Richemontes Verletzung war tödlich. Sie verursachte ihm so entsetzliche Schmerzen, daß er wie ein gespießter Eber brüllte. Und diese Qualen machten ihn so mürbe, daß er ein vollständiges Geständnis aller seiner Sünden und Verbrechen ablegte.
Es war ihrer eine schaurige Zahl. Die Vernehmung erforderte so viel Zeit, daß dieselbe unterbrochen werden mußte. Von Seiten des herbeigerufenen Arztes wurden alle Mittel angewendet, den Tod von dem Verbrecher hinzuhalten, was auch auf einige Zeit noch gelang. – – –
ACHTES KAPITEL
In Berlin
Nach den in Vorstehendem geschilderten Ereignissen ist es zum Schluß nötig, den Leser nach Berlin zu führen, um zu erfahren, was sich vorher dort alles ereignet hatte.
Es war Abend. Der alte, greise Hugo von Königsau, der einstige Liebling des Feldmarschalls Blücher, hatte Besuch. Sein Vetter, der General Kunz von Goldberg, befand sich bei ihm.
Sie plauderten von vergangenen Tagen, von ihren Kriegserlebnissen, und so war es kein Wunder, daß das Gespräch auch auf die gegenwärtige, bedrohliche Konstellation kam.
„Er fängt wieder an! Paß auf, er fängt wieder an“, sagte Königsau. „Der Franzose kann von seiner Art nicht lassen. Er hat sich in die Tinte geritten und will sich nun durch einen Krieg wieder herausbeißen.“
„Das steht allerdings zu befürchten.“
„Zu befürchten? Haben wir etwas zu befürchten, wie?“
„Hm! Gott gebe, daß es gutgeht.“
„Es wird gutgehen. Wie sollte es anders?“
„Wir sind leider nicht allwissend.“
„Nein, aber sehen können wir, rechnen können wir. Wir sehen, daß der Franzmann am Ende seiner Klugheit angekommen ist.“
„Wir wollen ihn nicht zu niedrig schätzen.“
„Wie? Das sagst du als preußischer, als deutscher General?“
„Ja. Man braucht als Offizier nicht den Bramarbas zu spielen.“
„Das bin ich auch nicht. Oder hälst du mich etwa dafür?“
„Nein, das sei mir fern.“
„Na, also! Ich sehe mit meinem gesunden Auge, daß der Franzose krank ist. Er fiebert; man muß ihn zur Ader lassen. Eher gibt er nicht Ruhe.“
„Leider muß der Bader, welcher ihn zur Ader läßt, auch sein Blut hergeben.“
„Das ist nicht anders; das ist stets so gewesen. Wir haben damals unser Blut hergeben müssen. Und wer war schuld daran? Etwa wir?“
Der General schüttelte langsam den Kopf. Er fragte:
„Du meinst, Napoleon sei schuld gewesen?“
„Natürlich.“
„Da bin ich anderer Ansicht.“
„Was! Anderer Ansicht! Willst du ihm das Wort reden?“
„Nun, das fällt mir gar nicht ein, aber ich betrachte ihn von einem anderen Standpunkt als du.“
„So, so! Von einem anderen Standpunkt? Von welchem denn, wenn ich fragen darf, he?“
Wenn die Rede auf Napoleon kam, pflegte der alte Veteran stets heftig zu werden, sogleich er es so sehr schlimm gar nicht meinte. Das wußte der General. Er nickte ihm lächelnd zu und antwortete:
„Vom Standpunkt der Objektivität.“
„Ah, so! Bin ich etwa nicht objektiv?“
„Nein, lieber Vetter.“
„Alle Teufel! Ist's dein Ernst?“
„Ja.“
„Na, dann begreife ich dich nicht.“
„Aber ich dich.“
„Hoho! Ich bin kein junger Springinsfeld mehr, kein Sausewind, der an nichts denkt. Ich bin alt genug, um ruhig zu beobachten und beurteilen zu können. Ich halte mich für ebenso objektiv, wie du dich.“
„Das bist du ja auch.“
„Na also!“
„Aber nur in dieser Angelegenheit nicht.“
„Beweise es!“
„Du bist damals zu sehr mitgenommen worden; du hast zu viel Schlimmes zu erfahren, zu leiden und zu dulden gehabt. Darum läuft dir selbst jetzt, nach so langen Jahren, die Galle über, wenn du an jene Zeiten denkst.“
„Wozu habe ich die Galle?“
„Nur zum überlaufen wohl?“ lachte der General.
„Na ja, sie ist auch zu einigem anderen da. Aber dieser Familie Napoleon habe ich es einmal getippt.“
„Und dabei wirst du subjektiv.“
„Das heißt, ich urteile ungerecht?“
„Ja.“
„Sapperment! Das hat mir noch niemand gesagt.“
„Hoffentlich aber ist dies kein Grund, es mir, deinem Vetter, übelzunehmen.“
„Nein. Ich denke, daß du mich kennst. Wir werden doch nicht uneins werden. Dieses Bonaparte wegen erst recht nicht. Er ist es gar nicht wert. Er war doch nichts weiter als ein großer Räuber, ein großer Dieb, ein großer –“
„Ein großer Regent“, fiel ihm der General ein, „und ein noch größerer Feldherr.“
„Was! Willst du etwa eine Ode auf ihn dichten?“
„Beinahe.“
„Das laß nur bleiben! Ich singe sie nicht mit.“
„Ist auch nicht nötig. Wenn du jene außerordentliche Zeit kaltblütig und unparteiisch beurteilst, so wirst du über Napoleon anders denken lernen.“
„Wie denn?“
„Nun, ich nannte diese Zeit als außerordentliche.“
„Ja. Weiter.“
„Also muß man auch einen außergewöhnlichen Maßstab an sie legen, wenn man über sie referieren will.“
„Schön.“
„Und eben weil sie eine außergewöhnliche Zeit war, mußte sie auch ungewöhnliche Erscheinungen hervorbringen.“
„Richtig!“
„Und ungewöhnliche Männer.“
„Auch das gebe ich zu.“
„Zu diesen gehörte Napoleon.“
„Ohne Zweifel.“
„Auch darf er nicht mit dem gewöhnlichen Maßstab gemessen werden, Vetter.“
„Tue ich das etwa? Ich nenne ihn Dieb und Räuber. Sind das gewöhnliche Leute? Lege ich also einen gewöhnlichen Maßstab an ihn?“
„Nein, aber einen sehr ordinären.“
„Donner und Doria! Soll ich die Elle, mit welcher ich ihn messe, etwa vergolden und mit Edelsteinen besetzen lassen?“
„Das ist nicht nötig. Napoleon war ein Kind seiner Zeit.“
„Wie jeder andere Mensch auch, ja.“
„Er war vielleicht, ja ganz gewiß, der legitimste Sohn der Revolution.“
„Ist das eine Ehre für ihn?“
„Wenn es keine Ehre für ihn sein sollte, was ich sehr bezweifle, so ist es doch ein Entschuldigungsgrund. Gibst du etwa nicht zu, daß die Revolution die notwendige Folge der damaligen Zustände war?“
„Was das betrifft, so stimme ich dir bei. Die Luft war verdorben, es lagen Miasmen und Dünste über den Reichen; es mußte ein Sturm kommen.“
„Du erklärst also die Revolution für berechtigt?“
„Für berechtigt nicht, aber für begründet.“
„Das ist eins. Was einen Grund hat, da zu sein, das hat auch das Recht des Daseins.“
„Meinetwegen. Ich bin kein Wortklauber.“
„Und wenn du die Revolution für berechtigt hälst, so erklärst du auch ihren größten, begabtesten Sohn, nämlich Napoleon, für legitim.“
„Du spricht wahrhaftig wie ein Professor!“
„Sage lieber, wie ein Rechtsanwalt! Ich verteidige den Angeklagten.“
„So laß dich nur von seinem Neffen gut bezahlen.“
„Ich verlange kein Honorar; ich tue es aus Gerechtigkeitsgefühl. Bonaparte hat viel, viel gefehlt, aber er hat unendlich mehr Segen gebracht. Der Sturmwind, welchen er anfachte, hat vieles Verfaulte zum Land hinausgejagt.“
„Auf wie lange? Die Fäulnis begann sofort wieder.“
„Daran war er nicht schuld.“
„Das gebe ich allerdings zu, aber ich darf auch nicht zugeben, daß du das Kind mit dem Bade ausschüttest.“