»Er ist wieder da – wiiiiiie-deeeeeer hiiiier.«
Ich hätte den Vorspann immer und immer wieder ansehen können, aber spätestens bei der Brötchenszene musste ich mich hinter den Kulissen auf den Weg machen, damit ich direkt nach dem Ende des Liedes am Schreibtisch saß und mit ernster Miene den Begrüßungsapplaus entgegennehmen konnte. Es war insgesamt etwas entspannter als, sagen wir, im Sportpalast, aber durch die Einleitung dennoch recht feierlich.
Sie hatten mir ein schönes Studio gebaut, kein Vergleich mit der einfachen Rednerbühne bei Wizgür. Man hatte es der Wolfsschanze nachempfunden, ein Kompromiss. Ich hatte zuerst den Obersalzberg vorgeschlagen, die Dame Bellini sagte, das sehe zu heiter und lieblich aus, und schlug den Führerbunker vor – wir einigten uns dann auf die Wolfsschanze. Ich bin mit einer Produktionstruppe sogar hingefahren, eigentlich mehr aus Neugier, denn natürlich hätte ich ihnen den ganzen Aufbau des Komplexes aus dem Gedächtnis detailgetreu aufmalen können, innen und außen, samt Wachpersonal. Aber die Dame Bellini bestand nicht ganz zu Unrecht darauf, das Produktionsteam müsse vor Ort einen eigenen Eindruck gewinnen.
Ich hatte selbstverständlich angenommen, die Russen hätten in ihrem Machtbereich alles geschleift, was Zeugnis von unserer Vergangenheit ablegte, aber gegen den Stahlbeton der Organisation Todt hatten sie natürlich keine Chance. Man hat sogar die Flaktürme in Wien stehen lassen müssen, weil man sie einfach nicht sprengen konnte. Natürlich hätte man sie bis unter das Dach mit TNT vollstopfen können, aber Tamms, dieser Teufelskerl, hatte sie genialerweise mitten in die Wohngebiete gesetzt. Jetzt stehen sie immer noch da, Denkmäler deutscher Festungsbaukunst, beeindruckend düster.
Die Polen hingegen haben eine Art Freizeitpark aus der Wolfsschanze gemacht, da tut einem das Herz fast weh angesichts dieser uninteressierten Naivität, mit der dort jetzt der letzte ahnungslose Lümmel über das Gelände schlurft. Da fehlt einfach der nötige Ernst, da sind mir letzten Endes diese Dokumentationszentren noch lieber, die sie jetzt überall hinbauen. Natürlich wird das Volk da ideologisch berieselt, aber insgesamt sind der Ernst der Bewegung und auch das Ziel weitgehend korrekt wiedergegeben, sogar inklusive der Judenproblematik. Selbstverständlich ein wenig eingefärbt von diesen Weltverbesserern, aber doch nicht so, dass sie nicht sicherheitshalber immer noch überall hinschreiben, wie »menschenverachtend« unsere Politik gewesen sei. Der Goebbels hätte ihnen das sofort rausgestrichen: »Wenn Sie’s extra reinschreiben müssen, dann ist der Text jämmerlich. Ein guter Text muss so sein, dass der Leser sofort gar nichts anderes denken kann als: ›Das war ja menschenverachtend.‹ Dann – und nur dann – glaubt er nämlich, er sei selber draufgekommen!«
Der gute Goebbels. Ich hab seine Kinder so gemocht, die waren mir immer das Liebste im Führerbunker!
Die Wolfsschanze, nun ja: Ein Hotel haben sie jetzt dort, in der Kantine gibt’s jeden Tag masurisch, und in der Nähe ist ein Schießstand, bei dem man mit Luftgewehren schießen kann, insgesamt eine klägliche Veranstaltung. Wenn man mich den Laden leiten ließe, ich hätte unsere Originalwaffen eingesetzt, das Gewehr 43, die Pistole 35, die Luger, die Walther Armeepistole oder auch die PPK, obwohl, die PPK vielleicht nicht, weil ich bei dem Gedanken an die gute alte PPK stets wieder diese lästigen Kopfschmerzen bekomme. Ich sollte vielleicht mal einen Arzt dazu fragen, aber in letzter Zeit fällt mir das schwer. Es war schon praktisch, damals, mit dem Theo Morell immer in der Nähe. Göring hat ihn nicht gemocht, aber Göring war auch nicht in jeder Beziehung eine Leuchte.
Ich wartete, bis der Applaus vollkommen erloschen war, was gewöhnlich eine regelrechte Nervenprobe zwischen Sender, Publikum und mir war, denn ich wollte absolute Stille. Und ich habe noch jedes Publikum zur Ruhe bekommen.
»Volksgenossinnen und
Volks-
genossen!
Wir
wissen:
Eine Nation
lebt
von
ihrem Boden.
Ihr Boden
ist
ihr
Lebensraum. Doch –
in welchem
Zustand
ist
denn dieser Boden
heute?
Die
›Kanzlerin‹
sagt:
Hervorragend.
Nun ja.
Früher galt es in diesem Lande
als
das Höchste,
wenn man sagte: Hier
kann man vom Boden essen.
Wo, frage ich diese
›Kanzlerin‹,
möchten Sie am liebsten vom Boden essen?
Auf die Antwort warte ich heute noch, denn
auch die ›Kanzlerin‹ weiß:
Der deutsche Boden ist verseucht
vom Gift des Großkapitals,
der internationalen Hochfinanz!
Der deutsche Boden ist voll Müll,
das deutsche Kind braucht Hochstühle,
um gesund zu sitzen,
der deutsche Mann, die deutsche Frau,
die deutsche Familie fliehen möglichst weit,
in Hochhäuser,
der kleine deutsche Hund,
er heißt Struppi
oder vielleicht auch Spitzl,
er tritt
mit seiner
empfindlichen Pfote
in einen Kronenkorken,
oder er leckt an einem
Dioxin und stirbt
qualvoll
und unter Krämpfen!
Der arme, arme
Struppi.
Und das
ist der Boden,
von dem unsere
›Kanzlerin‹
essen möchte.
Na, Mahlzeit!
Unser heutiger Gast ist eine Expertin für den deutschen Boden.
Die grüne Politikerin
Renate Künast.«
Eine groß gewachsene SS-Ordonnanz führte sie herein, Werner hieß er, er war blond, er hatte ausgezeichnete Manieren, und auch wenn man der Dame die Abneigung gegen seine Uniform deutlich ablesen konnte, so konnte man doch genauso aus ihrer Mimik eine gewisse Anerkennung seiner körperlichen Vorzüge wahrnehmen. Frau bleibt Frau.
Auch die Idee zu Werner stammte von Sawatzki. Man war in den Reihen von Flashlight der Ansicht, ich bräuchte einen Assistenten.
»Das ist wichtig«, hatte Sensenbrink damals gesagt. »Es gibt Ihnen die Möglichkeit einer dritten Ansprache. Wenn der Gast mau ist, wenn eine Bemerkung nicht zündet, dann sitzen Sie nicht allein mit dem Publikum da.«
»Ich kann also jemand anderem die Schuld zuschieben?«
»Sozusagen.«
»Das mache ich nicht. Der Führer delegiert die Tätigkeiten, aber nicht die Verantwortung.«
»Der Führer macht aber auch nicht selbst die Tür auf, wenn’s läutet«, hatte die Dame Bellini eingewandt. »Und Gäste kriegen Sie ja wohl mehr als genug.«
Das war allerdings richtig.
»Sie haben doch damals auch irgendeinen Assistenten gehabt? Wer hat Ihnen denn die Tür aufgemacht?«
Sie hielt kurz inne, dann fügte sie hinzu: »Also – nicht Sie. Sondern der Hitler.«
»Schon gut«, meinte ich, »die Tür? Das wird wohl der Junge gewesen sein. Oder zuletzt einer von Schädles Leuten…«
»Oh Mann«, hatte Sensenbrink geseufzt, »die Typen kennt ja keine Sau.«
»Ja, was haben denn Sie gedacht? Dass mir Himmler persönlich morgens die Uniform aufbügelt?«
»Den würde man wenigstens kennen!«
»Machen wir’s doch nicht so kompliziert«, hatte die Dame Bellini gebremst. »Sie haben doch jetzt auch nicht irgendeinen kleinen SS-Mann genannt, sondern den… Schäuble?«
»Schädle.«
»Eben. Stellvertretend. Dann gehen wir eben noch eine Etage höher. Ist ja nur symbolisch.«
»Na gut«, sagte ich, »dann wird’s wohl auf Bormann hinauslaufen.«
»Wen?«, fragte Sensenbrink.
»Bormann! Martin! Reichsleiter.«