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„Ja. Diese Aufklärung habe ich von Ihnen zu erbitten?“

„Ja. Ich will jetzt im Hintergrund bleiben.“

„Lauter Rätsel! Von Deep-hill soll ich Auskunft erhalten und von Ihnen Aufklärung! Warum geben Sie mir diese nicht gleich jetzt?“

„Ich will mich vorher überzeugen, ob meine Vermutung das Richtige trifft oder nicht.“

„So muß ich mich fügen. Hoffentlich treffe ich Nanon bereits morgen. Und Deep-hill wird auch kommen. Wo finde ich Sie dann?“

„Im Gasthof. Aber Sie sagten, daß der Wirt der Verbündete des Kapitäns sei. Das ist, nach dem, was heute für mich geschehen ist, gefährlich. Ich werde mich also ausquartieren.“

„Wohin?“

„Das weiß ich noch nicht, werde es Ihnen aber durch einige Zeilen, die ich Ihnen sende, mitteilen.“

„Ich bitte sehr darum! Diese Angelegenheit ist mir so wichtig, daß ich keine Minute verlieren möchte.“

„Nun, laufen Sie nur nicht schon während der Nacht nach Schloß Ortry, sondern lassen Sie die Damen erst ausschlafen! Jetzt aber ist's genug. Ich werde gehen.“

Sie schieden unter den Versicherungen herzlicher Freundschaft voneinander. Fritz war so erregt, daß er nicht schlafen konnte. Er lief noch stundenlang im Zimmer umher, schmiedete Pläne und erging sich in tausenderlei Vermutungen. Endlich fühlte er sich doch körperlich und seelisch so angegriffen, daß er das Lager suchte.

Die Folge blieb nicht aus. Als er erwachte, war der Mittag nahe; es hatte bereits elf Uhr geschlagen. Und als er dann durch das Fenster blickte, sah er – Doktor Müller die Straße heraufkommen und in das Haus treten.

Was hatte dieser Besuch zu bedeuten? Er trank seinen Kaffee und kleidete sich zum Ausgehen an, um zu versuchen, ob er Nanon treffen könne. Da trat Müller bei ihm ein.

„Warst du heute bereits fort?“ fragte dieser.

„Nein.“

„So kann ich auch von dir nichts erfahren. Ich hielt es für möglich, daß du ihm zufälligerweise begegnet seist.“

„Wem?“

„Deep-hill.“

„Diesem? Sie suchen ihn?“

„Ja. Ich hatte ihn zu sprechen und fand ihn nicht. Ich erkundigte mich und erfuhr, daß der Kapitän gesagt habe, der Amerikaner sei heimlich abgereist.“

„Und das glauben Sie nicht?“

„Nein. Er hätte ganz sicher vor seiner Abreise noch mit mir gesprochen. Ich ging daher jetzt zu meiner Schwester, habe aber auch nichts weiter erfahren, als daß er gestern am Nachmittag hier gewesen sei.“

„Ist er dann auf dem Schloß gewesen?“

„Nein. Es hat ihn niemand gesehen.“

„Donnerwetter! Niemand gesehen! Da fällt mir ein – ah, das wäre doch ein verdammter Streich!“

„Was?“

„Dieser Maler Schneffke strich gestern im Wald herum, und ich erfuhr von ihm, daß er dem Amerikaner begegnet sei.“

„Wo?“

„Eben draußen im Wald.“

„In welcher Gegend?“

„Es muß gewesen sein, kurz bevor ich mit dem Maler zusammentraf, also vermutlich zwischen dem alten Turm und der Klosterruine.“

„So muß ich hinüber zu diesem Schneffke.“

„Er hat sich ausquartiert.“

„Wohin?“

„Das weiß ich noch nicht; er wird es mir aber jedenfalls heute noch mitteilen.“

„Schade. Ich befinde mich in hoher Besorgnis um Deep-hill. Der Kapitän trachtet ihm nach dem Leben; das weiß ich sehr genau. Wer weiß, was da geschehen ist!“

„Himmelelement! Und gerade jetzt brauche ich den Amerikaner so notwendig!“

„Wozu?“

„Wegen einer Auskunft über Nanons Eltern.“

„Dieser soll Auskunft geben können?“

„Ja. Bitte, Herr Doktor, haben Sie die Güte, sich einmal dieses Bild zu betrachten!“

Er erzählte seine Unterredung mit dem Maler. Müller hörte aufmerksam zu, betrachtete das Bild sehr genau und sagte dann:

„Dieser Aurelius Hieronymus Schneffke ist in Wirklichkeit ein psychologisch höchst interessanter Mensch. Er scheint eine Zusammensetzung von Klugheit und Dummheit, List und Vertrauensseligkeit zu sein. Was er dir hier sagt, das beweist, daß er noch weit mehr weiß. Aber wie er den Amerikaner zu dieser Angelegenheit in Beziehung bringen kann, das weiß ich nicht. Dieser letztere aber ist nicht verreist. Ich werde nach ihm forschen.“

„In den Gewölben?“

„Auch das.“

„Soll ich helfen?“

„Ja. Ich will jetzt meine Erkundigungen fortsetzen und erwarte dich punkt drei Uhr im Waldloch.“

Er ging, und bald darauf verließ auch Fritz die Stadt, um die Nähe des Schlosses aufzusuchen.

Der Zufall war ihm außerordentlich günstig, denn als er vom alten Turm her den Weg nach dem Park einschlug, kamen ihm – die beiden Schwestern entgegen.

Sie waren sehr erfreut, ihn zu sehen, und luden ihn ein, sie auf dem Spaziergang zu begleiten. Es war ein schöner Tag, so vertieften sie sich in den Forst, bis die Damen müde wurden und den Vorschlag machten, im Moos auszuruhen. Während der Unterhaltung, welche nun geführt wurde, kam auch die Rede auf die Erlebnisse in Malineau, auf den alten Betreu und dessen Familie. Natürlich wurde dabei auch die verstorbene Mutter erwähnt.

„Ihren Papa also haben Sie gar nicht gekannt?“ fragte Fritz, der froh war, das Gespräch auf dieses Thema gebracht zu wissen. „Sie wissen auch nicht, was er war?“

„Gar nichts wissen wir, außer einigen Nebensachen.“

„Da fällt mir ein: Sagten Sie nicht einmal, Mademoiselle Nanon, daß Ihr Papa die Mama gern Kolibri gerufen hatte?“

„Ja.“

„Eigentümlich. Daran wurde ich gestern sehr lebhaft erinnert.“

„Wieso?“

„Ich suchte alte Briefe durch und fand dabei ein Blatt mit einem Studienkopf. Unter dem letzteren stand die eigentümliche Unterschrift: Mein süßer, lieber Kolibri.“

„Wirklich? Gewiß?“ fragten die Schwestern.

„Ja.“

„Das ist allerdings höchst wunderbar. Wessen Porträt war es?“

„Es war kein Porträt, sondern ein Studienkopf.“

„Wenn man ihn doch einmal sehen könnte.“

„Das hat keine Schwierigkeiten. Aber es hat auch keinen Zweck. Es ist ja ein ganz fremder Kopf.“

„Aber die Unterschrift macht ihn so interessant.“

„Nun, wenn ich nicht irre, habe ich das Blatt bei mir.“

„Dann bitte, bitte! Dürfen wir es sehen?“

„Sehr gern.“

Er nahm die Brieftasche heraus, suchte eine Zeitlang darin, zog dann das Blatt hervor und gab es ihnen. Er befand sich in außerordentlicher Spannung, welchen Eindruck es machen werde.

Er brauchte nicht lange zu warten. Kaum hatten die Schwestern einen Blick auf den Kopf geworfen, so fuhren sie auf.

„Die Mama!“ rief Madelon.

„Ja, unsere Mama! O mein Gott, das ist sie wirklich, die liebe, gute Mama!“ rief auch Nanon.

Fritz stellte sich ganz verwundert und fragte:

„Wie? Ihre Mama soll das sein?“

„Ja, sie ist es.“

„Das ist jedenfalls eine Täuschung!“

„Nein, nein. Es ist gar kein Zweifel.“

„Erinnern Sie sich Ihrer Mutter denn noch so deutliche?“

„Ganz und gar. Wir waren nicht sehr alt, als sie starb, aber wir hatten sie so sehr lieb, und wen man so lieb hat, den kann man nie vergessen.“

Und Madelon fügte hinzu:

„Selbst wenn wir uns irrten, denken Sie doch hier an diese Unterschrift. Wer könnte da noch zweifeln.“

„Wie aber kommt mein Freund zu diesem Bild?“

„Von wem ist es?“

„Ein Freund von mir hat es gezeichnet, damals ein angehender Maler. Er schenkte es mir, weil ich mich an diesen Zügen nicht sattsehen konnte.“

„Ah, es hat Ihnen gefallen?“

„Sehr, o sehr.“

„Aber wie kann dieser Freund unsere Mama kennen? Ah, ich spreche ja wirklich wie ein Kind! Ich weiß gar nicht einmal, wo er gelebt hat. Vielleicht in dieser Gegend?“