Sie gingen.
Die beiden Männer über ihnen hatten jedes Wort verstanden; sie konnten sogar durch einige im Boden befindliche Ritzen herabblicken.
„Da waren Sie gemeint“, flüsterte jetzt Vater Main.
„Ja“, antwortete der Kapitän, welcher schnell berechnete, daß er ohne Hilfe nichts unternehmen könne.
„Diese Kriegskasse existiert wirklich?“
„Freilich! Es ist genauso, wie dieser alte Satan erzählte.“
„Donnerwetter! Wollen wir sie holen?“
„Warum nicht? Aber es fehlt uns eins dazu, was wir unumgänglich nötig haben.“
„Was?“
„Geld.“
„Geld, wenn wir Geld holen?“
„Ja. Wir können von hier nicht mitnehmen, was wir brauchen: Wagen, Hacken, Schaufeln und anderes.“
„Mein Cousin mag Geld schaffen. Oder, noch besser, er soll mit. Drei sind besser als zwei.“
„Das ist sehr richtig. Aber wird er Zeit haben?“
Der alte Schlaukopf sagte sich im stillen: Helfen mögen sie; dann schaffe ich sie auf die Seite.
„Er muß Zeit haben. Seine Frau mag während seiner Abwesenheit den Kramladen versorgen.“
„Gut. Dann aber sobald wie möglich aufbrechen. Wir haben gehört, daß diese Menschen da unten hin wollen. Sie könnten uns zuvorkommen.“
„Ich will den Cousin holen.“
Er stieg leise hinab, und der Kapitän folgte ihm, um in die Kammer zu treten. Vater Main brachte sehr bald den Wirt. Sie führten eine leise, eifrige Unterhaltung, welche allerdings gar nicht lange dauerte.
Während derselben kam leise, leise der Knabe, welcher vorhin geschlagen worden war, zur Treppe heraufgeschlichen und lehnte den Kopf an die Bretterwand. Als er bemerkte, daß die Unterredung zu Ende sei, wollte er sich zurückziehen, stolperte aber im Eifer und fiel hin auf den Boden. Sofort wurde die Kammertür aufgerissen, und der Wirt trat heraus.
„Bube, du hast gelauscht“, sagte er.
„Nein“, lautete die Antwort.
„Was willst du hier?“
„Es sind Leute unten, die kaufen wollen. Ich kam um Sie zu rufen und stolperte über die letzten Stufen.“
„So bist du eben erst gekommen und hast nichts gehört?“
„Gar nichts.“
„Hier, hast du etwas für das Stolpern.“
Er gab ihm abermals eine Ohrfeige und stieß ihn zur Treppe hinab. Der Knabe war ihm in die Lehre gegeben; er wurde brutal behandelt und haßte seinen Meister. Als dieser nach einiger Zeit mit den zwei Männern das Haus verließ, um die Straße nach Bouillon einzuschlagen, folgte ihnen der Knabe mit seinen Blicken und sagte leise zu sich selbst:
„Sie sollen die Kriegskasse nicht haben. Ich werde es dem schönen, guten Offizier sagen, der mir gestern einen ganzen Franken geschenkt hat und heute wieder.“
Und als nach einiger Zeit Königsau wieder kam, um nach seinem Großvater zu sehen, ging er ihm nach, hinauf auf den Boden und machte sich durch ein Husten bemerkbar.
„Was willst du?“ fragte ihn der Offizier.
„Sie wollen die Kriegskasse.“
„Wer?“
„Die drei.“
Königsau war überrascht.
„Welche drei?“ erkundigte er sich.
„Mein Meister und die Fremden. Sie kamen und versteckten sich da oben.“
Er zeigte nach dem Hahnebalkenboden.
„Da oben haben Männer gesteckt?“ fragte Königsau, förmlich erschrocken.
„Ja, zwei. Sie steckten sich da hinauf. Ich kenne sie nicht; aber der alte war der Kapitän. Der andere hat ihn so genannt.“
„Beschreibe ihn mir.“
Der Knabe tat dies, und Königsau bekam die Überzeugung, daß wirklich Kapitän Richemonte hiergewesen sei.
„Was haben sie denn gesprochen?“ fragte er.
„Als Sie fort waren, kam der eine hinab in den Laden, nicht der Alte, sondern der andere. Sie sprachen leise; aber ich hörte doch, daß sie einen Schatz heben wollten. Dann gingen sie hinauf zu dem Alten, der wieder in der Kammer war. Ich schlich nach und horchte. Sie wollen die Kasse ausgraben und teilen. Dann aber, wenn sie wiederkommen, wollen sie drei totmachen, welche Königsau heißen.“
„Haben sie nicht gesagt, wann sie wiederkommen werden?“
„Nein.“
„Gut, mein Sohn. Hier hast du fünf Franken. Deine Mutter ist arm, wie du mir sagtest. Ich werde sie so beschenken, daß es ihr wohlgehen soll. Aber sage jetzt noch keinem Menschen ein Wort von dem, was du weißt.“
Er weckte den schlafenden Großvater nicht auf, sondern begab sich in die Ambulanz zu seinem Vater, dem er das Ereignis erzählte. Dieser war natürlich im höchsten Grad aufgeregt. Er sagte:
„Das ist kein Unglück, sondern ein Glück für uns!“
„Natürlich. Der Alte läuft uns da hübsch in die Hände.“
„Nur schleunigst nach!“
„Bitte, keine Überstürzung, Vater. Wir reiten natürlich, und die drei sind zu Fuß. Wir werden sie überholen, und das ist nicht vorteilhaft.“
„Warum nicht? Wir nehmen sie gefangen, da wo wir sie treffen.“
„Bedenke, daß Bouillon jetzt luxemburgisch ist. Ich darf nicht einmal in Uniform hinüber.“
„Das ist fatal, höchst fatal!“
„Großpapas Beschreibung nach aber liegt die Kasse wieder auf französischem Boden vergraben, da man von Bouillon sich nach rechts, also nach Westen zu wenden hat. Fassen wir die Kerls dort, so sind sie uns sicher.“
„Werden wir sie transportieren dürfen?“
„Ja. Wenn wir sie auf französischem Boden verhaften und nur um eine Ecke des Luxemburger Gebietes wieder auf französisches Territorium schaffen, kann man es uns nicht verbieten. Übrigens wird es Nacht sein, da wird alles möglich gemacht.“
„Wer reitet mit?“
„Du, Großvater, ich und Fritz. Vier sind genug. Um aber auf alle Fälle sicher zu sein, wollen wir auch Fritzens Bruder mitnehmen. Wir sind seiner sicher.“
„Werdet ihr Urlaub bekommen?“
„Gewiß. Da laß mich sorgen. Freilich brauchen wir Zivilanzüge für die beiden Brüder und mich. Ich hoffe, daß sie in Sedan zu haben sind. Ich werde sie besorgen.“
„Wann also reiten wir?“
„Kurz vor Einbruch der Dunkelheit.“
„Aber, wird Großvater während der Nacht den Ort auch finden? Es ist fünfzig Jahre her.“
„Ich hoffe es. Er hat ihn so genau beschrieben, daß ich allein ihn zu finden mir getraue.“
Er teilte Fritz und dessen Bruder mit, um was es sich handelte. Der erstere hatte den letzteren bereits mit den Schicksalen der Familie Königsau bekannt gemacht, und so war der bisherige französische Kapitän sofort bereit, an dem Ritt teilzunehmen.
Der Urlaub wurde gewährt, und kurz vor Abend ritten sie davon, drei ledige Pferde mit sich am Zügel führend.
Da sie nicht Uniform trugen und auch keine Waffen sehen ließen, wurden sie an der Grenze gar nicht inkommodiert. Jenseits derselben kehrte Richard ganz allein in einer an der Straße liegenden Restauration ein und erfuhr, daß die drei hier gerastet hatten.
Es war eigentümlich, welchen Eindruck der Anblick dieser Gegend auf Hugo von Königsau machte. Er fühlte sich wie ein Jüngling, er ritt an der Spitze und machte erst wieder halt, als sie Bouillon passiert und die letzten Häuser erreicht hatten.
„Hier“, sagte er, „ist die Schenke, in welcher ich übernachtete. Es ist ein neues Gebäude angebaut worden, wie ich sehe; aber das alter erkenne ich sofort. Von hier aus müssen wir laufen, lieber Richard.“
„So steigt ab und wartet. Ich werde die Pferde einstellen. Fritz mag helfen.“
Die beiden führten die Pferde nach dem Gasthof, wo genug Stallung vorhanden war, und ließen sie unter ihrer Aufsicht einstellen. Dann wurde die Fußwanderung begonnen.
Sie folgten dem Wasser bis zu den bekannten Erlen, welche wirklich noch standen. Dann bogen sie links ein und stiegen den Berg hinauf.