»Datselbe gilt für AHitler und A Punkt Hitler«, meldete sie tippend. »Nur Hitler und nur Adolf ooch.«
»Dann muss man es eben zurückholen«, sagte ich trotzig.
»Da kann man nichts zurückholen«, antwortete sie gereizt.
»Bormann hätte es gekonnt! Sonst hätten wir ja nie die ganzen Häuser auf dem Obersalzberg gekriegt. Glauben Sie denn, der war vorher völlig unbewohnt? Da wohnten natürlich schon Leute, aber Bormann hatte da eben seine Methoden…«
»Wünschen Se lieber, det sich der Herr Bormann um Ihre E-Mail-Adresse kümmert?«, fragte Fräulein Krömeier besorgt und auch leicht gekränkt.
»Bormann ist momentan leider unauffindbar«, gab ich zu, und, um die Truppe nicht zu entmutigen, fügte ich an: »Ich bin sicher, Sie geben Ihr Bestes.«
»Dann mach ick mal einstweilen weiter, wenn det für Sie in Ordnung is«, sagte sie, »wann ham Se denn Jeburtstach?«
»20. April 1889.«
»Hitler89 ist ooch weg, Hitler 204 – nee, mit Ihrem Namen kommen wa nich weita.«
»Frechheit!«, sagte ich.
»Und wenn Se sich ’n anderen Namen wählen? Ick heeß ja ooch nich Vulcania17.«
»Aber das ist doch ungeheuerlich! Ich bin doch nicht irgendein Hanswurst!«
»Det is nu ma so im Intanet. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Se können ja ooch wat Symbolischet wählen!«
»Ein Pseudonym?«
»So wat.«
»Dann… nehmen Sie Wolf«, sagte ich widerwillig.
»Nur Wolf? Det jibt’s sicher schon. Det is zu eenfach.«
»Dann in Gottes Namen eben Wolfs… schanze!«
Sie tippte.
»Is schon wech. Wolfsschanze 6 können Se haben.«
»Ich bin doch nicht Wolfsschanze6!«
»Warten Se mal, wat jibt’s denn da noch – wie hieß det Ding: Obasalzbach?«
»Berg! Obersalzberg!«
Sie tippte. Dann sagte sie: »Oje. Obersalzberg 6 möchten Se wahrscheinlich ooch nich, oder?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: »Ick probier’s mal mit Reichskanzlei. Det is doch wat für Sie. Und… Reichskanzlei 1 können Se haben.«
»Nicht Reichskanzlei«, sagte ich, »probieren Sie ›Neue Reichskanzlei‹. Die habe ich wenigstens gemocht.«
Sie tippte wieder. »Treffer«, sagte sie. »Det jeht.« Dann blickte sie zu mir.
Ich scheine in jenem kurzen Augenblicke etwas entmutigt gewirkt zu haben, jedenfalls fühlte sie sich bemüßigt, mit einem tröstlichen, nachgerade mütterlichen Tonfalle zu sagen: »Schauen Se doch nich so! Sie bekommen Ihre E-Mail in die Neue Reichskanzlei. Det klingt doch richtich jut!« Sie hielt inne, schüttelte den Kopf und fügte dann hinzu: »Wenn ick det kurz sagen darf, also – Se machen det richtich fantastisch! Unglaublich überzeujend! Ick muss echt oofpassen, det ick nich’ denke, Sie hätten da wirklich mal jewohnt…«
Für einen Moment sagte niemand von uns etwas, während sie weitere Dinge in den Computer eingab.
»Wer beaufsichtigt das alles eigentlich?«, fragte ich dann. »Es gibt doch kein Reichspropagandaministerium mehr.«
»Niemand«, sagte sie. Dann hakte sie vorsichtig nach: »Aber – det wissen Se doch, oder? Det jehört dazu, nich wahr? Ick mein – det ick Ihnen det allet erklären muss, als hätt Se irgendwer erst jestern uffjetaut?«
»Ich bin Ihnen hier keinerlei Rechenschaft schuldig«, sagte ich etwas harscher, als ich es vorgehabt hatte, »beantworten Sie meine Frage!«
»Nee«, sagte sie seufzend, »det läuft allet ziemlich unjeregelt, meen Führa. Wir sind ja nicht in China. Da hamse ’ne Zensur!«
»Gut zu wissen«, sagte ich.
xiii.
Ich war froh, dass ich nicht mitbekommen hatte, wie nach dem Kriege die Siegermächte das Reich geteilt hatten. Wenn ich dabei gewesen wäre, der Anblick hätte mir schlicht das Herz zerrissen. Andererseits muss man auch sagen: Angesichts des Zustands, in dem sich das Land damals befand, machte das den Kohl auch nicht mehr fett. Zumal Kohl, wie ich den – allerdings fraglos propagandistisch gefärbten – Unterlagen entnehmen konnte, nur in geringem Maße vorhanden war. Der Winter 1946 soll insgesamt unerfreulich gewesen sein. Ich kann bei genauerer Betrachtung daran nichts Schlechtes finden: Gemäß dem alten spartanischen Erziehungsideal bringt unerbittliche Härte noch immer die stärksten Kinder und Völker hervor, und ein Hungerwinter, der sich erbarmungslos in das Gedächtnis einer Nation brennt, wird umso nachhaltiger dafür sorgen, dass sie es sich künftig überlegen wird, bevor sie einen weiteren Weltkrieg verliert.
Wenn ich den demokratischen Geschichtsschreibern glauben darf, wurde nach meinem Ausscheiden aus der aktiven Politik Ende April 1945 gerade mal eine jämmerliche Woche weitergekämpft. Das ist indiskutabel. Der Widerstand der Werwölfe wurde von Dönitz abgeblasen, und Bormanns teuer angeschaffte Bunkeranlagen wurden überhaupt nicht richtig genutzt. Gut, dass der Russe seine Völkerfluten über Berlin ergießen würde, egal wie viele Menschenleben es kostet, damit hatte man noch immer rechnen müssen. Aber ich muss zugeben, ich hatte schon mit einer gewissen Vorfreude in den Unterlagen nachgeforscht, welch blaue Wunder auf diese überheblichen Amerikaner gewartet hatten – nun musste ich zu meiner tiefsten Enttäuschung feststellen: kein einziges.
Ein Trauerspiel.
Es bewahrheitete sich wieder das, was ich schon 1924 niedergeschrieben hatte – dass am Ende eines Krieges die wertvollsten Elemente des Volkes selbstlos an der Front gefallen sind und nur noch der mittelmäßige bis minderwertige Ausschuss übrig bleibt, der sich dann natürlich zu schade oder widersinnigerweise sogar zu fein ist, dem Amerikaner aus dem Untergrunde heraus ein anständiges Blutbad zu bereiten.
Und ich gebe auch zu: An dieser Stelle meiner Überlegungen machte ich mir einen Vermerk. Es ist schon interessant, wie man die Dinge mit einem gewissen Abstand auf völlig neue Weise zu betrachten vermag. Nachdem ich selbst auf diesen Umstand des frühen Todes der besten Volkselemente hingewiesen hatte, war es doch erstaunlich, wie ich hatte davon ausgehen können, dass es in diesem Kriege anders hätte sein sollen. Ich notierte mir also gewissenhaft: »Nächster Krieg: Minderwertige zuerst!« Dann, als mir durch den Kopf ging, dass eine Anfangsoffensive der Minderwertigen möglicherweise nicht den gewünschten Erfolg bringen würde, korrigierte ich den Eintrag auf »Mittelmäßige zuerst«, dann auf »Die Besten zuerst, hernach aber rechtzeitig gegen Mittelmäßige und ggf. Minderwertige austauschen«, um dann aber wieder »Auch ausreichend Gute bis sehr Gute beimischen« dazuzuschreiben. Letzten Endes strich ich alles wieder durch, notierte »Gute, Mittelmäßige und Minderwertige besser einteilen!« und vertagte die Lösung des Problems. Entgegen kleingeistiger Vermutungen muss der Führer nicht immer sofort die richtige Antwort kennen – er muss sie nur im richtigen Moment parat haben, in diesem Falle, sagen wir, passend zum nächsten Kriegsausbruch.
Der weitere Verlauf der Dinge nach der jämmerlichen Kapitulation des unfähigen Dönitz überraschte nur bedingt. Tatsächlich hatten sich die Alliierten über der Beute so zerstritten, wie ich es vorhergesehen hatte – allerdings hatten sie bedauerlicherweise darüber die Aufteilung derselben nicht vergessen. Der Russe behielt seinen Teil Polens und schenkte dem Polen dafür großzügig Schlesien, Österreich machte sich unter der Führung einiger Sozialdemokraten in die Neutralität davon. Im restlichen Deutschland wurden unter Vorspiegelung wahlartiger Vorgänge mehr oder minder mäßig getarnte Marionettenregime installiert, unter der Führung von Figuren wie den ehemaligen Zuchthäuslern Adenauer und Honecker, dem fetten Wirtschaftswahrsager Erhard oder – auch nicht sehr überraschend – Kiesinger, einem jener Hunderttausende lauwarmer Gesellen, die 1933 rasch noch in die Partei eingetreten waren. Ich möchte sagen, es erfüllte mich mit einer gewissen Genugtuung zu lesen, dass diesem Fähnlein im Gesinnungswinde gerade jener Parteibeitritt in letzter Sekunde zum Verhängnis wurde.