»Der Rumäne?«
»Verzeihen Sie, verehrter Herr. Sie haben natürlich recht: Wen interessiert der Rumäne? Der Herr General hier marschiert natürlich jederzeit nach Warschau, nach Krakau, er sieht nicht links, er sieht nicht rechts, wozu auch, der Pole ist ja ein leichter Gegner, das Wetter ist schön, die Truppe hervorragend, aber hoppla, was ist denn das? Da hat unsere Armee doch lauter kleine Löcher zwischen den Schulterblättern, und aus diesen Löchern läuft das Blut deutscher Helden, weil ganz plötzlich in Hunderttausenden deutscher Landserrücken Millionen von rumänischen Gewehrkugeln stecken. Ja, wie gibt es denn das? Ja, wie kann das denn sein? Hat denn womöglich unser junger Herr General hier das polnisch-rumänische Militärbündnis vergessen? Waren Sie überhaupt in der Wehrmacht? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie Sie in Uniform aussehen. Sie fänden für keine Armee der Welt den Weg nach Polen, Sie finden nicht mal Ihre eigene Uniform! Ich hingegen kann Ihnen jederzeit sagen, wo meine Uniform ist«, und damit griff ich in meine Brusttasche und schmetterte den Abholschein mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Und zwar in der Reinigung!«
Daraufhin kam aus dem Älteren, aus Sensenbrink, ein seltsames Geräusch, und aus seinen Nasenlöchern schossen zwei scharfe Kaffeestrahlen auf mein geborgtes Hemd, zudem auf das des Zeitungskrämers und auf sein eigenes. Der Jüngere saß verwirrt daneben, während der Ältere zu husten begann.
»Das«, röchelte er gebückt keuchend unter dem Tisch hervor, »das war nicht fair.«
Er griff in seine Hosentasche, holte ein Schnäuztuch heraus und befreite mühsam seine Atemwege. »Ich hab gedacht«, rasselte er, »ich hab erst gedacht, das wird hier so eine Militärnummer, ein bisschen wie dieser Ausbilder Schmidt. Aber mit der Reinigung haben Sie mich gekillt.«
»Hab ich’s Ihnen nicht gesagt«, jubelte der Zeitungskrämer, »ich hab Ihnen gesagt: Der Mann ist genial. Und er ist es!«
Ich wusste nicht genau, wie ich die Kaffeefontäne und die Kommentare einsortieren sollte. Sympathisch war mir keiner dieser Rundfunkmenschen, allein das war ja unter den Weimarer Verhältnissen auch nicht anders gewesen. Diese Funkfrettchen galt es in einem gewissen unvermeidlichen Maße in Kauf zu nehmen. Außerdem hatte ich doch bislang überhaupt nichts gesagt, jedenfalls nichts von dem, was ich zu sagen hatte und zu sagen gedachte. Dennoch war eine beträchtliche Anerkennung spürbar.
»Sie haben’s drauf«, keuchte Sensenbrink, »echt. Eine gute Basis gelegt, und dann zack! – eins obendrauf gesetzt. Wahnsinn. Und das wirkte derart spontan! Aber Sie haben die Nummer natürlich vorbereitet, oder?«
»Welche Nummer?«
»Na, die Polen-Nummer! Oder wollen Sie mir erzählen, dass Sie die aus dem Ärmel geschüttelt haben?«
Sensenbrink schien tatsächlich etwas mehr von der Angelegenheit zu verstehen. Auch einen Blitzkrieg schüttelt man natürlich nicht aus dem Ärmel. Vielleicht hatte er ja sogar seinen Guderian gelesen.
»Selbstverständlich nicht«, pflichtete ich ihm bei, »die Polen-Nummer war seit Juni komplett durchgeplant.«
»Und?«, hakte er nach, während er teils bedauernd, teils belustigt auf sein Hemd starrte. »Haben Sie davon noch mehr?«
»Wie – mehr?«
»Na, ein Programm«, sagte er, »oder andere Texte.«
»Natürlich! Ich habe zwei Bücher geschrieben!«
»Unglaublich«, staunte er. »Sie hätten ruhig schon eher mal kommen können. Wie alt sind Sie denn wirklich?«
»Sechsundfünfzig«, sagte ich sachlich.
»Natürlich«, lachte er, »machen Sie das Make-up eigentlich selber? Oder haben Sie einen Maskenbildner?«
»Normalerweise nicht, nur bei Filmaufnahmen.«
»Nur bei Filmaufnahmen«, lachte er wieder, »sehr gut. Passen Sie auf, ich will Ihnen bei Gelegenheit ein paar Leute in der Firma vorstellen. Wo kann ich Sie erreichen?«
»Hier«, sagte ich fest.
Woraufhin der Zeitungskrämer mir sofort ins Wort fiel und hinzufügte: »Ich hab Ihnen ja gesagt, dass seine persönliche Situation derzeit ein wenig… ungeklärt ist.«
»Ach ja, richtig«, sagte Sensenbrink. »Sie sind gerade etwas, wie soll ich sagen, heimatlos…?«
»Ich bin momentan ohne Wohnung«, gab ich zu, »aber ich bin mit Sicherheit nicht ohne Heimat!«
»Verstehe«, sagte Sensenbrink und wandte sich routiniert an Sawatzki: »Na, das geht ja gar nicht. Organisieren Sie ihm irgendwas. Der Mann muss sich ja vorbereiten. Da kann er noch so gut sein, wenn er so vor der Bellini antanzt, dann schießt die ihn ab, so schnell sehen wir uns gar nicht um. Es muss ja nicht das Adlon sein, nicht wahr?«
»Eine bescheidene Bleibe genügt mir«, sagte ich zustimmend, »der Führerbunker war auch kein Versailles.«
»Gut«, bilanzierte Sensenbrink, »und Sie haben wirklich keinen Manager?«
»Einen was?«
»Nicht so wichtig«, wehrte er ab, »dann wäre das geklärt. Ich will die Angelegenheit eigentlich möglichst schnell zur Entscheidungsreife bringen, wir sollten das diese Woche noch durchziehen. Sagen Sie, Ihre Uniform, die kriegen Sie aber bis dahin wieder?«
»Vielleicht schon heute Abend«, beruhigte ich ihn, »das ist nämlich eine Blitzreinigung.«
Daraufhin bekam er einen Lachkrampf.
vii.
Der erste Morgen in meiner neuen Unterkunft wurde für mich trotz der schon bisher aufwühlenden Vorkommnisse zu einem der anstrengendsten in meinem Leben. Die große Konferenz in der Produktionsfirma hatte sich verzögert, was mir nicht unrecht kam, war ich doch nicht so vermessen zu glauben, ich hätte nicht einen beträchtlichen Nachholbedarf an Kenntnissen zu dieser Gegenwart. Ein Zufall eröffnete mir aber eine neue Quelle für solche Informationen: den Fernsehapparat.
Die Form des Gerätes hatte sich seit den ersten Entwicklungen 1936 derart verändert, dass ich es zunächst schlichtweg nicht erkannt hatte. Ich hatte zuerst angenommen, die flache, dunkle Scheibe in meinem Raum sei wohl eine Art wunderliches Kunstwerk. Dann aber hatte ich vermutet, aufgrund der flachen Form diene sie zur faltenfreien Aufbewahrung meines Hemdes über Nacht, wie überhaupt in dieser modernen Zeit manches aufgrund wohl neuer Erkenntnisse oder einer Leidenschaft für absonderliche Gestaltung gewöhnungsbedürftig war. So hielt man es inzwischen für zumutbar, dem Gast statt eines Badezimmers eine Art aufwendiger Waschzeile ins Zimmer hinein zu installieren, eine Badewanne gab es dabei überhaupt nicht mehr, dafür wurde die Brause als gläserne Kabine mehr oder weniger im Zimmer selbst untergebracht. Noch mehrere Wochen lang erachtete ich dies als ein Zeichen der Bescheidenheit, ja Ärmlichkeit meiner Unterkunft, bis ich lernte, dass in den heutigen Architekturkreisen derlei als einfallsreich und besonders fortschrittlich gilt. So bedurfte es eben auch eines Zufalls, mich auf den Fernsehapparat aufmerksam zu machen.
Ich hatte vergessen, das Schild an meine Zimmertüre zu hängen, daher war eine Reinigungskraft eingetreten, als ich gerade an der Badezeile meinen Schnurrbart pflegte. Während ich mich überrascht umdrehte, entschuldigte sie sich, sagte, sie würde später wiederkehren, und beim Hinausgehen fiel ihr Blick auf den Apparat, über dem mein Hemd hing.
»Ist etwas mit dem Fernseher nicht in Ordnung?«, fragte sie, und bevor ich noch antworten konnte, griff sie zu einem kleinen Kästchen und schaltete den Apparat ein. Er zeigte sofort ein Bild, das sie mehrfach durch Druck auf die Knöpfe des Kästchens veränderte.