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„Leider! Wäre er das nicht, so würde ich ihn mit dieser meiner Faust zu Boden schlagen. Denken Sie sich, daß mein armes Weib gezwungen worden ist, mir zu entsagen!“

„Leider, leider.“

„Wie mag er sie gepeinigt haben! Ein jedes ihrer Worte hier ist eine Flut von Tränen.“

„Ich war schon damals tief gerührt, als ich diesen Brief zum ersten Mal las“, sagte Schneffke.

„Wann war dies?“

„Am Tag meiner Abreise nach Frankreich.“

„Wie kamen Sie zu diesem Briefe?“

Der Maler erzählte es.

„Und Sie haben meinem Vater nichts davon gesagt?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Weil ich bereits ahnte, daß Madelon Ihre Tochter sei. Freilich konnte ich es mir nicht träumen lassen, daß ich so bald danach Sie treffen würde. Ich steckte also das Bild und die beiden Briefe an ihren Ort zurück, um zur geeigneten Zeit Gebrauch davon zu machen.“

„Sie sagen ‚die Briefe‘. Waren mehrere da?“

„Ja. Ich sagte doch vorhin im Hotel zu Ihnen, daß Ihre Frau für Sie einen Brief zurückgelassen habe.“

„Ja. Ist er dabei?“

„Hier, hören Sie.“

Er las:

„Mein bester, mein teuerster Gaston!

Wenn Du von der Reise zurückkehrst, findest Du wohl diesen Brief, nicht aber Deine Amély, Deinen süßen Kolibri, vor. Mein Herz bricht, indem ich dieses schreibe; aber ich kann, ich darf nicht anders. Du hast mich geliebt, und ich fand den Himmel in Deinen Armen. Deine Liebe zu mir hat Dich von dem Vater getrennt, welcher unserer Verbindung fluchte. Du hast mir alles, alles geopfert, mir, dem armen, fremden, bürgerlichen Mädchen. Jetzt ist die Leidenschaft verschwunden, und Du beginnst zu denken und zu rechnen. Ich beobachtete Dich im stillen und sah, daß ich Dir nicht mehr alles bin.

Gott ist mein Zeuge, daß mein Leben nur Dir allein gehört. Indem ich von Dir scheide, gebe ich mir den Tod, denn ich kann ohne Dich nicht sein. Aber ich gebe Dich frei; ich gebe Dich Deinem Stand, Deinem Beruf, Deiner Ehre und Deinem Vater zurück. Ich lege meine von dem Notar kontrasignierte Einwilligung zur Scheidung bei.

Meine Hand zittert, mein Herz bebt, und meine Augen stehen voller Tränen. Ich nehme nichts, gar nichts mit, als meine Kinder, meine süße Nanon und meine herzige Madelon. Du hast sie mir geschenkt, und sie sind mein Eigentum. Forsche nicht nach uns, denn Du würdest uns doch nicht finden.

Dein Kolibri entwischt. Sein Gefieder wird den Glanz verlieren, und sein Flug wird sich bald zum Grab senken. Aber noch im Sterben wird er dem heißen Wunsch meinen letzten Atem widmen: sei glücklich, glücklich, glücklich!

Dein Weib, Deine Amély, Dein armer, unschuldiger Kolibri.“

Der Baron hatte wortlos zugehört. Mit weitgeöffneten Augen stand er ohne Bewegung da. Dann entrang sich seiner Brust ein heiserer Schrei, und er rief:

„Das steht dort, das – das?“

„Ja.“

„Alles, was Sie gelesen haben?“

„Alles.“

„Zeigen Sie her.“

Die letzten Worte kamen zischend und mühsam heraus. Er streckte die Hand aus; er war unfähig, den einen Schritt bis zu dem Maler zu machen. Diese gab ihm den Brief in die Hand. Der Baron verschlang die Zeilen, drückte dann das Papier an sein Herz und stöhnte:

„Amély, meine arme, arme unschuldige Amély!“

Er drehte sich um, ballte die Fäuste und schrie:

„Ungeheuer! Teufel! Satan! Ah, ich zermalme dich!“

Er tat zwei Schritte auf den Vater zu, hielt aber dann erschrocken inne.

„Gott, mein Gott! Es ist doch mein Vater“, sagte er. „Mein Vater! Welch eine Qual das ist! Sehen Sie ihn, wie er sprechen möchte, und doch nicht kann.“

Er warf sich auf den Stuhl nieder und weinte, weinte laut und bitterlich. Der Maler sagte nichts; er blieb still, bis das laute Schluchzen nach und nach erstarb und der Baron sich wenigstens äußerlich beruhigte.

„Jedes dieser Worte trifft wie ein Dolchstoß mein Herz“, klage Bas-Montagne.

„Nun, geben Sie zu, daß sie unschuldig war?“

„Rein und unschuldig wie die liebe Sonne am Himmel. Und ich habe sie verurteilt; ich habe nach ihr gesucht, um mich an ihr und an dem Verführer zu rächen.“

Er trat auf seinen Vater zu, faßte ihn bei der Schulter, schüttelte ihn und fragte:

„Mensch, hörst du, was ich dir sage?“

„Ja“, erklang es gurgelnd.

„War Amély unschuldig?“

Der Alte antwortete nicht.

„Hast du gewußt, wohin sie ging?“

„Ja.“

„Und wo sich dann ihre Töchter befanden?“

„Ja.“

„So hast du gewußt, daß Nanon in Ortry und Madelon hier in Berlin war?“

„Ja.“

„Sie waren deine Enkelinnen, und du hast dich ihrer nicht angenommen! Sie konnten sterben und verderben.“

Da nahm der Alte alle seine Kräfte zusammen. Es gelang ihm mit Zuhilfenahme seiner ganzen Willenskraft, den Anfall zu besiegen. Er gewann die Sprache wieder. Er erhob sich langsam von seinem Stuhl und sagte:

„Ich mich ihrer annehmen? Warum? Wer sind sie?“

„Deine Enkelinnen.“

„Pah. Die Kinder einer Deutschen, einer Protestantin.“

„Die Kinder meines Weibes.“

„Was geht mich dein Weib an. Ich habe sie niemals als Schwiegertochter anerkannt.“

„Aber ihre Kinder wirst du als Enkelinnen anerkennen.“

„Nie, nie!“

„So bist du mein Vater gewesen.“

„Oho! Noch bist du mein Sohn. Noch habe ich Macht über dich. Noch hast du mir zu gehorchen.“

„Mache dich nicht lächerlich, alter Mann. Warum bliebst du nicht daheim? Warum verkauftest du alles, und warum verschwandest du?“

„Das geht dich nichts ans.“

„Ah! Ich bin dein Erbe. Ich kann Rechenschaft fordern.“

„Hole sie dir. Ein jeder tut, was ihm beliebt. Ich habe dir nicht zu antworten. Packt euch fort. Wenn ihr euch nicht augenblicklich entfernt, hetze ich den Hund auf euch.“

Er ging zur Tür, welche in das Nebenzimmer führte, hinaus, schloß dieselbe zu, aber sie hörten dennoch die Worte:

„Tiger, komm, paß auf.“

Ein grimmiges Knurren war die Antwort. Der Hund schnüffelte jenseits an der Tür und winselte begierig.

„Sollte er wirklich so wahnsinnig sein, den Hund auf uns zu hetzen?“ fragte der Baron.

„Ich traue es ihm zu.“

„Ich würde das Tier töten.“

„Ah, Sie kennen die Dogge nicht! Es wäre ihr nur mit einer Schießwaffe beizukommen, und wir befinden uns nicht im Besitz einer solchen.“

„So, meinen Sie also, daß wir gehen sollen?“

„Ja. Es ist das Beste, war wir tun können.“

„Gut. Aber ich werde morgen wieder hergehen, und da wird er mir beichten müssen.“

„Er wird Sie fortjagen.“

„Wohl schwerlich. Ich nehme Polizei mit und einen Gerichtsarzt. Ich kenne seine Pflicht gegen mich und die meinige gegen ihn. Ich werde untersuchen lassen, ob er zurechnungsfähig oder irrsinnig ist. Kommen Sie. Das Bild und die Briefe nehmen wir natürlich mit.“

„Ja, gehen wir. Ich werde diese Wohnung nicht wiedersehen, denn wehe mir, wenn ich es wagen wollte, noch einmal vor seinen Augen zu erscheinen.“

„Ich werde Sie entschädigen. Ich bin Ihnen überhaupt zum größten Dank verpflichtet und werde das niemals vergessen. Verfügen Sie über mich und alles, was ich habe.“

„Schön“, lachte der Dicke. „Da haben ich zum Beispiel jetzt gleich eine Bitte. Ich hoffe, daß Sie mir sie erfüllen werden.“

„Sehr gern. Um was handelt es sich?“

„Ich wünsche eine Ihrer beiden Töchter zur Frau.“

Der Baron blicke ihn betroffen an und fragte:

„Das ist Ihr Ernst?“

„Natürlich.“

„Ah, da tun Sie mir leid.“