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Aber genau so muss es sein!

Das geht nicht an, dass man da für Millionen und Abermillionen eine Reichskanzlei hinstellt, und dann kommt jemand hinein und denkt sich: »Ach, die hätte ich mir aber größer vorgestellt.« Dass der überhaupt denkt, das darf nicht sein, das muss körperlich sofort spürbar sein: Er – nichts, das deutsche Volk – alles! Ein Herrenvolk! Davon muss eine Aura ausgehen, wie vom Papst, aber natürlich wie von einem Papst, der beim geringsten Widerwort mit Flamme und Schwert dreinschlägt wie der Herrgott selbst. Da müssen dann diese gewaltigen Flügeltüren aufgehen, und heraus tritt der Führer des Deutschen Reiches, und die ausländischen Gäste, die müssen sich fühlen wie Odysseus vor Polyphem, aber dieser Polyphem hat zwei Augen! Dem macht man nichts vor!

Und eine Tür hat er auch, nicht einen Felsblock.

Und Rolltreppen, man kam sich beinahe vor wie im Kaufhof in Köln. Ich habe mir das da gleich nach der Arisierung mal angesehen, das musste man diesem Tietz lassen: Warenhäuser einrichten, das können die Juden. Aber das ist eben auch wieder der Unterschied: Dort sollte der Kunde glauben, dass er König sei, doch wenn er in die Reichskanzlei kam, wusste der Kunde – hier hat er sich einer größeren Sache zu beugen, im Geiste jedenfalls. Ich habe es nie befürwortet, dass da sämtliche Besucher umherkriechen, womöglich auch noch auf dem Boden.

Der Boden des mir zur Verfügung gestellten Büros bestand aus einem dunkelgrauen Stoffkonglomerat, keine Teppiche, eine Art Fußbodenbespannung, erstellt aus einem verfilzten, schäbigen Stoff, keine Winteruniform hätte man dem deutschen Landser daraus zumuten mögen. Ich hatte derlei hier schon mehrfach gesehen, es war wohl so üblich, insofern brauchte ich darin wenigstens keine Herabsetzung meiner Person zu vermuten. Es war offenbar ein Bestandteil jener armseligen Zeit, in der Zukunft, das schwor ich mir, würde es andere Böden geben für den deutschen Arbeiter, die deutsche Familie.

Und andere Wände.

Die Wände hier waren papierdünn, wahrscheinlich geschuldet einem Rohstoffmangel. Ich hatte einen Schreibtisch, offensichtlich aus zweiter Hand, und musste den Raum mit einem zweiten Schreibtisch teilen, der wohl für die zugesagte Schreibkraft vorgesehen war. Ich seufzte tief und blickte aus dem Fenster. Das Fenster ging auf einen Parkplatz mit vielfarbigen Aschentonnen, die ihre Ursache darin hatten, dass man den Müll sorgsam trennte, wohl ebenfalls aus Gründen des Rohstoffmangels. Ich mochte mir nicht überlegen, aus dem Inhalt welcher dieser Tonnen letzten Endes der armselige Bodenbelag gefertigt war. Dann lachte ich lautlos auf angesichts der bitteren Ironie des Schicksals. Wenn dieses Volk sich damals im rechten Augenblicke nur etwas mehr Mühe gegeben hätte, so hätte sich heute angesichts der Rohstoffe des gesamten Ostens derartige Sammeltätigkeit erübrigt. Abfälle aller Art hätte man achtlos in nur zwei Tonnen werfen können oder sogar in nur eine einzige. Ich schüttelte den Kopf, verständnislos.

Vereinzelt trieben sich Ratten dort in dem Hofe herum, abwechselnd mit Gruppen von Rauchern. Ratten, Raucher, Ratten, Raucher, so ging das in einem fort. Ich blickte wieder auf meinen bescheidenen, ja armseligen Schreibtisch und die billige, relativ weiße Wand dahinter. Da konnte man draufhängen, was man wollte, selbst einen bronzenen Reichsadler, es wurde nicht besser. Man konnte schon froh sein, wenn die Wand nicht unter der Last zusammenfiel. 400 Quadratmeter Büro hatte ich einst, jetzt saß der Führer des Großdeutschen Reiches in einer Schuhschachtel. Was war nur aus der Welt geworden?

Und was aus meiner Schreibkraft?

Ich sah auf die Uhr. Es war kurz nach halb eins.

Ich öffnete die Tür und sah hinaus. Es war niemand zu sehen bis auf eine Dame mittleren Alters in einem Kostüm. Sie lachte, als sie meiner ansichtig wurde.

»Ach, Sie sind das! Proben Sie schon? Wir sind ja alle so gespannt!«

»Wo ist meine Sekretärin!«

Sie blieb kurz stehen, um nachzudenken. Dann sagte sie: »Das ist eine 400-Euro-Kraft, oder? Dann kommt die vermutlich nur nachmittags. Etwa gegen zwei.«

»Ach was«, sagte ich verdutzt, »und was mache ich bis dahin?«

»Ich weiß nicht«, sagte sie und wandte sich lachend zum Weitergehen, »vielleicht einen kleinen Blitzkrieg?«

»Das werde ich mir merken!«, sagte ich recht frostig.

»Wirklich?« Sie blieb stehen und drehte sich noch einmal kurz um. »Das ist ja super. Ich freue mich, wenn Sie’s für Ihr Programm brauchen können! Wir sind ja hier alle in einer Firma!«

Ich ging wieder in mein Büro und schloss die Tür. Auf beiden Schreibtischen stand eine Schreibmaschine ohne Walze vor einem vermutlich irrtümlich dort angebrachten Fernsehapparat. Ich beschloss, meine Fortbildung im Rundfunkwesen fortzusetzen, fand aber keinen kleinen Bedienungskasten. Es war unerfreulich. Ich griff zornig zum Telefon – dann ließ ich den Hörer wieder auf die Gabel sinken. Ich wusste ja gar nicht, mit wem mich die Zentrale hätte verbinden sollen. In diesem Umfelde brachte mir die ganze moderne technische Infrastruktur überhaupt nichts. Ich seufzte, und an mein Herz pochte ein Moment des bangen Verzagens. Jedoch nur kurz: Ich schob die Anfechtungen der Schwäche entschlossen zur Seite. Ein Politiker macht aus dem Vorhandenen das Beste. Beziehungsweise aus dem nicht Vorhandenen, wie in diesem Fall. Nun, dann konnte ich ja genauso gut einmal hinausgehen und zwischenzeitlich das neue deutsche Volk betrachten.

Ich trat vor die Türe und sah mich um. Gegenüber war eine kleine Grünanlage, deren Laubbäume schon intensivste Herbstfarben trugen. Links und rechts schlossen sich andere Häuser an. Mein Blick streifte eine verrückte Frau, die am Rande jener Grünanlage einen Hund an der Leine führte und im Begriffe war, dessen Hinterlassenschaft aufzuklauben. Ich überlegte kurz, ob sie wohl schon sterilisiert war, kam aber zu dem Schlusse, dass sie in jedem Falle für Deutschland wenig repräsentativ sein konnte, also wählte ich eine andere Richtung und begab mich aufs Geratewohl nach links.

Ein Zigarettenautomat hing an der Wand, an dem sich vermutlich die Raucher versorgten, die den Parkplatz mit den Ratten teilten. Ich passierte ihn und etliche Passanten. Meine Uniform wurde offenbar nicht als störend empfunden, das mochte daher rühren, weil derlei hier nicht unüblich zu sein schien. Mir begegneten zwei Männer in mäßig imitierten Wehrmachtsuniformen, eine Krankenschwester und zwei Ärzte. Diese Häufung kostümierter Figuren kam mir entgegen: Ich schätze die Aufmerksamkeit nicht mehr so sehr, seit ich damals, nach meiner Haftentlassung, von Anhängern regelrecht verfolgt wurde. Man musste sie im wahrsten Sinne des Wortes mit kleinen Manövern überlisten, damit man einmal von Fotografen ungestört eine kleine Rast einlegen konnte. Doch so, in dieser speziellen Umgebung, war ich gewissermaßen als ich selbst und doch inkognito unterwegs, ideal für das Studium der Bevölkerung. Denn viele Menschen benehmen sich in Gegenwart des Führers nicht mehr ganz natürlich. Ich sage dann immer: »Machen Sie sich keine Umstände!«, aber gerade die kleinen Leute scheren sich darum natürlich nicht. In meiner Münchner Zeit, da waren die kleinen Leute geradezu wie verrückt an mir gehangen. Das konnte ich hier nicht brauchen. Ich wollte den echten, den unverfälschten Deutschen sehen, den Berliner.