»Nie gehört.«
Ich war kurz davor, ihm mal ordentlich die Meinung zu sagen, aber da fiel mir die Dame Bellini in den Arm.
»Ihre Sachkenntnis ist toll«, flötete sie, »das ist ganz groß, dass Sie diese ganzen Details kennen, das bringt sonst keiner! Aber wenn wir die Masse kriegen wollen, die ganz große Quote«, und da machte sie nicht ungeschickt eine kleine Pause, »dann können wir Ihren Assistenten nur aus einem kleinen Kreis aussuchen. Sehen Sie’s mal realistisch: Wir können Goebbels nehmen, Göring, Himmler, vielleicht noch Heß…«
»Heß nicht«, warf Sensenbrink ein, »da ist auch immer so ein Mitleidsfaktor mit drin. Armer alter Mann, ewig eingesperrt wegen der bösen Russen…«
»… ja, gut, sehe ich auch so«, fuhr die Dame Bellini fort, »das war’s dann aber schon, was wir an Kandidaten haben. Sonst fragt in der Sendung jeder Zuschauer nach dreißig Sekunden, wer der seltsame Typ da neben dem Führer ist. Irritation ist gar nicht gut. Sie selber sind irritierend genug.«
»Goebbels würde mir nie die Tür aufmachen, wenn’s klingelt«, sagte ich etwas trotzig, aber ich wusste natürlich, dass sie recht hatte. Und selbstverständlich hätte mir Goebbels die Türen aufgemacht. Goebbels hätte alles für mich gemacht. Ein bisschen wie damals mein Foxl im Schützengraben. Aber es war mir auch klar: Goebbels durfte es nicht werden. Sie hätten aus ihm einen Quasimodo gemacht, wie den buckligen Fritz in dieser sensationellen Frankensteinverfilmung mit Boris Karloff. Sie hätten aus ihm eine groteske Kreatur geformt und ihn jedes Mal dem Spott preisgegeben, sobald er über die Bühne schlurfte. Das hatte Goebbels nicht verdient. Göring und Himmler hingegen… Gewiss, sie hatten ihre Meriten, aber ein gerechter Zorn über ihren Verrat glomm immer noch. Andererseits hätten sie Aufmerksamkeit von mir abgezogen. Ich hatte ja gesehen, was mit Wizgür geschehen war.
»Und wenn wir den unbekannten Soldaten nehmen?« Das war vom Hotelreservierer Sawatzki gekommen.
»Wie meinen Sie das?«, fragte die Dame Bellini.
Sawatzki setzte sich aufrecht hin. »Einen großen, superblonden«, sagte er, »so ein SS-Typ.«
»Gar nicht schlecht«, meinte die Dame Bellini.
»Göring wäre der bessere Lacher«, sagte Sensenbrink.
»Wir wollen keine billigen Lacher«, sagte ich in einem Satz mit der Bellini.
Wir sahen uns an. Sie gefiel mir mit jedem Male besser.
»Schön, dass Sie da sind«, begrüßte ich Frau Künast und bot ihr einen Platz an. Sie setzte sich selbstbewusst, wie jemand, der die Kameras kennt.
»Ja, freut mich auch«, sagte sie spöttisch, »irgendwie.«
»Sie fragen sich vermutlich, warum ich Sie eingeladen habe.«
»Weil sonst keiner zugesagt hat…?«
»Oh nein, wir hätten auch Ihre Kollegin haben können, die Frau Roth. Da fällt mir ein: Können Sie mir einen Gefallen tun?«
»Kommt drauf an.«
»Bitte eliminieren Sie diese Frau aus Ihrer Partei. Wie soll man mit einer Partei kooperieren, die so etwas Grauenhaftes beherbergt?«
»Also, das hat bisher weder die SPD gehindert noch die CDU…«
»Nicht wahr, das hat Sie auch gewundert?«
Sie war für einen ganz kurzen Moment irritiert.
»Ich möchte mal hier festhalten, dass die Claudia Roth eine ausgezeichnete Arbeit macht und…«
»Sie haben ja recht, vielleicht genügt es, wenn man sie einfach von den Kameras fernhält, in einem fensterlosen Kellerraum, schallgeschützt – aber da sind wir schon beim Thema: Ich habe Sie eingeladen, weil ich natürlich in die Zukunft planen muss, und wenn ich es recht sehe, braucht man für eine Machtergreifung parlamentarische Mehrheiten…«
»Parlamentarische Mehrheiten?«
»Ja, sicher, wie 1933, da habe ich noch die DNVP gebraucht. Das könnte in absehbarer Zukunft ähnlich laufen. Aber leider gibt es die DNVP nicht mehr, und jetzt dachte ich, ich prüfe mal, wer so infrage kommt für eine neue Harzburger Front…«
»Und da kommen Sie als Ersatz ausgerechnet auf die Grünen?«
»Warum denn nicht?«
»Ich sehe da ja wenig Möglichkeiten«, sagte sie stirnrunzelnd.
»Ihre Bescheidenheit ehrt Sie, aber stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel. Ihre Partei ist geeigneter, als Sie vielleicht glauben!«
»Da bin ich aber neugierig.«
»Ich nehme an, wir haben vereinbare Visionen für die Zukunft. Verraten Sie mir bitte: Wo sehen Sie Deutschland in fünfhundert Jahren?«
»In fünfhundert?«
»Oder in dreihundert Jahren?«
»Ich bin keine Prophetin, ich halte mich eher an Realitäten.«
»Aber Sie werden ja wohl ein Konzept für Deutschland haben?«
»Doch nicht für dreihundert Jahre. Niemand weiß, was in dreihundert Jahren sein wird.«
»Ich schon.«
»Ach? Was wird denn in dreihundert Jahren sein?«
»Die Grünen suchen in ihren Zukunftskonzepten Rat beim Führer des Deutschen Reiches – ich sagte Ihnen doch, dass eine Kooperation gar nicht so unvorstellbar ist…«
»Behalten Sie’s für sich«, ruderte Künast eilig zurück, »die Grünen kommen ganz gut ohne Sie klar…«
»Also schön, wie viele Jahre in die Zukunft reicht denn Ihre Planung überhaupt? Hundert?«
»Das ist doch Quatsch.«
»Fünfzig? Vierzig? Dreißig? Zwanzig? Wissen Sie was? Ich zähle runter und Sie sagen einfach ›Stopp!‹.«
»Kein Mensch kann seriös sagen, dass er kommende Entwicklungen weiter abschätzen kann als sagen wir zehn Jahre.«
»Zehn?«
»… oder meinetwegen fünfzehn.«
»Also gut: Wo sehen Sie Deutschland in einer Viertelstunde?«
Künast seufzte.
»Wenn Sie unbedingt meinen: Ich sehe Deutschlands Zukunft als umweltfreundliches, energiepolitisch nachhaltig versorgtes Hochtechnologieland vor allem für Umwelttechnik, eingebettet in ein friedliches Europa unter dem Dach von EU und UN…«
»Haben Sie das, Werner?«, fragte ich meine Ordonnanz.
»… eingebettet in ein friedliches Europa unter dem Dach von EU und UN«, notierte Werner brav.
»Dass es die EU bis dahin noch gibt, wissen Sie aber?«, fragte ich.
»Selbstverständlich.«
»Sind da die Griechen noch dabei? Die Spanier? Die Italiener? Die Iren? Die Portugiesen?«
Künast seufzte: »Wer kann das heute schon sagen?«
»In der Energiepolitik können Sie das! Da denken Sie in meinen Dimensionen! Wenige bis keine Importe, vollständige Autarkie aus nachwachsenden Rohstoffen, aus Wasser, Wind, das ist energiepolitische Sicherheit auch in hundert, zweihundert, tausend Jahren. Sie können ja doch ein wenig in die Zukunft sehen. Und was soll ich sagen – es ist das, was ich auch immer schon forderte…«
»Moment! Aber aus völlig falschen Gründen!«
»Was haben denn die Gründe mit nachhaltiger Energiewirtschaft zu tun? Es gibt gute Windräder und es gibt schlechte Windräder?«
Sie sah mich ärgerlich an.
»Verstehe ich Sie recht«, hakte ich nach, »zur artgerechten Haltung von Delphinen darf man die gute, gesunde Sonnenenergie verwenden, aber wenn man die ukrainischen Ackerböden mit germanischen Wehrbauern besiedelt, kriegen die nur Braunkohlestrom? Oder Atomenergie?«
»Nein«, protestierte Künast, »dann besiedelt man sie mit Ukrainern. Wenn man sie überhaupt besiedelt!«
»Und die Ukrainer dürfen dann aber Windenergie nutzen? Oder haben Sie da auch spezielle Vorstellungen? Haben Sie für die Energiearten und ihre korrekte Verwendung eigentlich ein Verzeichnis?«
Sie lehnte sich zurück. »Sie wissen genau, dass das so nicht gemeint ist. So wie Sie argumentieren, könnten Sie ja gleich fragen, ob die Ermordung von Millionen Juden mit Solarenergie besser gewesen wäre…«
»Interessant«, sagte ich, »aber das Thema Juden ist nicht witzig.«
Für einen Moment hörte man gar nichts im Studio.
»Stille im Fernsehen ist immer eine Verschwendung kostbarer Volksfrequenzen«, sagte ich. »Machen wir in der Zwischenzeit lieber etwas Werbung.«