Выбрать главу

„Ich hatte sie noch nicht.“

„Du bist also später in den Besitz derselben gekommen?“

„Ja.“

„Auf welche Weise?“

Der Alte schien verlegen zu werden, doch war er sehr schnell mit einer Erklärung da:

„Ein Fremder brachte sie.“

„So, so. Natürlich hast du ihn gefragt, wer er sei?“

„Gewiß.“

„Und auf welche Weise er zu den Briefen gekommen war?“

„Das versteht sich.“

„Nun, was antwortete er?“

„Er war ihr Diener gewesen. Der Verführer hatte ihn engagiert, aber schlecht behandelt. Aus Rache hatte er ihm diese Briefe gestohlen.“

„Hatte ihm sein Herr denn gesagt, wen er entführt habe?“

„Jedenfalls.“

„Und daß sie eigentlich eine Baronin Bas-Montagne sei?“

„Gewiß.“

„Ein sauberer Herr. Aber ich gestehe dir aufrichtig, daß ich an diesen schlecht erfundenen Roman nicht glaube.“

„Oho!“

„Du lügst.“

„Alle Teufel! Was fällt dir ein!“

„Oh, ich habe meinen guten Grund, dies anzunehmen.“

„Welchen denn?“

„Diese Briefe hat Amély nicht geschrieben, das macht mir niemand weis. Die Handschrift ist der ihrigen so ziemlich ähnlich, aber ich lasse mich nicht täuschen. Sie sind gefälscht.“

„Ah, was du sagst.“

„Ich bin überzeugt davon.“

„So hätte er mich getäuscht?“

„Wer? Etwa der angebliche Diener?“

„Ja.“

„Pah! Der existiert nur in deine Phantasie. Übrigens bist du selbst in deine eigene Falle geraten.“

„Was meinst du?“

„Du behauptest, diese Briefe später erhalten zu haben.“

„Ja, so ist es auch.“

„Und vorher sagtest du, daß du niemals wieder etwas von ihr gehört habest.“

„Ich dachte nicht daran.“

„Schon gut. Du hast mich früher täuschen können, jetzt aber gelingt es dir nicht mehr.“

„Donnerwetter. Du hälst mich also für einen Lügner?“

„Ja.“

„Und dies sagst du mir in Gegenwart dieses Mannes?“

„Wünschst du etwa, daß ich damit warte, bis wir uns unter vier Augen befinden?“

„Das ist eine Beleidigung, die ihresgleichen sucht.“

„Pah! Spiele dich nicht als Unschuldigen auf. Du hast ein Verbrechen an mir begangen, welches so groß ist, daß selbst Gottes unendliche Barmherzigkeit es dir niemals zu verzeihen vermag.“

„Bist du toll! Von welchem Verbrechen redest du?“

„Du hast mich um das Glück meines Lebens gebracht, indem du mein Weib beschuldigtest, ein Verbrechen begangen zu haben, an welches sie nie dachte.“

„Unschuldig? Ah, warum entfloh sie?“

„Von einer Flucht war keine Rede.“

„Wie willst du ihre Entfernung sonst nennen?“

„Eine Folge deiner Intrige.“

„Sapperment! Also ich bin schuld daran?“

„Ja.“

„Beweise mir das.“

„Wo hast du den Brief, den sie mir zurückgelassen hat?“

„Ich weiß von keinem Brief.“

„Wirklich nicht?“

„Nein.“

„Herr Schneffke, jetzt sind Sie an der Reihe.“

„Ah, was will dieser Mensch?“ sagte der Alte.

Schneffke stand von seinem Stuhl auf und antwortete:

„Was ich will? Ihnen beweisen, daß Sie lügen.“

„Kerl, was wagen Sie! Denken Sie an meinen Hund.“

„Zunächst muß ich an etwas anderes denken, nämlich an dieses Bild.“

Er zeigte auf das Bild, welches er damals mit den anderen gereinigt hatte und hinter welchem nebst Amélys Porträt auch ihre beiden Briefe versteckt gewesen waren.

„Was ist mit dem Bild?“ fragte der Alte.

„Das sollen Sie gleich sehen.“

Er nahm es von der Wand, entfernte die hintere Seite und zog das Porträt hervor.

„Hier meine Herren, sehen Sie.“

Der Blick des Alten fiel darauf.

„Alle Teufel! Der becque fleure!“

Mit einem raschen Sprung warf er sich auf den Maler, um ihm das Porträt zu entreißen; aber sein Sohn kam ihm zuvor. Er faßte den Vater bei den Achseln, drückte ihn in den Stuhl zurück und sagte:

„Hierher setzest du dich und bleibst sitzen, bis ich mit dir fertig geworden bin.“

„Oho, redest du in dieser Weise mit deinem Vater?“

„Ja. Und wenn du mir nicht gehorchst, werde ich in noch ganz anderer Weise mit dir sprechen.“

„Welche wäre dies?“

„Durch die Polizei. Ich gebe dir mein Ehrenwort, daß ich dich, falls du nicht ruhig bist, arretieren lassen werde, um dich für das, was du getan hast, dem Strafrichter zu übergeben.“

„Deinen Vater!“

„Pah! Du hast nicht wie ein Vater, sondern wie ein Schurke an mir gehandelt. Hier ist das Bild meines Weibes, nach welchem ich vergebens gesucht habe. Wie kommt es hierher?“

„Ich weiß es nicht.“

„Du lügst.“

„Ich lüge nicht.“

„Sie lügen!“ erklärte da der Maler.

„Mensch, schweigen Sie!“

„Und denn noch sage ich, Sie lügen. Sie haben gewußt, daß Sie dieses Bild versteckt hatten, aber Sie haben den Ort vergessen, wo es verborgen wurde.“

„Was fällt Ihnen ein?“

„Haben Sie etwa nicht nach dem Dokument de divorce gesucht, Herr von Untersberg?“

„Ah, dieses Dokument!“ stöhnte der Alte, dessen Gesicht plötzlich wieder einen irren Ausdruck annahm.

„Und hat die arme Amély etwa nicht einen Brief an Sie geschrieben, bevor sie sich entfernte?“

„Ich weiß von nichts!“

„Ich meine folgenden Brief.“

Er hatte das eine der Schreiben geöffnet und las:

„Dem Herrn Baron de Bas-Montagne.

Ihr Unterhändler ist bei mir gewesen. Sie sind ein harter, grausamer Mann. Ihre Forderungen zerreißen mir das Leben. Aber ich bin ein Weib, habe ein Herz, und zwei Kinder. Ich fühle, was es heißen mag, ein Kind verlieren, einen Sohn aufgeben zu müssen. Es war nie meine Absicht, Ihnen Gastons Herz zu rauben; Sie haben es von sich gestoßen. Aber Sie haben ein älteres, vielleicht auch ein heiligeres Recht an Ihrem Sohn. Ich trete zurück. Ich willige in die Scheidung unserer Ehe, obgleich ich weiß, daß ich damit mein Todesurteil unterzeichne.

Gott allein mag Richter sein zwischen Ihnen und Amély de Bas-Montagne geborene Renard.“

Kaum hatte der Maler geendet, so sprang der Alte wieder von seinem Sitz auf und rief:

„Das ist's, das ist's. Her damit.“

Aber sein Sohn drückte ihn mit unwiderstehlicher Gewalt wieder nieder und gebot ihm:

„Bleib sitzen, wenn du größeres Unheil verhüten willst. Ich gebe nicht zu, daß du dich an diesem Bild oder an dem Brief vergreifst.“

Und sich an den Maler wendend, fragte Gaston:

„Das steht da auf diesem Papier?“

„Ja.“

„Zeigen Sie.“

„Hier, lesen Sie.“

Der Baron nahm den Brief in die Hand und betrachtete Zeile für Zeile, Wort für Wort.

„Ihr Todesurteil“, flüsterte er. „Sie hat mich geliebt; sie mußte sich von mir trennen, und sie ist daran gestorben. Gott, mein Gott! Und warum?“

„Der dort zwang sie“, sagte Schneffke, auf den Alten deutend.

Der Baron drehte sich zu diesem um und erschrak fast bei dem Anblick, welchen sein Vater bot. Die Augen starr vor sich hin gerichtet, saß er da. Vor seinem Mund stand weißer Schaum und seine bleichen Lippen murmelten leise:

„Es ist's, es ist's, das Dokument de divorce.“

„Er ist verrückt“, sagte der Maler.

„Ja, er ist nicht bei Sinnen. Was tun wir nun mit ihm?“

„Es sieht fast wie ein epileptischer Anfall aus. Lassen wir ihn ruhig gewähren.“

„Ja, bekümmern wir uns gar nicht um ihn.“

„Gott! Und es ist Ihr Vater.“