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Tatsächlich saß nunmehr vor mir ein Mann, der einen Text verlas, der so etwas wie Nachrichten zu beinhalten schien, allerdings konnte man das schwer mit abschließender Sicherheit sagen. Denn während der Mann an einem Schreibtisch saß und Berichte vortrug, liefen permanent Spruchbänder durch das Bild, manche mit Zahlen, manche mit Texten, so als wäre das, was der Sprecher vortrug, letzten Endes so unwichtig, dass man währenddessen genauso gut die Bänder verfolgen könnte oder umgekehrt. Fest stand, dass man, wenn man allem folgen wollte, unweigerlich einen Hirnschlag erleiden musste. Mit brennenden Augen schaltete ich weiter, jedoch nur um in einem Kanal zu landen, der dasselbe machte, wenn auch mit andersfarbigen Bändern und einem anderen Sprecher. Unter Aufbietung aller meiner Kräfte versuchte ich minutenlang, das Geschehen aufzunehmen. Eine gewisse Wichtigkeit schien schließlich vorzuliegen, hatte doch offenbar die derzeitige deutsche Kanzlerin irgendetwas verkündet oder gesagt oder entschieden, allein, es war unmöglich, das Gesprochene zu verstehen. Ich kauerte mich direkt vor den Apparat, versuchte, verzweifelt fast, mit den Händen das unwürdige Gewimmel der Worte abzudecken, um mich auf den Inhalt des Gesagten zu konzentrieren, doch stets wand sich neuer Unsinn durch nahezu alle denkbaren Stellen des Bildschirms. Uhrzeit, Börsenkurse, der Preis des Dollars, Temperaturen entlegenster Winkel des Erdenrunds, während ungerührt aus dem Munde des Sprechers Aspekte des Weltgeschehens verbreitet wurden. Es war, als bezöge man seine Informationen aus dem Herzen einer Irrenanstalt.

Und als wäre das nicht genug des unsinnigen Narrenspiels, verkündete dazwischen so häufig wie unvermittelt eine Reklame, in welchem Geschäft man die preiswertesten Erholungsreisen erwerben könne, eine Behauptung, die im Übrigen eine Vielzahl von Geschäften in absolut identischer Weise verkündeten. Die Namen der Geschäfte vermochte kein gesunder Mensch im Kopfe zu behalten, sie gehörten jedoch alle zu einer Gruppe namens W.W.W. Ich konnte nur hoffen, dass sich dahinter letzten Endes der moderne Name der KdF verbarg. Andererseits war es völlig unvorstellbar, dass ein so kluger Kopf wie Ley etwas entwickelt hatte, was klang wie ein Pimpf, der kälteschnatternd aus dem Schwimmbecken steigt.

Ich weiß nicht mehr, wie ich in dieser Situation noch die Kraft zu einem eigenen Gedanken aufbringen konnte, allein – es durchzuckte mich eine Eingebung: Dieser organisierte Irrsinn war ein raffinierter Propagandatrick. Das Volk sollte offenkundig selbst angesichts furchtbarster Nachrichten den Mut nicht verlieren, weil die ewig laufenden Bänder beruhigend signalisierten, was der Sprecher gerade verlas, sei nicht so wichtig, als dass man sich nicht genauso gut für die Sportmitteilungen darunter entscheiden konnte. Ich nickte anerkennend. Mit dieser Technik hätte man zu meiner Zeit mancherlei dem Volke beiläufig vermitteln können. Vielleicht nicht unbedingt ein Stalingrad, aber doch, sagen wir, die Landung alliierter Truppen in Sizilien. Und dann würde man umgekehrt bei Erfolgen der eigenen Wehrmacht schlagartig die Textbänder entfernen und in die Stille hinein sagen: Heute haben heldenhafte deutsche Truppen dem Duce die Freiheit zurückgeschenkt!

Das wäre ein Effekt!

Um mich zu erholen, schaltete ich zurück zu ruhigeren Sendern, und aus einer gewissen Neugier heraus zu dem Kanal mit der dicken Frau. Ob sie wohl ihre heruntergekommene Tochter inzwischen in eine Verwahranstalt eingewiesen hatte? Wie mochte wohl der Ehegatte dieser Frau aussehen? War er einer dieser lauwarmen Gesellen, die sich so gerne im Nationalsozialistischen Kraftfahrer-Korps versteckten?

Das Programm erkannte sofort meine Wiederkehr und begann eilfertig, das Geschehen für mich zusammenzufassen. Die 16-jährige Menndi, so erzählte die Reporterstimme von vorhin im Tonfall größter Bedeutung und Dringlichkeit, hatte ihren Ausbildungsplatz verloren, das liebevoll zubereitete Essen ihrer Mutter mochte sie nach der Heimkunft nicht kosten. Die Mutter hingegen sei unglücklich und habe sich an eine Nachbarin um Hilfe gewandt.

»Da sind Sie aber noch nicht recht viel weitergekommen«, beschied ich tadelnd dem Reporter, versprach ihm aber, später noch einmal vorbeizusehen, wenn etwas mehr geschehen sei. Auf dem Weg zurück zum Nachrichtenkanal besuchte ich erneut kurz die Stummfilm-Hommage an Buffalo Bill. Auch dort begrüßte mich ein Sprecher und erzählte mir, was der vorgebliche »Anwalt« im bisherigen Verlaufe der Sendung verrichtet hatte. Offenbar war es an der Ausbildungsstätte einer gewissen Sinndi, die sechzehn Jahre alt war, zu sittlichen Ungehörigkeiten gekommen. Nach dem Übeltäter, einem Ausbildungsleiter, wurde unter unablässigem Absondern des haarsträubendsten Gewäschs gesucht. Ich lachte erneut herzhaft auf, so ein Schmarren war das Machwerk. Um den wahllos zusammenkolportierten Schwank auch nur halbwegs glaubhaft zu machen, hätte es ja wohl eines schmierigen Juden bedurft, und wo hätte der heutzutage denn noch herkommen sollen, nachdem Himmler wenigstens in dieser Beziehung zuverlässig gewesen war?

Ich schaltete zurück zum Nachrichtenchaos und von dort aus weiter. Hier wurden nun Herren beim Billardspiel gezeigt, was zwischenzeitlich als Sport galt. Dies ließ sich, wie ich inzwischen bemerkt hatte, am Namen des Kanals feststellen, der in einer oberen Ecke des Apparates im Bild klebte. Ein weiterer Kanal brachte ebenfalls Sport, dort allerdings verfolgte die Kamera Menschen beim Kartenspiel. Wenn das der heutige Sport war, konnte einem angst und bange werden um die Wehrfähigkeit. Ich dachte für einen Moment, ob aus dem stumpfsinnigen Geschehen, das sich da vor meinen Augen abspielte, eine Leni Riefenstahl mehr hätte zaubern können, aber es gibt selbst für die größten Genies der Geschichte Grenzen ihrer Kunst.

Andererseits hatte sich womöglich auch die Art, Filme zu machen, geändert. Ich kam auf meiner Suche jedenfalls an einigen Kanälen vorbei, die etwas ausstrahlten, was mich oberflächlich an Trickfilme von einst erinnerte. Die heiteren Abenteuer der Mickey Mouse etwa waren mir noch in bester Erinnerung. Doch was sich hier abspielte, war nurmehr geeignet, sofortige Blindheit hervorzurufen. Eine ständige Abfolge wirrster Gesprächsfetzen wurde durch eine noch häufigere Einblendung gewaltiger Explosionen unterbrochen.

Tatsächlich wurden nun die weiteren Kanäle immer merkwürdiger. Es gab welche, die nur Explosionen ohne Trickfilm sendeten, es stieg in mir sogar für eine kurze Zeit der Verdacht auf, es könne sich dabei um etwas wie Musik handeln, bevor ich zu dem Schluss kam, im Grunde sei Ziel des Ganzen nur der Verkauf eines vollkommen entgeistigten Produkts namens Klingelton. Wozu man ein bestimmtes Läuten brauchen sollte, war mir nicht nachvollziehbar. Arbeiteten die Leute denn alle als Requisiteure beim Tonfilm?

Andererseits war der Verkauf durch den Fernsehapparat anscheinend nicht ungewöhnlich. Zwei oder drei weitere Kanäle sendeten ununterbrochen die Vorträge fliegender Händler, wie man sie von jedem Jahrmarkt kennt. Entsprechend leichtfertig wurde auch hier das Geschwätz von geschriebenen Texten in jeder Ecke des Apparates überdeckt. Die Verkäufer selbst verletzten fortwährend jegliche Grundregel seriösen Auftretens, ja sie bemühten sich nicht einmal mehr um ein vertrauenswürdiges Äußeres und trugen selbst in fortgeschrittenem Alter grauenhafte Ohrringe wie die letzten Zigeuner. Die Rollenverteilung folgte dabei erkenntlich den Traditionen übelster Bauernfängerei: Stets war einer dabei, der das Allerblaueste vom Himmel zusammenlog. Der andere hingegen hatte danebenzustehen und den Mund vor Staunen nicht mehr zuzubekommen, hatte »hei« und »Nein!« auszustoßen oder auch »Das ist ja unglaublich!«. Es war insgesamt eine vollendete Schmierenkomödie, und man bekam unablässig große Lust, einmal mit einer 8,8-Flak ordentlich in das versammelte Gesindel hineinzuhalten, dass diesen Erzgaunern ihre Lügen nur so aus den Eingeweiden spritzen mussten.

Letztlich wurzelte mein Zorn allerdings auch darin, dass ich angesichts dieses versammelten Wahnsinns zunehmend irre zu werden befürchtete. Es glich somit fast schon einer Flucht, als ich versuchte, mich zu der dicken Frau zurückzuschalten. Ich blieb jedoch unterwegs bei dem Kanal hängen, auf dem der Winkeladvokat Buffalo Bill sein gräuliches Unwesen getrieben hatte. Inzwischen wurde von dort ein Gerichtsdrama gesendet, dessen Hauptdarstellerin ich zuerst für die Kanzlerin aus den Nachrichten hielt, die sich jedoch nach kurzer Dauer nur als eine jener Kanzlerin sehr ähnelnde Gerichtsmatrone entpuppte. Verhandelt wurde gerade der Fall einer gewissen Senndi, die offenbar wegen diverser Unregelmäßigkeiten an ihrer Ausbildungsstätte angeklagt war.