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Sie sollte Hedda heißen.

Jedenfalls lag dieses Medium politisch vollkommen brach. Wenn man in den Fernsehapparat hineinsah, schien das Einzige, was diese Regierung für das Volk getan hatte, eine Maßnahme zu sein, die sich »Harzvier« nannte und die niemand leiden konnte. Der Name jener Maßnahme wurde prinzipiell in einem beleidigten Tonfalle ausgesprochen, und ich konnte nur hoffen, dass diese Menschen keinen zu großen Teil der Gesellschaft ausmachten, denn ich konnte mir selbst unter Zuhilfenahme größter Phantasiereserven keinen Fahnenappell auf dem Nürnberger Zeppelinfelde mit Hunderttausenden solcher Jammergestalten vorstellen.

Auch konnte ich die Verhandlungen mit der Dame Bellini als Erfolg verbuchen. Ich hatte von vorneherein keinen Zweifel daran gelassen, dass ich neben Geld auch einen Parteiapparat, ein Parteibüro benötigte. Die Bellini wirkte zunächst ein wenig überrascht, hatte mir dann aber sofort rückhaltlose Unterstützung zugesichert, ein Büro sowie eine Schreibkraft. Es gab eine beträchtliche Spesenpauschale für Kleidung und Propagandareisen, für Forschungsmaterialien, die mich auf den aktuellen Wissensstand bringen sollten und mancherlei mehr. Finanzielle Mittel schienen kein Problem zu sein, eher die Einsicht in die repräsentativen Notwendigkeiten eines Parteiführers. So wurden zwar mehrere »historisch originalgetreue« Anzüge bei einem exklusiven Maßschneider ebenso zugesagt wie auch mein geliebter Hut, den ich auf dem Obersalzberg und in den Bergen so gerne getragen hatte. Ein offener Mercedes-Wagen mit Chauffeur hingegen wurde mir glattweg abgeschlagen mit der Begründung, das wirke doch reichlich unseriös. Ich gab zögernd nach, aber nur um den Schein zu wahren – hatte ich doch bereits wesentlich mehr erreicht, als ich hoffen durfte. Insofern war, gerade in der Rückschau besehen, dies sicherlich der gefährlichste Moment meiner neuen Laufbahn, und jemand anderes hätte sich hier womöglich schon im Lehnstuhle zurückgelehnt und wäre solcherart auf ganzer Linie gescheitert, allein ich unterwarf, vielleicht auch dem reifen Alter geschuldet, permanent die Entwicklungen der unbarmherzigsten, kältesten Analyse.

So war etwa die Zahl meiner Anhänger gering wie niemals zuvor. Und ich kann weiß Gott aus meiner Vergangenheit auf geringe Anhängerzahlen verweisen, ich erinnere mich durchaus, damals 1919, bei meinem ersten Besuch der damals noch Deutschen Arbeiterpartei, auf etwa sieben Leute gestoßen zu sein. Heute jedoch konnte ich nur auf mich selbst zählen, in Grenzen vielleicht auch noch auf die Dame Bellini oder jenen Kioskbesitzer, es durfte aber bezweifelt werden, ob beide schon reif waren für einen Parteiausweis, ganz zu schweigen von ihrer Bereitschaft, Mitgliedsbeiträge zu zahlen oder auch einmal mit dem Stuhlbein in der Hand den Saalschutz zu übernehmen. Insbesondere der Kioskbesitzer schien mir im Grunde sogar liberal oder auch linksorientiert, wenn auch mit einem ehrlichen deutschen Herz versehen. Insofern widmete ich mich auch weiterhin diszipliniert meinem eisernen Tagesplan. Ich stand gegen elf Uhr vormittags auf, ließ mir vom Hotelpersonal ein oder zwei Stücke Kuchen kommen und arbeitete unermüdlich bis tief in die Nacht.

Das heißt, ich wäre um elf Uhr aufgestanden, wenn nicht schon im Morgengrauen etwa gegen neun Uhr das Telefon geläutet hätte und eine Dame mit unaussprechlichem slawischstämmigem Namen am Apparat gewesen wäre. Jodl hätte derlei nie durchgestellt, aber Jodl war leider offenbar Teil der deutschen Geschichte. Ich suchte noch schlafvernebelt nach dem Hörer des Apparates.

»Hrmf?«

»Guten Tag, hier ist Krwtsczyk«, jubelte eine Stimme von unbarmherziger Fröhlichkeit. »Von der Flashlight!«

Am meisten ärgert mich an diesen Morgenmenschen diese entsetzliche gute Laune, als wären sie bereits drei Stunden wach und hätten da schon Frankreich überrannt. Zumal die weitaus meisten trotz ihrer widerlichen Frühaufsteherei alles andere vollbracht haben als Großtaten. Gerade in Berlin sind mir sogar immer wieder Menschen begegnet, die gar kein Geheimnis daraus machten, dass sie nur deshalb in aller Herrgottsfrühe aufgestanden waren, um noch früher das Büro wieder verlassen zu können. Ich habe mehreren dieser Achtstundenlogiker schon empfohlen, sie sollten gleich abends gegen zehn Uhr das Arbeiten beginnen, dann könnten sie sogar schon morgens um sechs wieder nach Hause und kämen dort vielleicht noch vor dem Aufstehen an. Manche haben das gar für einen ernsthaften Vorschlag gehalten. Ich für meinen Teil bin jedenfalls der Ansicht, dass morgens früh nur die Bäcker zu arbeiten haben.

Und die Gestapo natürlich, das versteht sich von selbst. Um bolschewistisches Gesindel aus den Federn zu reißen, jedenfalls, wenn es sich nicht um bolschewistische Bäcker handelt. Die sind dann natürlich schon wach, da muss dann auch die Gestapo ihrerseits noch früher aufstehen und so weiter und so fort.

»Sie wünschen?«, fragte ich.

»Ich rufe aus der Vertragsabteilung an«, freute sich die Stimme. »Ich mache grade die Unterlagen fertig, und da hätte ich noch einige Fragen. Ich weiß jetzt nicht, sollen wir das am Telefon…? Oder möchten Sie lieber reinkommen?«

»Was für Fragen?«

»Na ja, ganz allgemeine Fragen. Sozialversicherung, Bankverbindung, solche Sachen. Ich meine, zum Beispiel als Erstes, auf welchen Namen ich die Papiere ausstellen soll.«

»Welchen Namen?«

»Ich meine, ich weiß doch gar nicht, wie Sie heißen.«

»Hitler«, ächzte ich, »Adolf.«

»Ja«, lachte sie wieder mit ihrer grauenerregenden Morgenbegeisterung, »nein, ich meinte Ihren richtigen Namen!«

»Hitler! Adolf!«, sagte ich jetzt schon etwas ungehalten.

Eine kurze Weile war Stille.

»Wirklich?«

»Ja, natürlich!«

»Na, das ist ja… also – das ist ja dann ein Zufall…«

»Wieso Zufall?«

»Na ja, also, dass Sie so heißen…«

»Zum Donnerwetter, Sie heißen doch auch irgendwie! Und ich sitze hier auch nicht und reiße die Augen auf und sage ›Oooh, was für ein Zufall!‹«

»Schon – aber Sie sehen ja auch so aus. Also, so wie Sie heißen.«

»Ja und? Sie sehen wohl ganz anders aus, als Sie heißen?«

»Nein, aber…«

»Na also! Machen Sie in Gottes Namen diese verdammten Papiere fertig.« Damit knallte ich den Hörer auf den Apparat.

Es dauerte sieben Minuten, bis das Telefon wieder läutete.

»Was ist denn noch?«

»Ja, hier ist noch mal Frau«, und dann folgte wieder dieser seltsam östliche Name, der so klang, wie wenn man einen Wehrmachtsbericht zerknüllt. »Ich… ich fürchte, das geht so nicht…«

»Was geht so nicht?«

»Sehen Sie, ich will ja nicht unfreundlich sein, aber… das geht doch bei der Rechtsabteilung niemals durch, ich kann doch – also, wenn die den Vertrag sehen und da steht drin ›Adolf Hitler‹…«

»Ja, was wollen Sie denn sonst reinschreiben?«

»Also, entschuldigen Sie, wenn ich das jetzt noch mal frage, aber: Heißen Sie wirklich so?«

»Nein«, sagte ich gequält, »ich heiße natürlich nicht wirklich so. Wirklich heiße ich Schmul Rosenzweig.«

»Wusste ich’s doch«, sagte sie hörbar erleichtert, »wie schreibt man das – Schmul? Mit ›h‹?«

»Das war ein Scherz!«, schrie ich in den Hörer.

»Ach so. Oje! Schade.«

Ich hörte, wie sie etwas mehrfach durchstrich. Dann sagte sie: »Ich – bitte, ich fürchte, es ist besser, wenn Sie vielleicht doch kurz vorbeischauen? Ich brauche irgendetwas wie einen Pass von Ihnen. Und Ihre Bankverbindung.«

»Fragen Sie Bormann«, sagte ich recht abrupt ins Telefon und legte auf. Dann setzte ich mich hin. Das war in der Tat ärgerlich. Und schwierig. Bedauernd, ja beinahe betrübt schweiften meine Gedanken zurück zum getreuen Bormann. Bormann, der mir stets die abendlichen Spielfilme bestellte, sodass ich nach einem Tage angestrengter Kriegsführung auch ein wenig entspannen konnte. Bormann, der die Sache mit den Anwohnern am Obersalzberg so reibungslos geregelt hatte. Bormann, der sich praktischerweise auch um meine Einnahmen aus dem Buchverkauf gekümmert hatte, Bormann, der Treueste der Treuen. Bei ihm hatte ich vieles, ja das weitaus meiste in den besten Händen gewusst. Bormann, das konnte man als Gewissheit betrachten, hätte auch derlei Verträge reibungslos erledigt. »Letzte Mahnung, Frau Knistergeräusch. Sie erstellen jetzt diese Vertragsunterlagen freiwillig, oder Sie und Ihre gesamte Familie finden sich in Dachau wieder. Und Sie wissen ja, wie viele Leute da zurückkommen.« Das wurde schon damals unterschätzt, dieses Einfühlungsvermögen Bormanns, wie der Mann mit Menschen umgehen konnte. Der hätte mir ruckzuck eine Wohnung besorgt, untadelige persönliche Unterlagen, Bankkonten, alles. Oder, bei genauerer Betrachtung war wohl eher die Vermutung angebracht, er hätte dafür gesorgt, dass niemand ein zweites Mal nach solcherlei bürokratischem Firlefanz fragt. Aber gut, es musste jetzt ohne ihn gehen. Und irgendwie musste die Sache doch auch von der Aktenlage her unter Dach und Fach gebracht werden. Wie ich das in dreißig Jahren handhaben würde, blieb dahingestellt, aber vorerst musste ich wohl oder übel den derzeitigen Gepflogenheiten folgen. Ich kam ins Grübeln.