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„Da sind Sie dümmer als dumm.“

„Denken Sie sich: Gestern ergriffen wir einen Spion. Ich lasse ihn fesseln und schließe ihn hinter drei Türen ein. Einen anderen Gefangenen brachte ich in dasselbe Karzer, in welcher wir die Zofe anstatt Marions steckten – ich bin überzeugt, beide fest zu haben. Vorhin fällt mir Marions Wesen auf. Ich lasse sie beobachten und erfahre, daß sie zu dieser verdammten Engländerin ist. Ich fahre nach. Wen finde ich dort?“

„Nun?“

„Diese beiden Gefangenen!“

„Unsinn!“

„Weiß Gott, es ist keine Lüge! Ich muß ausgesehen haben wie ein Nilpferd!“

„Was Sie da erzählen, ist doch ganz unmöglich!“

„Unmöglich gerade nicht, da mir ja die Schlüssel fehlen.“

„Hm!“

„In Ihrer Gegenwart habe ich sie verloren.“

„Das heißt, ich habe sie?“

„Ich denke es wahrhaftig. Der eine Gefangene sagte mir, ich solle Sie grüßen, und Sie hätten die Schlüssel.“

Da lachte Rallion laut auf und meinte dabei:

„Und das haben Sie geglaubt?“

„Was sonst!“

„Merken Sie denn nicht, daß der Kerl Sie nur irreführen will?“

„Irreführen? Hm!“

„Wer war denn noch bei den Gefangenen?“

„Marion und –“

„Donnerwetter!“

„Was?“

„Marion war bei Ihnen? Und Sie ahnen noch immer nichts?“

„Denken Sie etwa, daß sie die Schlüssel hat?“

„Wer denn sonst?“

„Wie will sie diese denn erhalten haben?“

„Auf zehnerlei Weise. Vielleicht sind Sie von ihr schon längst beobachtet worden.“

„Ich möchte schwer daran glauben. Aber wenn ich mir überlege, daß sie –“

Er zauderte.

„Was?“

„Daß sie es war, welche mir die befreiten Gefangenen in die Stube brachte!“

„Sie brachte jene? Na, wollen Sie noch andere Beweise?“

„Aber wie soll sie zu den Schlüsseln gekommen sein?“

„Das fragte ich nicht; das muß sie selbst gestehen. Schlüssel hat sie, das ist sicher und gewiß.“

„Wieso?“

„Sie legte die Zofe in ihr Bett, anstatt sich; sie muß also unseren Plan belauscht haben.“

„Wahrscheinlich.“

„Sie kann uns aber nur dann belauschen, wenn Sie die heimlichen Gänge, Treppen und Türen kennt.“

„Satan!“

„Sie kann sich also ganz leicht, während Sie schlafen, bei Ihnen einschleichen und die Schlüssel borgen oder sich einen Wachsabdruck machen.“

„Daran dachte ich mit keiner Silbe.“

„Sie durchkreuzt unsere Pläne; sie wird immer obstinater, wie Sie selbst sagen; es entkommen Ihnen Gefangene, welche ganz sicher hinter Schloß und Riegel waren; Marion wird bei diesen Gefangenen gefunden, denen sie den Rat gegeben hat, mich zu verdächtigen. Das tut sie auch wieder nur, weil sie mich haßt – wenn Sie nun noch nicht wissen, woran Sie sind, so sind Sie vollständig blind!“

Der Alte schritt hin und her, mit den Armen gestikulierend und dabei allerhand unverständliche Laute ausstoßend. Endlich sagte er, stehenbleibend:

„Sie haben recht. Ich war blind, vollständig blind. Sie aber haben mir jetzt den Star gestochen.“

„Endlich! Was aber weiter?“

„Ich mache sie unschädlich!“

„Auf welche Weise?“

„Indem ich nun doch den Plan ausführe, den sie uns vereitelt hat.“

„Und sie einstecken?“

„Ja.“

„Hm! Vielleicht lauscht sie jetzt wieder.“

„Nein. Sie ist noch in der Stadt.“

„Sie wird wieder entkommen.“

„Diesmal nicht. Ich habe noch Orte, die Sie gar nicht kennen. Dahin bringen wir sie.“

„Wann?“

„Sobald sie zurückgekehrt ist.“

„Sapperment!“

„Wir binden sie sogar im Kerker an, so daß sie sich gar nicht bewegen kann.“

Der Graf schnalzte mit der Zunge und mit den Fingern.

„Und dann?“ frage er. „Dann?“

„Was dann?“

„Dann gehört sie mir?“

„Ja, ich gebe sie Ihnen; aber erst nach vierundzwanzig Stunden, Verehrtester!“

„Warum so spät?“

„Ich gewähre ihr diese Bedenkzeit, weil es für die Zukunft besser ist, sie wird freiwillig ihre Braut, als gezwungen.“

„Einverstanden! Unter diesen Umständen bleibe ich trotz der Depesche einen Tag länger hier. Ich habe es nun einmal auf diese Marion abgesehen. Was kann ich gegen diese dumme Liebe? Wie also arrangieren wir uns?“

„Ich warte, bis sie in ihrem Zimmer ist; dann hole ich Sie ab. Wir treten durch das Täfelwerk bei ihr ein.“

„Schön! Aber sie wird schreien!“

„So weit dürfen wir es nicht kommen lassen.“

„Gut, gut! Ich bin gespannt, ganz außerordentlich gespannt. Aber man wird sie vermissen?“

„Lassen Sie es meine Sorge sein, hierauf eine Antwort zu geben, welche die Frager befriedigen wird.“

„Alle?“

„Ich denke.“

„Hm! Einen doch wohl nicht!“

„Wen?“

„Diesen verdammten, buckligen Hauslehrer.“

„Sie hassen ihn einmal!“

„Pah! Ich weiß ganz genau, daß Sie ihn ebenso hassen, ja, daß Sie ihn sogar fürchten.“

„Fürchten? Sind Sie toll?“

„Nein. Ich beobachte gut. Sehen Sie denn nicht, daß Marion am Fenster steht, wenn er unten im Garten sitzt? Sie geben sich heimliche Zeichen; sie stützt sich auf ihn. Hätte sie ihn nicht, so wagte sie keinen solchen Widerstand.“

„Was Sie da sagen, klingt nicht ganz unwahrscheinlich. Ich habe Beweise, daß er horcht, daß er heimlich beobachtet. Er hat zu mir von Dingen gesprochen, die nur ich allein wissen kann. Das ist höchst auffällig.“

„Und da dulden Sie ihn?“

„Was will ich tun? Der Junge hängt an ihm!“

„Pah! An dem nächsten wird er ebenso hängen und vielleicht noch mehr.“

„Möglich. Aber, aber –“

„Was denn?“

„Ich will Ihnen aufrichtig sagen, daß ich ihn nicht gern aufregen möchte. Ich habe mich doch ein wenig in acht zu nehmen. Dieser Lauscher hat einige Kleinigkeiten bemerkt, deren Ruchbarwerden mir zwar keinen Schaden, aber Unannehmlichkeiten bringen könnte.“

„Dachte es mir doch! Sie fürchten sich vor ihm!“

„Fürchten? Nicht die Spur; ich habe ihn nur zu berücksichtigen; das ist alles.“

„Nun gut, so legen Sie es darauf an, daß er selbst kündigt.“

„Da wird er sich hüten.“

„Hat er kein Ehrgefühl?“

„Mehr als genug.“

„Hm, ich zweifle daran! Mir gegenüber hat er sich als Feigling benommen. Sie wissen ja!“

„Das mußte damals einen ganz besonderen Grund haben. Ich habe keinen zweiten kennengelernt, der so wie er zum Raufbold prädestiniert wäre. Ehrgefühl hat er; aber er wird lieber manches verschlucken, als eine so fein dotierte Stellung aufzugeben.“

„Es gilt den Versuch.“

„Ich werde ihn machen. Werde ich den Menschen so halb und halb in Frieden los, so soll es mir auch auf ein Vierteljahrsgehalt nicht ankommen.“

„Ist er denn fleißig? Er scheint stets abwesend zu sein, wie ich bemerkt habe.“

„Er geht allerdings sehr viel aus. Dies gibt vielleicht die Veranlassung zu einer Auseinandersetzung. Also halten Sie sich bereit. Ich werde Sie abholen.“

Er ging und beobachtete dann von seinem Fenster aus die Straße, welche nach der Stadt führte. Unterdessen schickte er den Diener, um sich nach Müller zu erkundigen und auch zu erfahren, welchen Unterricht er heute erteilt habe.

„Er hat heute gar keinen Unterricht gegeben“, lautete der Bescheid.

„Ist er denn nicht da?“

„Er ist heute stets fort gewesen. Nur einige Augenblicke hat man ihn gesehen; dann ist er wieder verschwunden.“

Nach einiger Zeit sah der Alte Marion mit den beiden Schwestern die Straße nach dem Schloß daherkommen, und zugleich schritt Müller nachdenklich auf dem Wiesensteig herbei. Er hatte die Stadt später als die Damen verlassen, war aber einen kürzeren Weg gegangen: so kam es, daß er fast in demselben Augenblick mit ihnen auf dem Schloßhof anlangen mußte.