»Und et darf nie verjessen…«, sagte Fräulein Krömeier mit einem mahnenden Gesichtsausdruck.
»Ganz genau! Es darf niemals vergessen, welche Kraft in ihm schlummert. Welche Möglichkeiten es hat! Das deutsche Volk kann die Welt verändern!«
»Ja«, warf sie ein, »aber doch nur zum Juten! Et darf nie wieder sein, det det deutsche Volk wat Schlimmet macht!«
Es war dieser Moment, in dem mir klar wurde, wie sehr ich Fräulein Krömeier doch schätzte. Denn es ist schon erstaunlich, wie manche Frauen auf ihren verschlungenen Wegen dann aber dennoch bei den richtigen Zielorten eintreffen. Fräulein Krömeier hatte es erkannt: Geschichte wird von Siegern geschrieben. Und eine positive Beurteilung deutscher Taten setzt selbstverständlich deutsche Siege voraus.
»Das, genau das muss unser Ziel sein«, lobte ich, »und wir werden es erreichen: Wenn sich das deutsche Volk erfolgreich durchsetzt, werden Sie und ich in hundert, in zweihundert, in dreihundert Jahren in unseren Geschichtsbüchern nur Lobeshymnen finden!«
Ein leises Lächeln huschte über ihr Gesicht: »In zweehundert Jahren muss det wer anderet nachlesen. Da sind Sie und icke tot.«
»Nun«, sagte ich nachdenklich, »das sollte man wenigstens annehmen.«
»Es tut mir leid«, sagte sie dann und drückte einen Knopf auf der Tastatur. Ich kannte den Klang inzwischen, es war das Geräusch, mit dem Fräulein Krömeier auf dem Gemeinschaftsapparat im Flur Dokumente ausdrucken ließ. »Ick hätt hier wirklich jerne weiterjemacht.«
»Und wenn Sie es Ihrer Frau Großmutter verschweigen?«
Die Antwort freute mich so sehr, wie sie schmerzte: »Nee. Ick kann meene Oma nicht belüjen!«
Aber ich könnte sie zügig einer Sonderbehandlung zuführen lassen, dachte ich spontan, wenn auch nur kurz. Realistisch gesehen kann man niemandem eine Sonderbehandlung zukommen lassen, wenn man keine Gestapo hat. Und keinen Heinrich Müller.
»Bitte, übereilen Sie nichts«, sagte ich. »Ich verstehe Ihre Lage, aber bitte verstehen Sie auch, dass ich gute Mitarbeiterinnen nicht im Dutzend billiger bekomme. Ich würde mich, wenn Sie nichts einzuwenden haben, persönlich bei Ihrer Frau Großmutter für Ihren weiteren Verbleib in meinem Büro verwenden.«
Sie sah mich an. »Ick weeß ja nich…«
»Sie werden sehen, dass ich alle Bedenken der alten Dame ausräumen kann«, versicherte ich. Man konnte dem Fräulein Krömeier die Erleichterung förmlich ansehen.
Es gibt viele Menschen, die nicht zu diesem Unterfangen geraten hätten. Persönlich hatte ich noch nie Grund, an meiner Überzeugungskraft zu zweifeln. Und das nicht nur deshalb, weil ich weiß, dass man hinter meinem Rücken gemunkelt hat, man höre jedes Mal, wenn ich mich in der Nähe von Frau Goebbels aufhalte, deren Eierstöcke rattern oder auch klappern oder welches Geräusch auch immer der harte Soldatenscherz da für angemessen hält. Nein, derlei Spöttereien greifen zu kurz. Es handelt sich hier um die selbstbewusste Ausstrahlung des Siegers, dessen, der eben nicht zweifelt. Richtig eingesetzt wirkt das bei den jüngsten Frauen genauso wie bei den ältesten. Die Jüdinnen machen da keine Ausnahme, im Gegenteil, in ihrem Drange nach Assimilation, nach Normalität sind sie meiner Erfahrung nach sogar besonders anfällig. Helene Mayer, unsere Fechtjüdin von Olympia, hat ihre Silbermedaille sogar mit dem Deutschen Gruß in Empfang genommen. Oder wenn ich an die Zehntausende denke, die glaubten, sie könnten sich fühlen wie Deutsche, nur weil sie ihr Drückebergertum im vorigen Weltkriege an der Front verrichtet hatten und sich mitunter zum Erwerb eines Eisernen Kreuzes durchgelogen hatten.
Wer derlei macht, während die eigenen Rassegenossen bereits verprügelt werden, während ihre Geschäfte boykottiert und zertrümmert werden, der ist sechzig Jahre später erst recht zu übertölpeln, zumal – und das sage ich ohne falsche Eitelkeit, sondern weil es nun einmal der tiefsten Wahrheit entspricht – von einem ausgewiesenen Kenner der Stärken und Schwächen dieser Rasse.
Und all jene Romantiker und Klischeegläubigen, die nun eine außergewöhnliche Gewandtheit erhoffen, die der vorgeblich überlegenen Intelligenz dieser verschlagenen Parasiten gewachsen ist, die muss ich »leider« enttäuschen. Eine Gaskammer als Duschraum auszugeben, war schließlich auch schon damals nicht unbedingt der Gipfel der Raffinesse. Und in diesem speziellen Falle genügte das übliche Maß an höflicher Aufmerksamkeit in Kombination mit dem ehrlichen wie überschwänglichen Lob für die vortreffliche Arbeit ihrer begabten Enkelin. Ich sagte im Wesentlichen, wie unentbehrlich Fräulein Krömeier für meine Arbeit sei, und der Glanz in den Augen der alten Fregatte teilte mir mit, dass ich keine neue rechte Hand brauchen würde. Was irgendwelche Bedenken in weltanschaulichen Dingen betraf, hörte die Dame ab diesem Zeitpunkt ohnehin längst nur noch das, was sie hören wollte.
Aber es half natürlich, dass ich diesen Besuch nicht in Uniform machte.
xxx.
Ich war nervös, aber nur leicht. Ich finde diese milde Nervosität beruhigend, sie zeigt, dass ich konzentriert bin. Viereinhalb Monate hatten wir darauf hingearbeitet: Wie weiland dem Hofbräukeller war ich der Sendung jenes Wizgür entwachsen, wie weiland in den Zirkus Krone war ich in ein neues Studio gezogen, das meiner eigenen Sendung diente. Wie man hörte, erreichten die Einnahmen aus Werbung der deutschen Industrie bereits wieder ein Niveau, das den Unterstützungsmitteln kurz vor der Machtergreifung 1933 vergleichbar war. Eine Vorfreude auf kommende Ereignisse durchfuhr mich, dennoch bewahrte ich eiserne Konzentration. Ich kontrollierte noch einmal kurz mein Bild im Spiegel. Tadellos.
Sie ließen den Vorspann über den Studiobildschirm laufen. Er war gut geworden, meine Wertschätzung für den einstigen Hotelreservierer Sawatzki war immer weiter gewachsen. Eine simple Basstonfolge der Titelmelodie läutete ihn ein, man sah mich in alten Aufnahmen, wie ich den Vorbeimarsch der SA in Nürnberg abnahm. Dann einige kurze Aufnahmen von Riefenstahl, aus »Triumph des Willens«. Und darüber sang eine ganz liebenswürdige Schlagerstimme:
»Er ist wieder da, wieder hier.«
Jetzt wurden einige gute Aufnahmen vom Polenfeldzug gezeigt. Stukas über Warschau. Abgefeuerte Geschütze. Guderians rasende Panzer. Dann ein paar sehr schöne Aufnahmen von mir beim Truppenbesuch an der Front.
»Er ist wieder da«, sang die liebliche Frauenstimme, »so sagt man mir.«
Dann kamen einige Aufnahmen neueren Datums. Sie zeigten mich beim Bummel über den neuen Potsdamer Platz. Wie ich bei einer Bäckerin einige Brötchen kaufte und, diese Bilder gefielen mir besonders, wie ich an einem Spielplatz zwei kleinen Kindern den Kopf tätschelte, einem Buben, einem kleinen Mädel. Die Jugend ist einfach unsere Zukunft.
»Dass er noch nicht bei mir war«, klagte die Stimme verständlicherweise, »kann ich nicht verstehn – und ich frage mich, was ist nur geschehn.«
Das hatte ich schon sehr bewegend gefunden, als ich den Schlager in der Diskussion über die Titelmelodie das erste Mal gehört hatte, weil ich ja tatsächlich nicht genau sagen konnte, was geschehen war. Die Bilder präsentierten mich nun im Fond eines schwarzen Maybach auf der Fahrt zum Aufzeichnungsort, einem ausgedienten Kino. Und während ich dort angekommen ausstieg, ins Kino schritt und die Kamera hinter mir nach oben auf den Kinoschriftzug schwankt, der den Namen der Sendung zeigte – »Der Führer spricht« –, sang die Dame den geschickt zurechtgeschnittenen Schluss ihres Liedes: