„So entschuldige mich“, lachte der Alte, sich grimmig den weißen Schnurrbart streichend.
„O bitte, bitte! Er war ein Löwe, und du weißt, daß der Löwe ein etwas wildes Tier ist, den man nicht so wie ein zahmes Kaninchen beurteilen darf.“
„Wen meinst du mit Kaninchen?“
„Direkt niemanden.“
„Ich hätte dich auch aus der Tür geworfen.“
„Danke, Vetter! Aber Zahme gab es damals gerade genug.“
„So, so. Und Blücher, Gneisenau, York, Wellington?“
„Das war später. Übrigens war dann Napoleon ein gefallener Löwe. Man hatte ihm die Pranken gefesselt, er wurde von England zu Tode gequält. Einen gefallenen Gegner aber, welcher sein Unglück mit Würde trägt, muß man achten.“
„Hm! Du sprichst nicht übel.“
„Habe ich nicht recht?“
„Mit der letzteren Bemerkung, ja.“
„Ich sage dir, daß ich ihn nicht nur achte, sondern in vielem sogar bewundere.“
„Oho! Bete ihn doch lieber an.“
„Das fällt mir nicht ein. Du hast viele Deutsche, welche ihr Vaterland lieben, den damaligen Druck schwer empfanden und doch mit Begeisterung von ihm sprechen.“
„So! Wer sind denn diese guten Leute?“
„Ich kann dir nicht Hunderte von Namen nennen.“
„Aber bitte, doch wenigstens einige.“
„Es gibt genug Deutsche, welche dem großen Kaiser ihre Feder weihten.“
„Zum Beispiel?“
„Heine.“
„Ah! Der war ein Abtrünniger.“
„Als Dichter nicht. Kennst du seine Grenadiere?“
„Ist mir noch nicht vor die Augen gekommen.“
„Wie ergreifend, wie überwältigend schildert da Heine die Opfertreue und die Inbrunst, mit welcher die Krieger des großen Napoleon an ihrem Feldherrn hingen.“
„Das ist die Pflicht eines jeden Soldaten.“
„Natürlich! Ich weiß das auch. Aber es gibt da doch wohl einen Unterschied. Die Preußen liebten ihren alten Fritz über alle Maßen – – –“
„Das will ich meinen.“
„Aber es war – hm, wie drücke ich mich aus. Es war etwas sehr viel Gemütlichkeit dabei. Die Liebe des französischen Soldaten war blindlings, war bigott. Es gibt kein anderes Wort als dieses letztere, welches den Nagel auf den Kopf trifft.“
„Und das schildert dieser Heinrich Heine?“
„Ja. Er erzählt von zwei französischen Grenadieren, welche todmüde aus den Schneefeldern Rußlands zurückkehren, wo sie gefangen gewesen sind. Sie hörten in Deutschland, daß Frankreich besiegt und der Kaiser gefangen sei. Das schmetterte sie nieder. Der eine sagte:
‚ – – – wie weh wird mir!
Mir brennt meine alte Wunde.‘“
„Was ist das weiter. Es brennt manchem alten Krieger die Wunde, die er erhalten hat.“
„Der Dichter meinte, daß die alte Wunde aufgebrochen sei, so daß der Grenadier sich daran verbluten müsse. Der andere Grenadier antwortete:
‚ – – – das Lied ist aus,
Auch ich möcht' mit dir sterben,
Doch hab' ich Weib und Kind zu Haus,
Die ohne mich verderben.‘“
„Das ist sehr verständig und vernünftig von diesem Mann. Er hat für seine Familie zu sorgen.“
„So aber dachte der andere Veteran nicht. Er antwortete:
‚Was schert mich Weib, was schert mich Kind,
Ich trage weit besseres Verlangen.
Laß sie betteln geh'n, wenn sie hungrig sind!
Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen!‘“
„Dieser Mensch verdient Prügel“, knurrte der alte grimmige Veteran.
„Der Dichter kann ja den Todesmut des Grenadiers nicht packender schildern, als in dieser Weise. Er fährt fort:
‚Gewähr mir, Bruder, eine Bitt!
Wenn ich jetzt sterben werde,
So nimm meine Leiche nach Frankreich mit,
Begrab mich in Frankreichs Erde.
Das Ehrenkreuz am roten Band
Sollst du aufs Herz mir legen,
Die Flinte gib mir in die Hand
Und gürt mir um den Degen!
So will ich liegen und horchen still
Wie eine Schildwach' im Grabe,
Bis einst ich höre Kanonengebrüll
Und wiehernder Rosse Getrabe,
Dann reitet mein Kaiser wohl über mein Grab,
Viel Schwerter klirren und blitzen;
Dann steig' ich gewappnet hervor aus dem Grab,
Den Kaiser, den Kaiser zu schützen!‘“
Nachdem der General geendet hatte, beobachtete Königsau ein momentanes Schweigen und sagte dann:
„Und diese alten Krieger, wer hat sie niedergehauen?“
„Ihr natürlich.“
„Ja, wir. Und ebenso werden wir ihren Nachfolger besiegen!“
„Ich wünsche von ganzem Herzen, daß deine Ansicht die richtige sei.“
„Du glaubst doch nicht etwa das Gegenteil?“
„Nein. Aber kein Mensch ist allwissend. Der Krieg ist auf alle Fälle ein Unglück. Besser wäre es, wenn er unterbleiben könnte.“
„Oho! Ein lustiger Krieg führt zum Sieg. Ich freue mich königlich, daß die Franzmänner mit uns anbinden wollen, und wünsche ihnen von ganzem Herzen gesegnete Prügel.“
„Frankreich ist stärker als du denkst.“
„Pah! Es hat sein Prestige seit Sadowa verloren.“
„Daher schnaubt es auch seitdem Rache für Sadowa. Es hat sich gerüstet, und nun müssen wir eben abwarten, wie die Würfel fallen. Ich mache mit.“
„Bist du toll?“
„Nein. Ich bin im Gegenteil sehr bei Verstand.“
„Du in deinen Jahren.“
„Oho! Noch habe ich Mark in den Knochen.“
„Aber dein Kopf.“
„Sapperment! Erinnert mich nur nicht so oft an diese Schwäche. Es ist ja nur eine Lücke des Gedächtnisses, an der ich leide, weiter nichts.“
„Und dennoch denke ich, daß du dir die Sache vorher doch erst reiflich überlegen wirst.“
„Sie ist überlegt.“
„Sei gescheit, Vetter! Laß das sein.“
„Ich wüßte keinen Grund dazu.“
„Ich wiederhole: Dein Alter!“
„Alle Wetter! Ich bin ja noch nicht einmal achtzig Jahre alt. Wo denkst du hin.“
„Aber neunundsiebzig und dreiviertel.“
„Das ist doch kein Alter, bei welchem man sich auf das Sofa setzt, wenn der Tanz mit den Franzosen losgeht. Es bleibt dabei: Ich mache mit!“
„Als was?“
„Am liebsten als Kombattant; aber leider würde man mich da zurückweisen. Es bleibt mir also nichts übrig, als unter die Krankenpfleger zu gehen.“
„Aber, bedenke die Anstrengung.“
„Ich fürchte sie nicht. Ich gehe mit der Gardereiterei; da bleibe ich in Richards Nähe.“
„Hm! Ob er es billigen wird, daß du dich solchen Gefahren und Anstrengungen aussetzt?“
„Ich werde ihn wohl schwerlich um seine Erlaubnis fragen. Ich hoffe, da drüben, jenseits der Grenze, mit einem zusammenzukommen, mit dem ich noch eine alte, sehr alte Rechnung quitt zu machen habe.“
„Du meinst den Kapitän Richemonte? Es würde wohl besser sein, ihn jüngeren Leuten zu überlassen.“
„Jüngeren? Vetter, ich sage dir: Wenn ich an diesen Menschen denke, so fühle ich mich wie ein zwanzigjähriger Jüngling. Wehe ihm, wenn er das Unglück hätte, zwischen meine beiden Fäuste zu geraten.“
Der alte, ehrwürdige Mann hatte sich von seinem Sitz erhoben. Seine Augen blitzten; seine Fäuste waren geballt. Beim Anblick des greisen Recken hielt es der General allerdings für sehr wahrscheinlich, daß Richemonte im Falle eines Kampfes mit demselben unterliegen müsse.