Ich wende mich an Sie
Um
in dieser Stunde des Triumphes
zweierlei zu verdeutlichen:
Dieser Triumph ist fraglos erfreulich,
er ist verdient,
lange verdient. Wir haben größere Produktionen
aus dem Felde geschlagen,
teurere,
auch internationale!
Aber dieser Sieg,
er kann dennoch lediglich eine Etappe sein
auf dem Wege
zum Endsieg.
Wir verdanken den Sieg vor allem Ihrer überzeugten Arbeit!
Ihrer bedingungslosen, fanatischen Unterstützung.
Doch wir wollen
in dieser Stunde auch der Opfer gedenken,
die ihr Blut für unsere Sache gaben…«
»Pardon«, sagte Kärrner plötzlich, »aber davon weiß ich ja gar nichts.«
Mir fiel erst hier auf, dass ich offenbar geistesabwesend ein wenig zu sehr in den Standardablauf der ersten Reden nach den Blitzkriegserfolgen gerutscht war. Möglicherweise wirkte das nun etwas unangemessen. Ich überlegte, ob ich unter Umständen eine Entschuldigung oder etwas dergleichen vorbringen sollte, wurde jedoch durch eine Stimme daran gehindert.
»Dass Sie in solch einem Moment auch daran noch denken«, meinte eine mir unbekannte Mitarbeiterin mit einem unendlich bewegten Gesichtsausdruck, »die Frau Klement aus der Lohnbuchhaltung ist ja erst letzte Woche…! Das ist so –« und dann schniefte sie gerührt in ein Taschentuch.
»Die Frau Klement – natürlich! Wie konnte ich das vergessen«, sagte sofort Kärrner mit leicht verfärbtem Kopfe. »Verzeihung, fahren Sie bitte fort. Das ist mir sehr unangenehm.«
Ich dankte Kärrner mit einem Nicken und suchte den Faden wieder aufzunehmen.
»Ich selbst bin ergriffen von dem Bewusstsein
der mir von der Vorsehung erteilten Bestimmung,
der Firma Flashlight Freiheit und Ehre
wiedergegeben zu haben.
Die Schande, die vor 22 Jahren im Wald von Compiègne ihren Ausgang nahm,
wurde an gleicher Stelle –
Verzeihung, wurde in Berlin wieder gelöscht.
Ich will nun schließen mit der Erwähnung
jener Namenslosen, die nicht weniger ihre Pflicht erfüllten,
die millionenfach Leib und Leben einsetzten,
und zu jeder Stunde bereit waren,
als brave deutsche Offiziere und Soldaten«
– hier musste ich aufgrund einiger irritierter Blicke leichte Korrekturen einfügen –
»und auch als brave deutsche Regisseure und Kameraleute und Kameraassistenten,
als Beleuchter und Mitarbeiter der Maske
für ihre Firma das letzte Opfer zu bringen, das ein…
ein Regisseur und Beleuchter zu geben hat.
Viele von ihnen liegen nun gebettet an den Seiten der Gräber,
in denen schon ihre Väter aus dem großen –
aus viel größeren Fernsehproduktionen ruhen.
Sie sind Zeugen stillen Heldentums all jener«
– und hier wurde es nun etwas schwierig –
»die wie Frau Klement aus der Buchhaltung
eingetreten sind für die Freiheit und Zukunft
und ewige Größe des großdeutschen –
der großen deutschen Firma Flashlight! Sieg –«
Und tatsächlich scholl es mir entgegen wie weiland im Reichstage: »– Heil!«
»Sieg –«
»Heil!!«
»Sieg –«
»Heil!!!«
xxix.
Ich hatte mich früh auf den Weg gemacht. Ich hatte mir vorgenommen, diesen Tag zu genießen. Denn es ist etwas Großes, etwas Besonderes, wenn man nach einem überwältigenden Triumphe einen stillen Ort betritt. Ein Büro, noch bevor die Betriebsamkeit des Alltags ihren Anfang nimmt, ein vom berauschten Publikum geleertes Stadion, durch das noch der Wind des Siegers weht, oder auch, sagen wir, das eroberte Paris um fünf Uhr morgens.
Ich ging zu Fuß, ich wollte die Stadt für mich. Die Sonne erhellte bereits den klaren Frühlingsmorgen, die Luft war von angenehmer Kühle und auch noch sauberer als etwa zur Mittagszeit. In den Grünanlagen führten vernachlässigt gekleidete Berliner ihre Hunde das erste Mal an diesem Tage vor die Türe, die mir allmählich vertrauten verwirrten Frauen sammelten den üblichen Kot in ihre Tüten. Eine geistesabwesende, wohl durchaus unausgeschlafene Raucherin führte gar zu meiner stillen Erheiterung die Tüte an den Mund, um hernach die Hand mit der Zigarette zu den Hinterlassenschaften ihres wahrlich winzigen Hundes zu beugen. Sie schüttelte den Kopf, rieb sich die Augen und korrigierte den Irrtum.
Die Vögel stimmten ihren Morgengesang an, mir fiel wieder einmal auf, um wie vieles stiller eine Stadt doch ist ohne das Feuer der Flugabwehrkanonen. Überhaupt herrschte eine außerordentlich friedliche Stimmung, die Temperatur war jetzt schon sehr angenehm. Ich machte eigens einen kleinen Umweg, um am Kiosk des Zeitungskrämers vorbeizusehen, doch selbst dort herrschte noch die tiefste Stille. Ich atmete tief ein und schritt tüchtig aus, bis ich am Firmengebäude eintraf. Ich öffnete die Eingangstüre, ich stellte zufrieden fest, dass noch nicht einmal ein Portier in seiner Loge saß. Er hatte am Vorabend ein Schutzfutteral über den Telefonapparat gezogen, wie schon mehrfach konnte ich nicht umhin, darin ein weiteres Indiz seiner außerordentlich gewissenhaften Arbeitsweise erfreut zur Kenntnis zu nehmen. Vor seinem Abteile standen große Zeitungspakete, die er später zu verteilen hätte. Bormann hätte es wohl nicht gerne gesehen, aber ich gehöre nun einmal nicht zu jenen, die in Kleinigkeiten unbedingt auf Hierarchien achten, insofern hatte ich keine Bedenken, mir einfach selbst die morgendliche Lektüre zu entnehmen. Ich nahm den Schreibstift, der an einer langen Kette an der Theke befestigt war, und notierte auf einen der Lieferzetteclass="underline" »Habe meine Zeitungen schon entnommen. Danke.«, und signierte mit »A. Hitler«. Die »Bild«-Zeitung, so nahm ich zufrieden zur Kenntnis, hatte mich wieder einmal zum Tagessieger von irgendetwas erklärt. Die Dringlichkeit einer neuerlichen Gleichschaltung der deutschen Presse sank.
Dann schritt ich, die Zeitschriften unter dem Arm, versonnen voran durch die Flure. Sonnenlicht schien durch die oberen Fenster herein, hinter den verschlossenen Glastüren sah man einige Telefonapparate blinkten, doch kein Ton war zu vernehmen. Die Stühle standen in den Arbeitsräumen an den Schreibplätzen, es war, als nähme man eine Möbelparade ab. Ich bog in den Flur, der mich zu meinem Büro führte, als ich dort durch die Türe einen Lichtschein wahrnahm. Ich ging zögernd näher.
Die Türe stand offen. Dahinter, an ihrem Schreibtisch, saß Fräulein Krömeier und tippte etwas in ihren Apparat.
»Guten Morgen«, sagte ich.
»Ick muss Ihnen jleich wat – meen F…«, sagte sie etwas steif, »ick kann nich mehr jrüßen, und ick kann hier ooch nich mehr arbeeten. Ick kann det allet nich mehr machen.« Dann schniefte sie etwas und bückte sich zu ihrem Rucksack. Sie nahm ihn auf den Schoß, öffnete den Reißverschluss, dann schloss sie ihn wieder und setzte den Rucksack ab, ohne dass sie etwas daraus entnommen hatte. Sie stand auf, sie öffnete eine Schublade des Schreibtischs, sie sah hinein, dann schloss sie die Schublade wieder, setzte sich hin und schrieb weiter.
»Fräulein Krömeier, ich…«
»Det tut mir ooch leid, aber et jeht nich mehr«, sagte sie tippend. »Det is so ’ne Scheiße!« Dann sah sie zu mir und schrie: »Warum können Se denn nicht so Sachen machen wie die anderen ooch? Wie der Klamaukheiner, der immer den Postmann macht? Oder der Bayer, der Mittermeier? Warum können Se nich irgendwie rumzappeln, und dann von mir aus machen Se noch irjendnen Dialekt dazu? Det war schön hier! Det hat mir richtich Spaß jemacht!«
Ich blickte Fräulein Krömeier an und fragte etwas täppisch: »Ich soll herumzappeln?«
»Ja! Oder Sie beschimpfen einfach Leute! Det muss dann nich mal witzig sein! Warum müssen Sie denn immer der Hitler sein?«
»Man kann sich das nicht aussuchen«, sagte ich. »Die Vorsehung stellt uns an unseren Platz, und da erfüllen wir dann unsere Pflicht!«