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Da trat der Diener ein.

„Gnädiger Herr“, meldete er, „es ist jemand da, der Sie zu sprechen wünscht.“

„Heute abend noch, wer ist es?“

„Eine Dame.“

„Hat sie ihren Namen gesagt?“

„Sie will ihn selbst nennen.“

„Das ist eigentümlich. Sie ist eine Unbekannte?“

„Nein.“

„Ah, so kenne ich sie? Also vielleicht eine Überraschung? Kerl, was machst du für ein Gesicht. Du lachst von einem Ohr zum andern, und doch glaube ich, daß deine Augen naß sind. Sapperment! Es wird doch nicht etwa Emma – – –“

„Ja, sie ist's; sie ist's, Großpapa!“

So tönte es vom Eingang her, und Emma warf sich in die Arme des Alten.

Er war wortlos vor Freude. Er drückte sie an sich und strich ihr nur immer mit der Hand über das reiche Haar.

Dann zog sie seinen Kopf zu sich herab, küßte ihn zärtlich auf den Mund und fragte:

„Habe ich dich erschreckt, Großpapa?“

„Ja, aber freudig, sehr freudig“, antwortete er mit zitternder Stimme.

„Mein Gott! Es wird dir doch nichts schaden?“

„Nein. Für eine solche Freude sind meine alten Knochen noch stark genug. Aber laß mich sitzen.“

Sie führte ihn zum Sofa, auf welches er sich niederließ, und dann begrüßte sie auch den Onkel General.

„Du bist erst jetzt angekommen?“ fragte dieser.

„Ja, vor einer Viertelstunde.“

„Aber doch nicht allein?“

„Nein. Ich reiste in Gesellschaft.“

„Mit Madelon?“

„Mit ihr und noch einigen, welche ihr kennenlernen werdet.“

„Gut, daß du da bist. Der Krieg ist erklärt, und dort in und bei Ortry wird es bald gefährlich werden. Wo steckt denn jetzt Richard?“

„Er mußte zurückbleiben; aber wir wurden unterwegs aufgehalten, weil Madelon unwohl wurde, und da, und da – – –“

Sie hielt inne und blickte den Großvater besorgt an.

„Was dann?“ fragte dieser. „Denke, nicht, daß du mir schadest, die Freude tötet nicht. Also weiter, liebe Emma! Und da –?“

„Und da ist es ihm gelungen, uns einzuholen. Er erreichte uns in Hannover.“

„Und fuhr dann mit euch weiter?“

„Ja.“

„So ist er auch hier?“

„Ja, Großpapa.“

„Wo denn?“

„Willst du ihn denn sehen?“

„Natürlich! Spielt nur keine Komödie mit mir.“

Er stand auf und schritt nach der Tür. Da kam ihm Emma zuvor und öffnete sie. Herein trat – Doktor Müller.

Der Großvater hielt seinen Schritt an, als er ihn erblickte und sagte erstaunt:

„Richard! Sapperment. Irre ich mich denn? Ah, ja, du hast dich ja verstellen müssen. Komm her, mein Junge, laß dich umarmen.“

Sie lagen sich Brust an Brust. Dann schob der Alte den Jungen von sich, betrachtete ihn abermals und sagte:

„Bucklig also. Höre, der Buckel geht doch herunter?“

„Sofort“, lachte Richard.

„Und diese schwarze Perücke?“

„Da liegt sie.“

Dabei nahm er sie ab und warf sie zur Erde. Einen Griff unter den Rock, wo er die Schnalle öffnete, und auch der Höcker fiel zu Boden.

„Aber das dunkle Gesicht! Du siehst aus wie ein Kalabrese.“

„Das ist leider Walnußsaft und wird nicht leicht zu entfernen sein. Es bedarf einiger Wochen.“

„Und dein Bart, dein prächtiger Bart. Schade, schade um ihn, mein Junge.“

„Oh, der Bart wird wieder wachsen. Aber, ich muß doch nun auch den Onkel begrüßen.“

Dies geschah, und dann nahmen die vier Leute an dem Tisch Platz. Der Großvater klingelte und befahl dem Diener, Wein zu bringen und das Abendessen zu besorgen. Als der Diener sich entfernen wollte, hielt er ihn mit dem Ruf zurück:

„Halt! Mensch, du machst ja ein Gesicht, wie ich es noch gar nicht bei dir gesehen habe? Du siehst aus wie Weihnachtsabend. Was hast du den?“

„Freude, herzliche Freude, gnädiger Herr.“

„Worüber?“

„Ich habe auch Besuch bekommen.“

„So, so. Welchen?“

„Aus Frankreich.“

„Sapperlot. Wer ist es denn?“

„Der Fritz.“

„Welcher Fritz? Wohl der Wachtmeister?“

„Ja, freilich.“

„Prächtig. Wo steckt er denn?“

„Hier im Vorzimmer.“

„Dann nur immer herein mit ihm.“

Der wackere Fritz trat ein, als Pflanzensammler gekleidet, mit einem Sack auf dem Rücken. Der Großvater lachte und streckte ihm die Hand entgegen:

„Willkommen, Wachtmeister, willkommen. Ist dies Ihre französische Gestalt gewesen?“

„Zu Befehl, Herr Rittmeister.“

„Dann legen Sie schleunigst ab. Sie sollen heute mit uns zu Abend essen.“

„Ja, das hat er verdient, lieber Großvater“, sagte Richard. „Ich habe ihm viel, sehr viel zu verdanken.“

Auch der General streckte dem Wachtmeister die Hand entgegen, und es war ein eigentümlicher, tief aus dem Herzen herausschimmernder Blick, welchen der junge Mann auf Goldberg warf. Dann entfernte er sich und kam nach wenigen Minuten in seiner Ulanenuniform wieder.

„So ist's recht. Diese Bluse darf nicht auf dem Leib eines braven Preußen bleiben. Setzen Sie sich her zu uns. Da stehen Zigarren, und hier ist Wein. Schenken Sie sich ein, Wachtmeister. Bald wird serviert; das wird unseren Reisenden willkommen sein. Und dann, wenn wir gegessen haben, soll das Erzählen beginnen. Ich bin neugierig, eure Erlebnisse zu erfahren.“

Da räusperte sich Richard und sagte:

„Lieber Großvater, es wird besser sein, wenn wir mit unserem Bericht nicht so lange warten.“

„Warum?“

„Ich habe keine Zeit. Ich muß mich melden und Bericht erstatten.“

„So spät noch?“

„Ich würde mich melden, selbst wenn ich mitten in der Nacht eingetroffen wäre.“

„Ist dein Bericht so wichtig?“

„Ungeheuer.“

„Dann gratuliere! Sage uns vor allen Dingen das eine: Hast du gute Erfolge gehabt?“

„Ausgezeichnete.“

„Das genügt. Das andere kann ich ruhig abwarten.“

„Ich wiederhole, daß ich diese Erfolge zum großen Teil dem Wachtmeister zu verdanken habe. Nicht wahr, Fritz?“

Der Gefragte machte eine abwehrende Handbewegung und sagte:

„Oh, es ist nicht so schlimm. Ich habe meine Pflicht getan, weiter nichts. Du urteilst viel zu freundlich über mich.“

„Pah! Du weißt am besten, wie wir stehen.“

„Bitte, laß das sein. Schweigen wir darüber.“

Sowohl der Großvater wie auch der General blickten die beiden erstaunt an. Der erstere fragte:

„Was ist denn das, Richard? Habe ich richtig gehört?“

„Was?“

„Ihr nennt euch du?“

„Ja.“

„Du hast mit dem Wachtmeister Bruderschaft gemacht?“

„Ja, lieber Großvater.“

„Reitet dich denn der Teufel?“

„Hast du etwas dagegen?“

„Gegen den Wachtmeister Fritz Schneeberg habe ich gar nichts; er ist ein braver Mensch und ein tüchtiger Soldat, aber das ist für den Garderittmeister Richard von Königsau denn doch noch kein Grund –“

„Mit ihm Bruderschaft zu trinken, nicht wahr?“

„Ja, das will ich sagen. Der Wachtmeister wird soviel Verstand und Einsicht haben, mir dies nicht übelzunehmen.“

Da antwortete Emma anstatt ihres Bruders:

„Es fällt ihm gar nicht ein, es übelzunehmen, Großpapa. Aber auch ich billige diese Bruderschaft.“

„Was! Auch du? Dann gibt es dabei irgend etwas, was ich nicht weiß. Wie ich euch beide kenne, vergeßt ihr wohl niemals, daß unsere Ahnen mit Gottfried von Bouillon Jerusalem eroberten.“

„Nein, das vergessen wir nicht. Fritz hat uns solche Dienste geleistet, daß wir ihm diese Anerkennung schuldig sind. Wir können auf ihn geradeso stolz sein wie auf unsere Ahnen.“