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„Wird mich der Kapitän gehen lassen?“ meinte Nanon.

„Der wird gar nicht gefragt“, antwortete ihr Vater.

„Wenn er doch auch mit könnte“, seufzte Marion. „Das wäre eine Erlösung für mich. Brechen wir auf?“

„Ja, wir erwarten euch hier, Kinder“, antwortete der Amerikaner. „Bleibt nicht zu lange aus.“

Die drei Damen brachen auf. Müller flüsterte dem Vater, der seine Tochter bis zur Tür begleiten wollte, schnell und unbemerkt noch zu:

„Bitte, sagen Sie heimlich den beiden Damen, daß sie Marion nicht verraten sollen, was sie von mir wissen.“

„Schön!“

Dann trat Müller an Marions Seite.

„Kommen Sie bald nach, Herr Doktor?“ fragte sie.

„In einigen Minuten.“

„Mir ist so bang. Ich verliere Nanon. Wen habe ich noch, außer Ihnen. Ich wiederhole: Könnte ich doch nun auch fort.“

„Sie können fort“, antwortete er leise.

„Wirklich?“

„Ja. Aber es muß ein Geheimnis bleiben. Niemand darf es ahnen, nicht einmal die Schwestern. Wir reisen auch.“

„Wann?“

„Morgen.“

„Wohin?“

„Nach Malineau.“

„Ist's wahr?“ fragte sie, freudig erregt.

„Ja, ich gebe Ihnen mein Wort.“

„Gott sei Dank! Aber Sie müssen zurück.“

„Leider! Aber bitte, sorgen Sie sich nicht; ich werde an alles, alles denken.“

Die drei Damen gingen, und Müller kehrte mit dem Amerikaner zu den anderen zurück. Dieser letztere sagte dann zu ihm:

„Herr Doktor, haben Sie Vertrauen zu mir?“

„Ja, Herr Baron.“

„Nun, so lassen Sie mich sehen, woran ich bin. Die Depesche, welche Herr Schneeberg erhielt, war eigentlich für Sie bestimmt?“

„Woraus schließen Sie das?“

„Ich sah, daß er sie Ihnen zusteckte.“

„Gut, ich leugne es nicht.“

„War sie wichtig?“

„Ja.“

„Darf man den Inhalt erfahren?“

„Ich reise auch.“

„Ah, dachte es mir! Gnädiges Fräulein mit?“

„Natürlich.“

„Bitte, wohin?“

„Ich habe dasselbe Ziel wie Sie: Berlin.“

„Herrlich, herrlich! Aber ich muß leider erst nach Malineau.“

„Ich werde dafür sorgen, daß wir uns treffen.“

„Wollen wir das telegraphisch tun?“

„Nein. Ich will mich nicht in Gefahr begeben. Ich verspreche Ihnen, daß wir uns treffen werden; und ich pflege Wort zu halten. Für jetzt aber muß ich mich verabschieden. Fritz, du begleitest mich.“

Da zog ihn seine Schwester in die Fensternische und sagte:

„Das kommt so plötzlich! Befehl vom Kommando?“

„Ja. Es macht mir einen Strich durch die Rechnung.“

„Wenn Vater sich wirklich als Gefangener in Ortry befände. Mein Gott!“

„Ich will eben jetzt noch mein Möglichstes tun. Ich wage alles.“

„Aber sei vorsichtig.“

„Habe keine Sorge. Jetzt brauche ich keine Rücksicht mehr zu nehmen. Wer mir heute widerstrebt, der ist verloren. Ich bin bewaffnet.“

„Wäre es nicht dennoch besser gewesen, ihr hättet den Kapitän der Polizei überwiesen?“

„Nein. Die Lösung meiner Aufgabe geht mir über alles.“

„Aber muß er denn durchaus frei bleiben?“

„Unbedingt. Ich kenne das Schloß, die Niederlagen und alles Nötige. Käme der Kapitän fort, so würden Änderungen eintreten, welche meinen ganzen Plan vernichteten. Es muß so bleiben.“

Er ging mit Fritz. Unten trafen sie auf den Arzt.

„Herr Doktor“, sagte Müller, „haben Sie bemerkt, daß der Kapitän oben war?“

„Ja.“

„Wir hatten einen bedeutenden Auftritt.“

„Ich habe es bemerkt.“

„Er wird Ihnen zürnen, daß diese Personen hier waren. Sie werden in Ungelegenheiten kommen, vielleicht sogar in Gefahr geraten.“

„Ich fürchte mich nicht. Miß de Lissa wohnt bei mir. Ich kann ihr nicht vorschreiben, wen sie in ihrer Wohnung empfangen darf und wen nicht. Und was den Alten betrifft, so verstehe ich, ihm entgegenzutreten.“

„Vielleicht kommt die Zeit, in welcher ich Ihnen so danken kann, wie ich es wünsche. Haben Sie nicht einige feste, längere Stricke? Ich brauche sie und möchte mich doch dadurch, daß ich welche kaufe, nicht verraten.“

„Genug. Ich selbst werde nachsehen.“

„Und noch eines: Sie haben für Ihre Landpraxis Pferd und Wagen?“

„Ja.“

„Ist das Pferd gut?“

„Ein sehr flotter Läufer.“

„Wie viele Personen faßt der Wagen?“

„Zwei, außer dem Kutscher.“

„Würden Sie ihn mir verkaufen?“

„Hm! Ich möchte Ihnen nicht Ausgaben verursachen, welche nicht unbedingt nötig sind. Wie lange brauchen Sie das Geschirr, Herr Doktor?“

„Auf höchstens zwei Tage.“

„Warum denn da kaufen? Ich leihe es Ihnen ja ganz gern.“

Müller ging natürlich darauf ein. Die Stricke wurden ausgesucht. Fritz machte ein Paket daraus, und dann erhielt er von seinem Herrn den Befehclass="underline"

„Jetzt kaufst du noch Licht für die Laterne, und dann erwartest du mich am Waldweg, wo wir uns immer zu treffen pflegen.“

„Reisen wir wirklich morgen?“

„Ja.“

„Aber heimlich?“

„Warum diese Vermutung?“

„Weil Sie einen Wagen nehmen.“

„Richtig! Adieu jetzt!“

Er ging nach Ortry.

Dort war lange vorher der Kapitän in einer ganz unbeschreiblichen Stimmung angekommen. Er begab sich, ganz so, wie vermutet worden war, zu Rallion, dem Jüngeren. Dieser lag nachlässig auf dem Sofa und las in einem Buch.

„Ah, Herr Kapitän!“ sagte er. „Unerwarteter Besuch!“

„Wirklich?“

„Gewiß.“

„Ich denke, Sie haben mich jetzt immer zu erwarten.“

„Wieso? Weshalb?“

„Das wissen Sie nicht?“

„Nein.“

„Ahnen es auch nicht?“

„Kein Wort.“

„Nun, der Schlüssel wegen.“

„Welcher Schlüssel?“

„Zu den unterirdischen Gewölben.“

„Was gibt es denn wieder mit diesen Schlüsseln?“

„Donnerwetter, wissen Sie sich gut zu verstellen!“

„Ich mich verstellen?“

„Ja. Sie haben diese Schlüssel!“

„Das sagten Sie bereits einmal.“

„Sie leugneten, jetzt aber habe ich den Beweis.“

„Gut. Bringen Sie diesen.“

„Der, welchen Sie heute befreit haben, hat es mir mitgeteilt.“

„Alle Wetter! Ich habe jemand befreit? Das heißt, einen Gefangenen?“

„Natürlich!“

„Der da unten steckte?“

„Wen sonst!“

„Wer war es denn?“

„Das wissen Sie ebensogut wie ich.“

Da sagte Rallion in seinem ernstesten Ton:

„Kapitän, Sie sind seit einiger Zeit höchst unbegreiflich. Sie versprachen mir Ihre Enkelin und halten nicht Wort. Sie schleppen mich in Versammlungen, in denen ich verwundet werde. Sie nennen mich nun gar einen Dieb! Das habe ich satt. Ich weiß sehr genau, was ich meiner Ehre und meinem Stand schuldig bin. Ich lasse mich nicht länger hänseln. Vater hat vorhin telegraphiert! Morgen oder übermorgen reise ich.“

„Donnerwetter! Was hat er telegraphiert?“

„Hier das!“

Er gab ihm das Telegramm zu lesen. Es enthielt die Worte:

„Dränge auf Entscheidung und komme dann sofort. Alles ist vorbereitet.“

„Sie sehen also“, fuhr er fort, „wie es steht. Bekomme ich Marion oder nicht?“

„Verdammt! Das Mädchen wird immer obstinater! Und nun dazu diese Schlüsselgeschichte!“

„Darf man sie denn nicht erfahren?“

„Hol's der Teufel! Ich habe doch nur Sie im Verdacht!“