„Wieso?“
„Indem sie euch mit sich nahm. Sie machte euch zu armen Waisenkindern, euch, die Baronessen von Bas-Montagne, die bei dem Vater eine ihres Standes würdige Erziehung erhalten hätten.“
„Oh, Papa, sie hat trotz ihres frühen Todes dafür gesorgt, daß wir nicht verwahrlost wurden.“
„Aber um eure Jugend hat sie euch betrogen. Nur einem Zufall habe ich es zu verdanken, daß ich meine Kinder fand. Und nur demselben Zufall habt ihr es zuzuschreiben, daß ihr nicht gezwungen seid, als arme Gesellschafterinnen dem Glück des Lebens zu entsagen.“
Sie lächelte leise vor sich hin und antwortete:
„Was das betrifft, Papa, so glaube ich nicht, daß ich zur Entsagung gezwungen gewesen wäre.“
„Pah. Was hättest du als Gesellschafterin von der Zukunft, von dem Leben überhaupt zu erwarten?“
„Viel, sehr viel“, sagte sie im Ton der Überzeugung.
„Willst du mir nicht sagen, was du unter diesem ‚Sehr viel‘ eigentlich verstehst?“
Sie errötete. Auch sein bisher so ernstes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, und er sagte:
„Denkst du vielleicht, ich errate es nicht.“
„Was?“
„Du hättest die Chance gehabt, eine Kräuterfrau zu werden.“
„Oh! Nur eine Kräuterfrau?“
„Nun, dann meinetwegen eine Frau Ulanenwachtmeisterin.“
„Vielleicht noch viel, viel mehr. Dieser gute Wachtmeister ist der Sohn vornehmer Eltern.“
„Beweise es erst.“
„Ich hoffe, daß dieser Beweis erbracht werde.“
„Was hätte es dir genützt? Ist er der Sohn eines adeligen Geschlechts, so hätte die arme Gesellschafterin ihm sicher entsagen müssen.“
„Da hast du recht, lieber Vater. Gott aber hat das in seiner Güte und Liebe nicht gewollt, und ich bin –“
Da klopfte es. Schneffke trat ein. Er sah es den beiden an, daß sie in einer Unterredung begriffen waren, zu welcher ein dritter wohl nicht gehörte, darum sagte er:
„Ich störe? Entschuldigung, meine Herrschaften.“
„Sie stören nicht, mein bester Herr Schneffke“, antwortete der Baron, indem er ihm die Hand reichte.
„O doch.“
„Nein. Sie unterbrechen im Gegenteil ein Gespräch, welches für uns beide sehr unerquicklich war.“
„Dann hoffe ich, daß sie mir verzeihen. Ah, das Bild. Ich errate den Gegenstand Ihres Gespräches.“
„Wirklich?“
„Ja. Sie sprachen von der, welche dieses Bild besessen hat.“
„Sie erraten das Richtige.“
„Von ihrer vermeintlichen Schuld –“
„Vermeintlich?“
„Ja. Ich halte die arme, gute becque fleur nicht für schuldig, Herr Baron.“
„Ah, wenn Sie die Beweis bringen könnten.“
Nanon ergriff den Dicken beim Arm und sagte:
„Ich danke Ihnen für Ihre Bereitwilligkeit, der Mama beizustehen. Vater ist von ihrer Schuld überzeugt. Er bemerkte es als ein Zeichen derselben, daß sie ihr Bild mitgenommen hat, welches ihn an sie erinnern konnte.“
Schneffke machte ein erstauntes Gesicht und fragte:
„Ist denn ein Bild von ihr dagewesen?“
„Ja.“
„Hm!“
„Sogar ein sehr gutes Porträt, ein Porträt von der Hand eines berühmten Meisters.“
„Welche Schlechtigkeit, daß sie es mitgenommen hat.“
„So sagen Sie, Herr Schneffke?“
„Ja, natürlich.“
„Ich denke, Sie wollen mir helfen, Mama zu verteidigen!“
„Das wird uns schwer werden, wenn sie sogar dieses Porträt mitgenommen hat. Wissen Sie dies so genau?“
Diese Frage war an den Baron gerichtet.
„Ja“, antwortete dieser.
„Woher denn eigentlich?“
„Nun, es war ja weg.“
„Ach so. Weg war es. Und da ist natürlich sie es gewesen, welche es mitgenommen hat?“
„Wer sonst?“
„Na, natürlich ist sie es gewesen. Aber wohin mag es doch nur gekommen sein.“
„Das habe ich mich auch schon gefragt.“
„Es mußte sich doch in ihrem Besitz, in ihrem Nachlas befunden haben. Nicht?“
„Allerdings.“
„Da ist es aber nicht dabei gewesen, folglich –“
„Was, folglich?“
„Folglich hat sie es gar nicht gehabt.“
„Oh, es ist auf diese oder jene Weise ihr abhanden gekommen.“
„Zweifle sehr. Ein Meisterwerk kommt nicht abhanden.“
„Aber es ist mit ihr verschwunden gewesen.“
„Mit ihr? Wirklich?“
„Ja.“
„Vielleicht zu derselben Zeit, ob aber wirklich mit ihr.“
„Was wollen Sie sagen?“
„Daß ich so eine leise, leise Ahnung habe, das Bild sei von einem anderen entfernt worden.“
„Sie täuschen sich.“
„Hm. Ich bleibe bei meiner Ahnung.“
„Wer sollte ein Interesse daran gehabt haben, das Bild verschwinden zu lassen?“
„Vielleicht Ihr Vater?“
„Er? Ah! Dieser Gedanke deutet allerdings auf etwas hin, was nicht ganz unmöglich ist. Hat Ihre Ahnung vielleicht einen triftigen, nachweisbaren Grund?“
„Ja, freilich.“
„Welchen?“
„Ich kann nicht behaupten, daß dieser Grund stichhaltig sei: aber er ist doch geeignet, gewisse Vermutungen zu erregen. Ich sah nämlich vor einiger Zeit das Porträt einer Dame, welches eine frappante Ähnlichkeit mit den Demoiselles Nanon und Madelon hatte.“
„Jedenfalls der reine Zufall.“
„Oh, es war von Meisterhand.“
„War der Maler bezeichnet?“
„Nein. Das Porträt besaß weder Namen, Faksimile oder Zeichen des Künstlers.“
„Hm! Das war bei demjenigen, von welchem wir sprechen, auch der Fall. Können Sie sich auf die Einzelheiten des Porträts besinnen?“
„Sehr gut.“
„War die Dame dunkel?“
„Nein, blond, herrlich goldblond.“
„Was trug sie für ein Kleid?“
„Rosa Seide mit goldig schimmerndem Federbesatz. Die Seide war meisterhaft getroffen.“
„Mein Gott! So trug sich allerdings Amély, als sie dem Künstler zu Gemälde saß. Besinnen Sie sich vielleicht auf den Goldschmuck, den sie trug?“
„Goldschmuck gab es nicht.“
„Was sonst?“
„Das Porträt zeigte als einzigen Schmuck eine weiße Rose in der Hand und einen Kolibri im lockigen Haar.“
Da erfaßte der Baron den Dicken bei beiden Armen, zog ihn so, daß der Schein des Lichtes in sein rotglänzendes Gesicht fiel und rief:
„Mann, phantasieren Sie, oder ist's Wirklichkeit?“
„Wirklichkeit! Das ist so wahr wie Pudding.“
„Wann haben Sie dieses Gemälde gesehen?“
„Vor ganz kurzer Zeit, es ist kaum zehn Tage her.“
„In Malineau?“
„Nein.“
„Wo denn?“
„Hier in Berlin.“
„Unmöglich.“
„Hm! Kann man etwas Unmögliches sehen?“
„Herr Schneffke, Sie versetzen mich in Aufregung. Das Gemälde, welches Sie beschreiben, scheint dasjenige meiner Frau zu sein. Wie kann dies nach Berlin kommen?“
„Durch ihren Vater.“
„Ah. Haben Sie Veranlassung zu dieser Behauptung?“
„Ja.“
„Welche? Schnell, schnell.“
„Nun, ich habe mir einmal vorgenommen, die Ehre ihres lieben Kolibri zu retten, und so will ich es auch tun. Ihr Vater hat sehr schlecht an Ihnen und Ihrer Frau gehandelt.“
„Beweisen Sie es.“
„Er hat einfach die Erzählung von ihrer Untreue erfunden.“
„Beweise, Beweise!“
„Sie ist mit keinem anderen durchgegangen.“