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Da drehte Miß de Lissa sich langsam wieder um. Ihr Gesicht war ernst, aber ruhig, und ihre Stimme klang vollkommen klar, als sie, ihm die Hand reichend, sagte:

„Ich gönne es Ihnen von ganzem Herzen, die Langverlorenen wiederzufinden. Beide sind wert, die Töchter eines solchen Mannes zu sein. Ich wünsche jedoch, daß sich Ihre Hoffnung nicht als trügerisch erweise.“

„Ich befinde mich in einer Spannung, in einer Aufregung, von welcher Sie keine Ahnung haben, gnädiges Fräulein.“

„Das läßt sich denken. Wissen die beiden Damen vielleicht bereits davon?“

„Bisher wohl nicht; aber es ist möglich, daß Herr Doktor Müller, welcher sie holen will, Ihnen mitteilte, warum sie zu Ihnen kommen sollen.“

„Warum begaben Sie sich nicht nach dem Schloß?“

„Eben der Herr Doktor riet mir davon ab. Ich sollte von dem Kapitän nicht gesehen werden.“

„Ach so! Dieser soll noch nicht wissen, daß Sie ihm entkommen sind?“

„So ist es.“

„Wie aber gerieten Sie in seine Gewalt?“

„Durch Verrat von seiner und Unvorsichtigkeit von meiner Seite. Darf ich Ihnen erzählen?“

„Ich bitte sogar darum!“

Er begann, ihr zu berichten, was geschehen war, seit er sie gestern verlassen hatte. Dann klopfte es, und Fritz trat ein.

„Nun?“ fragte Emma. „Wo ist der Maler?“

„Ich konnte nur ausfindig machen, wo er wohnt; zu treffen war er nicht. Ich habe aber anbefohlen, ihn sofort, sobald er zurückkehrt, nach hier zu schicken.“

Er erhielt einen Stuhl angewiesen, und nachdem er Platz genommen hatte, fragte ihn Deep-hilclass="underline"

„Sie kennen also die beiden Schwestern genauer?“

„Nanon war mir bereits längere Zeit bekannt; Madelon aber sah ich erst vor Kurzem hier das erstemal.“

„Haben Sie sich öfters getroffen?“

„Zufällig, bei Spaziergängen. Kürzlich starb ihr Pflegevater. Sie reiste mit der Schwester zu seinem Begräbnis. Sie wollte diese Reise nicht ohne Schutz unternehmen, und da wurde mir die Ehre zuteil, die Damen begleiten zu dürfen.“

„War denn Gefahr zu befürchten?“

„Ja. Diese Befürchtung hat sich dann auch als sehr begründet bewiesen.“

„Was ist geschehen?“

„Wir haben ein kleines Abenteuer erlebt, welches ich Ihnen, bis der Maler kommt, erzählen kann.“

Er begann seinen Bericht, hatte denselben aber noch nicht bis zu Ende gebracht, als er durch einen sehr lauten Wortwechsel gestört wurde, welcher unten auf der Treppe in französischer Sprache geführt wurde.

„Nein! Sie dürfen nicht!“ rief eine Stimme. „Ich verbiete es Ihnen, Monsieur!“

„Mir verbieten? Du? Wurmsamenhändler, der du bist?“

„Pack dich zum Teufel!“ antwortete eine zweite Stimme.

„Es soll kein Fremder hinauf!“

„Ich bin kein Fremder, mein lieber Latwergenmeister!“

„Sie haben herabzugehen und das Haus zu verlassen!“

„Scher dich zu deinen Pillen, holder Salmiakgeist, sonst werfe ich dich zur Bude hinaus.“

„Das wollen wir sehen, Sie Grobian!“

„Pah! Ich stecke dich in eine Klistierspritze und spritze dich hinauf an die Turmuhr, damit du erfährst, welche Zeit es ist, wenn ich beginne, in die Wolle zu geraten!“

„Das ist der dicke Maler“, sagte Fritz. „Ich werde ihn hereinlassen.“

Er öffnete die Tür.

„Herr Schneffke! Kommen Sie!“

„Gleich. Aber darf ich nicht vorher erst diesen Weinsteinsäureheinrich in die Westentasche stecken?“

„Bitte, lassen Sie ihm seine Freiheit.“

„Schön! Er mag diesmal noch mit einem blauen Auge davonkommen. Das nächste Mal sorge ich dafür, daß noch weit mehr blau wird als nur sein Auge.“

Er trat ein und verbeugte sich vor Emma.

„Ihr Diener, Miß! Soll ich mich wieder einmal zu Ihren Füßen legen?“

„Ich danke! Nehmen Sie lieber Platz wie gewöhnliche Leute.“

„Das fällt mir schwer. Ich bin leider nur zu Ungewöhnlichem geboren. Ergebenster Monsieur Deep-hill! Ist der Zaun bereits ausgebessert worden?“

„Ich werde nachsehen.“

„Schön! Wie ich höre, bin ich gesucht worden?“

„Hat man es Ihnen im Gasthof gesagt?“ fragte Fritz.

„Nein.“

„Von wem haben Sie es denn erfahren?“

„Von Herrn Doktor Müller.“

„Von dem? Waren Sie denn in Ortry?“

„Nein.“

„Wo denn?“

„Im Loch.“

„Im Loch? In welchem Loch?“

„Ja, da haben Sie schon wieder einen Beweis, daß ich nur zu Ungewöhnlichem geboren bin. Ich war draußen im Wald und brach in den Erdboden ein, ziemlich tief hinab. Ich befand mich in einem unterirdischen Gang. Da kam der Herr Doktor und half mir heraus. Bei der Gelegenheit erfuhr ich, daß ich erwartet werde. Ich eilte mit der Geschwindigkeit eines Kurierzuges hierher, traf aber unten den gelehrten Apothekerjüngling, welchen ich bereits von früher ins Herz geschlossen hatte. Es wäre zu einem Duell mit beiderseits tödlichem Ausgang gekommen, wenn nicht Sie, Herr Schneeberg, uns gerettet hätten.“

„Sie sind unverbesserlich.“

„Diese hohe Tugend besitze ich bereits seit langer Zeit.“

„Wie konnten Sie denn aber in ein Loch fallen.“

„Wie? Sapperment! So, wie man in ein Loch zu fallen pflegt: Mit dem schwersten Körperteil nach unten.“

Die Anwesenden lachten, und zugleich winkte Fritz, welcher am offenen Fenster stand, mit der Hand nach der Straße.

„Sie kommen“, meldete er.

„Sind sie allein?“ fragte der Amerikaner erregt.

„Fräulein Marion ist mit.“

„Der Herr Doktor nicht?“

„Nein.“

Die drei Damen traten ein und wurden herzlich begrüßt. Marion hatte den Schwestern nichts verraten, dennoch herrschte eine Stimmung, wie sie vor einer wichtigen Entscheidung unausbleiblich ist. Man war gespannt, fühlte sich gepreßt und sogar verlegen.

Bald kam auch Müller. Er wendete sich sofort an Marion:

„Hatten Sie vor Ihrem Fortgehen vielleicht eine Unterredung mit dem Kapitän, gnädiges Fräulein?“

„Ja.“

„Unfreundlich?“

„Noch mehr als das.“

„Sagten Sie ihm, wohin Sie gehen wollten?“

„Nein.“

„Nun, er wird es dennoch sehr schnell erfahren. Ich war eher da als Sie und trat mit Überlegung da drüben in die Restauration. Dort beobachtete ich den Stallknecht von Ortry, welcher aufpaßte. Der Kapitän hat ihn geschickt, es steht vielleicht gar zu erwarten, daß er selbst nachkommen wird.“

„Wozu?“

„Vielleicht malt ihm sein böses Gewissen vor, daß hier etwas ihm feindseliges besprochen werden soll. Das will er unterdrücken.“

„Darf er mich da sehen?“ fragte Deep-hill.

„Und mich?“ fügte Schneffke hinzu.

„Das kommt auf die Umstände an“, antwortete Müller. „Mich aber darf er keineswegs zu Gesicht bekommen. Und stellt er sich wirklich ein, so gehen sämtliche Herren in das Nebenzimmer. Auf sein Verhalten wird es dann ankommen, wie Mademoiselle zu handeln hat. Fritz, bleib am Fenster, um aufzupassen!“

Als dann auch er Platz genommen hatte, sah er sich lächelnd im Kreis um und sagte:

„Meine Herrschaften, ich habe diesen beiden Damen mitgeteilt, daß sie hier vielleicht in Beziehung auf ihre Geburtsverhältnisse eine Neuigkeit hören werden. Herr Schneffke, wollen Sie die Güte haben, zu beginnen!“

„Hm!“ brummte der dicke Maler. „Beginnen? Bei was soll ich anfangen?“

„Sprechen Sie ganz nach Belieben.“

„Nun, da will ich bei dem wichtigen Augenblicke beginnen, an welchem ich mich den Damen und Herrn Schneeberg abends in Etain vorstellte.“