„Und ein wunderbarer Kerl dazu.“
„Fast mehr als wunderbar, nämlich wunderlich. Ich traf ihn im Gasthof, und erfuhr dann von ihm, daß der Pulvertransport heute abend hier ankommen werde. Er wollte das beobachten, ich konnte ihn nicht davon abbringen.“
„Weiter!“
Fritz gab seine Aufklärung, und als er damit zu Ende war, meinte Müller:
„Dieser Maler scheint trotzdem gar kein unebener Kerl zu sein. Wir müssen uns seiner annehmen. Welch ein glücklicher Zufall also, daß ich auf dich getroffen bin!“
„Konnte mich beinahe das Leben kosten!“
„So schnell geht das Erwürgen nicht.“
„Aber wie kamen denn Sie zum Steinbruch?“
„Ich beobachtete den Alten und bemerkte, daß er nach den Gewölben ging. Ich folgte ihm, um vielleicht zu sehen, was er vorhabe. Du erinnerst dich doch, daß der Gang nach dem Steinbruch verschüttet war?“
„Ja. Heut aber ist er jedenfalls geöffnet worden.“
„Und zwar von dem Alten selbst. Ich beobachtete ihn dabei. Natürlich nahm ich sogleich an, daß im Steinbruch etwas geschehen werde. Das mußte ich erfahren. Von meinem Lauscherposten aus konnte ich es nicht beobachten, darum verließ ich die Gewölbe durch das Waldloch und ging nach dem Bruch.“
„Ah, so also ist es!“
„Ja. Ich war kaum da angekommen, so hörte ich jemand sehr eilig gelaufen kommen. Ich drückte mich eng an den Felsen, um ihn vorüber zu lassen; aber dieser jemand wollte ebenso eng um den Felsen biegen und stieß also mit mir zusammen.“
„Das war ich!“
„Ja. Ich hielt dich für einen andern.“
„Und drückten mir daher ein ganz klein wenig die Gurgel zusammen. Na, das ist nun überstanden. Was tun wir jetzt?“
„Wir suchen den Maler.“
„Aber wenn man uns erwischt!“
„Wir haben eine Stunde Zeit.“
„Es gibt dennoch eins zu bedenken, Herr Doktor.“
„Was?“
„Wenn wir ihn befreien, so schöpft der Alte Verdacht.“
„Das ist freilich wahr. Wie aber wollen wir das umgehen?“
„Ich weiß es auch nicht.“
„So muß es eben riskiert werden. Aber sonderbar ist diese Sache doch. Kannst du dich erinnern, daß wir auch in dem Gewölbe da gewesen sind?“
„Ja. Es steht voller Fässer.“
„Hast du eine Tür bemerkt?“
„Nein.“
„Ich auch nicht. Und dennoch hörte ich ganz deutlich, daß ein Riegel klirrte und eine Tür zugeworfen wurde.“
„Vielleicht war sie hinter den Fässern versteckt.“
„Anders nicht. Also beginnen wir!“
Sie begaben sich zu der betreffenden Tür. Müller zog den Schlüssel hervor, öffnete, trat mit Fritz ein und verschloß sodann die Tür hinter sich. Nun nahm er die Laterne aus der Tasche und öffnete sie. Er hatte sie gar nicht ausgelöscht. Ihr Schein beleuchtete die Fässerreihen.
„Wo mag sich die Tür befinden?“ fragte Fritz.
„Da ganz hinten muß es sein. Wo ich den Lichtschein bemerkte. Suchen wir!“
Sie begaben sich nach der hinteren Mauer des Gewölbes und bemerkten auch sofort, daß da einige Fässer entfernt worden waren. Dadurch war eine bisher hinter ihnen verborgene, stark mit Eisen beschlagene Tür zum Vorschein gekommen.
„Hier muß es sein.“
„Jedenfalls.“
„Aber ob der Schlüssel hier auch schließt?“
„Wir werden sehen.“
Zu ihrer Freude tat der Schlüssel seine Schuldigkeit. Sie gelangten in einen leerstehenden kleinen, viereckigen Raum und sahen sich abermals einer Tür gegenüber. Auch diese wurde geöffnet. Müller trat ein. Dieser Raum war ganz ebenso beschaffen wie der vorige. Es war da nichts zu sehen als eine dicke, menschliche Gestalt, welche an der Erde kauerte und sich mühsam erhob.
„Jetzt schon ins Verhör?“ fragte der Mann.
„Nein“, antwortete Müller.
„Was denn? Soll ich etwa eine Partie Sechsundsechzig mit Ihnen spielen?“
„Sie scheinen sehr gut gelaunt zu sein, Herr Schneffke!“
„Warum soll ich nicht! Ich bin hier sehr wohl versorgt.“
„So können wir also wieder gehen. Wir glaubten, Ihnen einen Gefallen zu erweisen, wenn wir Ihnen diese Schlösser öffnen und Ihre Stricke zerschneiden.“
„Sapperment, das klingt nicht übel! Wer sind Sie denn?“
„Ein Bekannter Ihres Bekannten.“
„Welches Bekannten?“
„Dieses da.“
Er deutet dabei auf Fritz, der bisher hinter ihm gestanden hatte und also nicht zu sehen gewesen war.
„Bitte, leuchten Sie ihm doch einmal ins Gesicht!“
Müller tat es und sogleich meinte der Maler:
„Heiliges Mirakel! Was ist denn das? Wäre ich nicht an Armen und Beinen gebunden, so schlüge ich vor Erstaunen die Hände und Füße über dem Kopf zusammen. Herr Schneeberg!“
„Freilich bin ich es.“
„Aber wie kommen denn Sie hierher?“
„Das habe ich vorausgesehen, Sie Spaßvogel. Aber –“
„Lassen wir das jetzt. Zeigen Sie einmal her!“
Er zog sein Messer hervor und schnitt die Stricke entzwei.
„So, da sind Sie nun frei. Ein anderes Mal unterlassen Sie gefälligst solche Dummheiten.“
„Welche Dummheiten?“
„Ich hatte Ihnen gesagt, daß Sie auf Ihrem Platz bleiben sollten.“
„Hm! Ja! Wir können ja gleich wieder hingehen!“
„Sie scheinen unverbesserlich zu sein.“
„Was hatte ich denn zu befürchten?“
„Den Tod, mein Bester.“
„Donner und Doria! Wäre es wirklich so schlimm gemeint gewesen?“
„Gewiß, ganz gewiß.“
„Nun, so will ich Ihnen herzlich danken! Um mich wäre es wohl nicht sehr schade gewesen; aber ich habe noch einige Pflichten zu erfüllen, welche mir heilig sind. Bitte aber mir zu erklären, wie es Ihnen möglich ist, mich zu befreien.“
„Jetzt ist zu einer Erklärung keine Zeit“, sagte Müller. „Wir müssen uns schleunigst entfernen, wenn diese Menschen nicht drei Gefangene haben sollen, anstatt des einen.“
„Ist mir lieb. Gehen wir also.“
„Nicht so. Nehmen Sie die Stricke vom Boden auf. Wir dürfen sie nicht liegen lassen.“
„Warum nicht?“
„Der Kapitän darf sich nicht erklären können, auf welche Weise Sie entkommen sind.“
„Ganz richtig! Da sind die Stricke; ich bin also bereit.“
Sie gingen, und Müller schloß alle Türen hinter sich zu. Durch den Gang gelangten sie in das Waldloch. Dem Maler fiel es freilich schwer, durch die niedrigen Ausgänge zu schlüpfen, welche für sein Kaliber gar nicht eingerichtet waren. Als er im Freien angekommen war, holte er tief Atem und sagte:
„Meine Herren, es war dennoch eine verdammte Geschichte.“
„Das will ich meinen“, sagte Müller. „Sie können die Gefahr, in welcher Sie sich befunden haben, gar nicht taxieren.“
„Ist dieser alte Kapitän wirklich ein so gefährlicher Kerl?“
„Schlimmer als Sie denken. Doch jetzt das Notwendigste. Können Sie schweigen?“
„Beinahe wie ich selber.“
„Ich bitte Sie nämlich, von dem, was Sie heute erlebt haben, nichts verlauten zu lassen.“
„Diesen Gefallen kann ich Ihnen tun. Aber warum soll ich diese Menschen nicht zur Rechenschaft ziehen?“
„Das erfahren Sie noch. Ich habe erfahren, wo Sie logieren. Wann reisen Sie ab?“
„Heute und morgen wohl noch nicht.“
„Warum?“
„Sehr einfach. Weil ich hier noch zu tun habe.“
„Ich will Sie nicht nach der Art Ihrer Geschäfte fragen; aber es ist meine Pflicht, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß es für Sie am besten ist, sich schleunigst zu entfernen.“
„Warum?“
„Weil der Kapitän alles tun wird, sich Ihrer zu bemächtigen.“
„Das sollte ihm wohl schwer gelingen. Viel eher würde ich mich seiner bemächtigen.“
„Trauen Sie sich nicht zuviel zu.“