden habe. Sie ist mit uns beiden nach Malineau gekommen, ganz allein mit uns.“

„Aber zwischen ihrer Flucht und der Ankunft auf Malineau liegt eine Zeit, in welcher –“

„Weiter, weiter“, sagte sie, als er zögerte, fortzufahren.

„Lassen wir diese Zeit im Dunkel liegen.“

„Kennst du den Tag ihrer Flucht?“

„Nein.“

„Und den Tag ihrer Ankunft auf Malineau.“

„Natürlich auch nicht.“

„Und dennoch nimmst du an, daß zwischen diesen beiden Tagen eine Zeit verbrecherischen Umgangs gelegen habe.“

„Muß ich nicht?“

„Nein. Ich bin überzeugt, daß sie sofort mit uns nach Malineau gegangen ist.“

„Warum aber, warum, warum? Hat sie den Verführer nicht mit nach Malineau gebracht, so ist dies nur ein Zeichen, daß er sie unterdessen verlassen hat.“

„Kannst du denn wirklich beweisen, daß sie der Stimme eines Verführers gefolgt ist?“

„Ja.“

„Womit?“

„Mit den Aussagen meines Vaters.“

„Gut. Bringe deinen Vater. Ich werde ihm in das Angesicht sagen, daß er gelogen hat, wenn er nicht von anderen getäuscht worden ist. Nimmt ein ungetreues Weib ihre Kinder mit, wenn sie ihren Mann verläßt, um sich an einen Verführer zu hängen?“

„Sie liebte euch trotz ihrer Untreue gegen mich.“

„Nimmt eine solche Frau das Porträt ihres Mannes mit, den sie in böswilliger Weise verläßt?“

„Hm! Zum Andenken. Warum nicht. Sie ist ihm doch auch einmal gut gewesen.“

Er sagte das im Ton der Ironie. Nanon aber entgegnete:

„Nein. Ich kann mir nicht denken, daß eine flüchtige Frau sich mit solch einem Andenken abschleppt.“

„Sie hat übrigens das Bild von sich gegeben.“

„Kurz vor ihrem Tod.“

„Mein Kind, streiten wir uns nicht. Deine Mutter hat mich verlassen. Diese Tatsache ist nicht hinweg zu disputieren. Ich habe nach ihr gesucht, lange Jahre hindurch. Sie hat sich nicht finden lassen. Das beweist und vergrößert ihre Schuld. Daran ist gar nicht herum zu deuteln. Sie war eine Verbrecherin, nicht nur gegen mich, sondern auch gegen euch.“